Oberhausen. Durch den Krieg in Israel wächst die Sorge in Deutschland vor antisemitischen Übergriffen. Vertreter aus Oberhausen schildern Bedrückendes.
Der Besuch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Oberhausener Gedenkhalle war lange geplant. Doch angesichts des Krieges in Israel geriet die Visite der NRW-Antisemitismusbeauftragten nicht zu einer Rückschau in die düstere deutsche Vergangenheit, sondern wurde hochaktuell. Vertreter der jüdischen Gemeinden schilderten bei einem Treffen im Schloss Oberhausen ihre bedrückenden Erlebnisse in Deutschland. In den Gemeinden wächst die Sorge vor antisemitischen Übergriffen.
Am 7. Oktober griff die radikalislamische Hamas Israel an und tötete in der Folge über 1300 Menschen. Seit diesem Tag hat sich auch die Arbeit des Oberrabbiners David Geballe in seiner Gemeinde in Oberhausen, Duisburg und Mülheim verändert: „In der letzten Woche haben sich sehr viele Menschen gemeldet, die seelsorgerische Hilfe brauchen.“ Menschen würden sich an ihn wenden, deren Neffen oder Enkel zum Militärdienst einberufen wurden, andere wollen wissen, ob sie hier noch sicher sind oder ob sie ihre Kippa tragen sollen. „Wir raten dazu, sie mit einem Hut abzudecken“, schildert Geballe.
Rabbiner: Schüler wollen sich aus Angst krankschreiben
Die Angst vor Übergriffen wächst besonders in den Schulen. Am Montag endeten die Herbstferien. „Einige haben gefragt, ob sie sich krankschreiben lassen können“, sagt Geballe. Er schätzt, dass etwa die Hälfe der Schülerinnen und Schüler aus seiner Gemeinde verheimlichen, dass sie jüdischen Glaubens sind. Zu groß sei die Sorge vor Stigmatisierung. Auch die jüdische Gemeinde befürchtet eine Verschlechterung der Stimmung und hat für die nächsten drei Wochen alle Schulführungen in ihrer Synagoge in Duisburg abgesagt. Es habe schon in der Vergangenheit Probleme mit Jugendlichen gegeben, sagt Geballe.
Lev Schwarzmann, Vorsitzender der liberalen jüdischen Gemeinde „Perusch“, erfährt in Oberhausen die Verunsicherung seiner Gemeindemitglieder. Zur traditionellen Shabbat-Feier am Freitag kämen in der Regel 25 Mitglieder: „Zuletzt waren nur sieben da. Die anderen hatten Angst, zu uns zu kommen“. Die Polizei hat bereits die Präsenz vor den Gemeinderäumen am Friedensplatz erhöht.
Leutheusser-Schnarrenberger warnt vor Stimmungswandel
Oberhausens Oberbürgermeister Daniel Schranz teilt die Sorge der jüdischen Menschen in seiner Stadt. Der CDU-Politiker fürchtet, dass es zu einer Eskalation kommen könne, wenn Israel die Bodenoffensive startet – und Antisemitismus in Deutschland zunimmt. Die Stadt setzte ein Zeichen der Solidarität, indem sie eine Israel-Fahne auf dem Rathaus-Dach hisste und diese auf Halbmast setzte. Zudem prüft Oberhausen zusammen mit der Gedenkhalle, ob sich eine Städtepartnerschaft mit Israel realisieren lässt. Durch den Jugendaustausch Multi sei die Stadt ohnehin stark mit Israel verbunden.
Filmvorführung in der Lichtburg
Die Gedenkhalle besteht seit 1962 und ist damit die älteste in Westdeutschland. In Dauer-Ausstellungen wird in einem Nebengebäude der Ludwiggalerie am Kaisergarten an die Gräueltaten während des Nationalsozialismus erinnert.
Derzeit arbeitet die Gedenkhalle an einem Leitfaden für Lehrkräfte. Dieser soll sie beim Umgang mit Antisemitismusfällen in Schulen unterstützen.
Am Dienstag, 24. Oktober, um 18 Uhr läuft im Lichtburg-Filmpalast „Walter Kaufmann – welch ein Leben!“. Darin wird das Leben des jüdischen Schriftstellers erzählt. Der Eintritt ist frei. Am Mittwoch, 25. Oktober, wird es um 19 Uhr eine Schulvorführung geben. Hierfür ist eine Anmeldung erforderlich unter www.lichtburg-ob.de.
FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger warnte davor, nicht den Grund der israelischen Gegenreaktion zu vergessen. Sie befürchtet einen Stimmungswandel: „Ursache und Handlungen dürfen nicht verwechselt werden. Es war die Hamas, die 1300 Menschen ermordet und mehr als 150 Geiseln genommen hat. Und darauf folgte die israelische Antwort.“ Es sei die Aufgabe aller, „alles zu tun, um bei der richtigen Erzählung zu bleiben“. Die frühere Bundesjustizministerin ruft die Zivilgesellschaft dazu auf, aktiv Zeichen der Solidarität für Israel zu setzen: „Das müssen wir alle machen.“
Für die liberale jüdische Gemeinde in Oberhausen ist der Sieg gegen die Hamas die einzige Option. „Eine andere gibt es nicht“, sagt Lev Schwarzmann. „Israel schafft das.“