Essen. Lehrer wappen sich für Streit-Situationen. Es wird dazu mehr Hilfe vom Land erwartet. Ziel sei Empathie zu wecken, so eine Schulleiterin.
Hass, Wut und Entsetzen über die Terrorattacke auf Israel werden ab Montag auch Themen auf deutschen Schulhöfen sein. Über die sozialen Medien gelangten Bilder und Videos der Gräuel längst auch auf die Smartphones der Kinder und Jugendlichen in NRW.
Dass es brenzlig werden könnte, ahnen Schulen und Lehrkräfte. Sie bereiten sich auf Diskussionen und Probleme vor, das Schulministerium verschickte bereits Handlungs- und Unterrichtsempfehlungen an die Schulleitungen im Land. Wird es auch in NRW Tumulte auf den Schulhöfen geben? Wie sollten Lehrerinnen und Lehrer damit umgehen?
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An der Essener Gesamtschule Bockmühle werden die Lehrkräfte am Montag noch vor dem Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch gehen, sagt Schulleiterin Julia Gajewski. Die Schule liegt in einem herausfordernden Stadtteil, die Schüler kommen aus über 40 Nationen.
Essener Schulleiterin: „Wir senden die klare Botschaft, dass es Frieden auf beiden Seiten geben muss.“
Auch Schulleiterin Gajewski ist sich sicher: Viele ihrer Schülerinnen und Schüler werden die Videos und Bilder vom Krieg in Israel schon in den sozialen Medien, auf TikTok, gesehen haben. „Deshalb möchten wir uns auch nicht auf eine Seite beziehen oder inhaltlich über die Geschichte des Staates diskutieren. Damit können wir nicht positiv einwirken. Stattdessen wollen wir eine Diskussion um Empathie, Menschlichkeit und Würde. Wir senden die klare Botschaft, dass es Frieden auf beiden Seiten geben muss.“
Das NRW-Schulministerium hat den Schulleitungen vor dem Schulstart Informationen und einen Handlungsleitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Schülerinnen und Schülern zukommen lassen. In den schulpsychologischen Beratungsstellen der Kommunen stehen laut Ministerium zudem „spezielle Fachkräfte bereit, die jederzeit von Schulen zum Thema Antisemitismus angefragt werden können“. Schulen werden in dem Schreiben dazu aufgefordert, antisemitische Vorfälle zu melden. „
Unsere Lehrerinnen und Lehrer wissen, was in solchen Ausnahmesituationen zu tun ist und lassen unsere Schülerinnen und Schüler mit diesen schrecklichen Fernsehbildern nicht allein“, sagte Schulministerin Dorothee Feller (CDU).
Israel-Krieg: Handlungsempfehlungen für Schulen gehen nicht weit genug
Vielen geht das nicht weit genug. Die Ereignisse in Israel müssten in den ersten drei Tagen nach den Herbstferien „Priorität“ in den Schulen haben, sagt Der SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott. „Ab Montag müssen sich die Lehrkräfte auf viele Diskussionen einstellen. In NRW haben wir fast 19 Prozent Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens, und NRW ist die größte Heimat in Deutschland für Menschen jüdischen Glaubens. Zugleich wissen wir aus dem Antisemitismusbericht, dass antisemitische Äußerungen an Schulen zugenommen haben“, so Ott.
Jetzt müsse es darum gehen, dass sich Lehrerinnen und Lehrer Zeit nehmen für die Kinder und Jugendlichen. Junge Menschen seien angesichts der vielen Krisen in der Welt ohnehin verunsichert, und die schrecklichen Bilder von Massakern in Israel seien längst auch auf Smartphones von Kindern und Jugendlichen gelandet. „Es ist zwingend, dass wir nächste Woche nicht zur Tagesordnung und zu Klassenarbeiten übergehen“, sagte Ott weiter.
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Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßt es, dass das Ministerium den Schulen vor Unterrichtsbeginn Material zum Nahostkonflikt zur Verfügung stellt. „Es darf nicht passieren, dass, wenn ein Schüler aus einer Haltung oder Emotion heraus Israel beschimpft und Palästinenser nur als Opfer bezeichnet, ein Lehrer sagt, wie machen jetzt aber Matheunterricht“, erklärt sie.
Expertin aus Duisburg: „Es gibt einen latenten Antisemitismus an Schulen“
Die Islam- und Erziehungswissenschaftlerin, Lamya Kaddor, kennt die Situation auf den Schulhöfen im Ruhrgebiet. „Es gibt einen latenten Antisemitismus an Schulen, der jetzt wieder aufbrechen könnte“, sagt die 45-Jährige. Bevor die Duisburgerin für die Grünen vor zwei Jahren in den Bundestag ging, hat sie unter anderem an Schulen im Ruhrgebiet Projekte gegen Judenfeindlichkeit geleitet. Es ging darum, Vorurteile unter muslimischen Schülern abzubauen und Verständnis für andere Religionen und Überzeugungen zu wecken.
Dabei stellte sie fest, dass Klischees und Vorurteile gegenüber Juden in muslimischen Milieus im Ruhrgebiet tief verankert sind. „Das ist oft wenig reflektiert oder ideologisch begründet. Oft kommt es subtil und platt daher“, bemerkte sie in den Kursen, etwa in Duisburg-Marxloh. „Du Jude“ oder „Yahudi“, diese als Schimpfworte umgedeuteten Ausdrücke seien oft zu hören. Vor dem Hintergrund der Gräuel in Israel könnten die tiefsitzenden Vorurteile in Hass und Konfrontationen umschlagen. Die arabischen Parolen auf der Pro-Palästina-Demo in Duisburg habe sie verfolgt. „Da war auch vom Kampf gegen Israel die Rede“, sagt sie.
An der Gesamtschule Bockmühle haben etwa zwei Drittel der Kinder einen muslimischen Hintergrund. „Wir unterstellen unseren muslimischen Schülern nicht, dass es am Montag zu Konflikten kommen wird. Wir bereiten uns grundsätzlich mit allen Schülern auf die Lage vor“, betont Schulleiterin Gajewski. „Als Schule werden wir um gegenseitige Empathie kämpfen.“
Israel-Krieg: Ereignisse nehmen die jungen Menschen mit
Auch die NRW-Vorsitzende der Grünen, Yazgülü Zeybek, rät Lehrkräften dringend dazu, sich nach den Ferien Zeit zu nehmen für Schülerinnen und Schüler, um an dem „vertrauen Ort“ Schule über Israel zu sprechen. „Die aktuellen Ereignisse nehmen junge Menschen stark mit. Man muss sich daran erinnern, dass die Jugendlichen gerade keine einfache Zeit haben. Sie haben die Pandemiezeit erlebt, sie machen sich Sorgen wegen des Ukraine-Kriegs und jetzt berührt sie der Angriff der Hamas auf Israel.“
Dass dies eine große Herausforderung ist, weiß auch Burak Yilmaz. „Viele Lehrkräfte sind mit dem Thema überfordert. Schulen schaffen zu selten Räume und Gelegenheiten, um über diesen Konflikt zu reden“, sagt der 35-Jährige. Der Duisburger Pädagoge engagiert sich seit Jahren gegen Rassismus und Antisemitismus und startete 2012 das Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“. Oft besuchte er mit muslimischen Schülern Konzentrationslager in Polen.
„Stellung beziehen, Haltung zeigen bei rassistischen und antisemitischen Äußerungen“
„Der Nahost-Konflikt spielt an Schulen eine große Rolle“, weiß er. Judenhass sei kein Randphänomen, sondern Teil der Lebenswirklichkeit in allen gesellschaftlichen Milieus, sagt Yilmaz. Daher sei es eine verkürzte Sichtweise, jetzt nur über den muslimischen Antisemitismus zu sprechen. Auch er sieht große Versäumnisse bei der Ausbildung der Lehrkräfte und fordert von der Politik deutlich mehr Unterstützung. „Schulen können keine politischen Konflikte lösen, aber sie brauchen Unterstützung und Zeit, um mit ihren Schülern ins Gespräch zu kommen.“
Was tun, wenn ein Schüler in der Klasse die Gewalt der Hamas verherrlicht? Wenn „Jude“ als Schimpfwort über den Schulhof hallt. Zu häufig werde bei antisemitischen Beleidigungen geschwiegen, sagt Yilmaz. Stattdessen: „Stellung beziehen, Haltung zeigen bei rassistischen und antisemitischen Äußerungen“, rät Yilmaz.
Junge Menschen müssen sich in Perspektive des anderen hineinversetzen
Aber auch: Sich mit der Lebensrealität der Jugendlichen beschäftigen. Ihnen zuhören, wenn es um ihre Themen geht. Klare Grenzen ziehen, wenn es um Terror und Gewalt geht. Sie auffordern, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen, sagt Yilmaz.
Man müsse die Jugendlichen fragen: Was, wenn es deine Verwandten, deine Familien betreffen würde? Wie würdest du dann die Angriffe, die Morde und die Toten wahrnehmen? Dass sich in den Köpfen junger Menschen etwas bewegen lässt, darin hätten ihn auch die vielen Reisen nach Ausschwitz bestärkt.