Oberhausen. 19 „Herzland“-Lieder begeistern das Premierenpublikum; doch der eingeflochtene Dramentext „Schauet“ enttäuscht im Theater Oberhausen.

Die Farben sind verschwunden: Beim Liederabend „Gute Hoffnung“ zum Auftakt der vorigen Spielzeit hatte Ausstattungsleiterin Franziska Isensee das gesamte Ensemble noch zu vielfarbig glitzernden Zauberwesen erhoben: vom roten Superhelden-Outfit für Torsten Bauer bis zum plüschigen Wolfskostüm. Jetzt umhüllt Khalil Fahed Aassy in der Uraufführung von „Schauet – Herzland“ ein schwarzes-weißes Pandafell – und bis auf die bunten Perücken tragen auch seine 18 Mitspielerinnen und Mitspieler minimalistisch Panda-Farben.

Dieser Ausstattungscoup für den Start der zweiten Spielzeit von Kathrin Mädler als Intendantin am Will-Quadflieg-Platz war leider kein glückliches Omen: Hier passten zwei Teile einfach nicht zusammen. „Schauet“, der dürftige Einakter des über-produktiven US-Dramatikers Noah Haidle, konnte nur enttäuschen. Dabei hatte der „Herzland“-Teil aus 19 herzergreifenden Liedern anfangs die hochfliegenden Erwartungen im Großen Haus bestätigt. Pianist und Arrangeur Matthias Flake firmierte jetzt, neben der Intendantin, auch als Co-Regisseur. Und wie im September ‘22 führte er die durchweg eindrucksvollen Stimmen des Ensembles zielgenau zur Essenz des jeweiligen Liedes.

Dramatischer Akzent: bei Blümchens „Herz an Herz“, gesungen von Philipp Quest, kommt mal Farbe ins Bühnenbild.
Dramatischer Akzent: bei Blümchens „Herz an Herz“, gesungen von Philipp Quest, kommt mal Farbe ins Bühnenbild. © Theater Oberhausen | Axel J. Scherer

Das galt für jenes fast 400 Jahre alte Sommerlied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, mit dem Anna Polke ein stimmliches Kabinettstückchen bot, ebenso wie für den rund 340 Jahre jüngeren Motown-Hit „What Becomes of the Broken Hearted?“, der als grandiose Chornummer den Ton setzte für den vom vollen Haus gefeierten musikalischen Teil des Abends. An seinem Stutzflügel wusste der Maestro im schnittigen Freddie-Mercury-Einteiler Chansons und uralte Filmschlager bruchlos mit jüngeren Pop-Hits zu verbinden.

Zartbittere Reminiszenz an Oberhausens Musical-Glanz

Das musikalische Glanzstück galt dem nur mit Tastenklängen, Solostimme und Chor grandios rekreierten Pomp von „Total Eclipse of the Heart“, mit zartem Sopran von Regina Leenders erst englisch, dann deutsch gesungen – aber mit englischem Akzent. So wurde der Jim-Steinman-Kracher zu einer zartbitteren Reminiszenz an Oberhausens verblichenen Musical-Glanz: Schließlich war „Totale Finsternis“ einst im Metronom Theater der Über-Hit in „Tanz der Vampire“.

Zu Untoten wurde das Gros des eigentlich bestens aufgelegten Ensembles dann leider mit dem zähen „Schauet“-Einakter, den Kathrin Mädler in den zweiten Teil der herzigen Hitparade geschoben hatte. Noah Haidle und seine Übersetzerin Barbara Christ machen schöne Worte, haben aber nicht viel zu sagen. Vor der Kulisse eines possierlichen Kirchleins, das wirkt, als wäre es aus einem Wimmelbild von Mordillo gepurzelt, dirigiert nun Anna Polke als „Zelebrantin“ (wie es im Programmblatt heißt) das Geschehen. Den Predigerton beherrscht sie 1a, doch ach: Was sollen Sätze wie „Wir fügen nichts hinzu / Wir nehmen nichts weg“ auf einem gen Kollaps taumelnden Planeten?

„Schauet“, der Einakter von Noah Haidle, zelebriert einen geschichtslosen Kreislauf aus Taufen, Trauungen, Trauerfeiern: Hier schreiten Regina Leenders und Khalil Fahed Aassy der „Zelebrantin“ entgegen.
„Schauet“, der Einakter von Noah Haidle, zelebriert einen geschichtslosen Kreislauf aus Taufen, Trauungen, Trauerfeiern: Hier schreiten Regina Leenders und Khalil Fahed Aassy der „Zelebrantin“ entgegen. © Theater Oberhausen | Axel J. Scherer

Noah Haidles dürftiger Text zelebriert einen scheinbar geschichtslosen Kreislauf aus Taufe, Trauung, Trauerfeier – für die routinierte „Zelebrantin“ nur Halbsätze voneinander entfernt. Dazu fällt auch der zuvor so munter bewegten Choreographie für das Ensemble nicht mehr viel ein: Es wird in die Plastikstühle und zu Sitzrollen einer überwiegend braven Kirchengemeinde verbannt.

Erschöpft sinkt das Ensemble dahin: Daniel Rothaug (li.) singt zum Schluss „Don’t Cry your Heart out“.
Erschöpft sinkt das Ensemble dahin: Daniel Rothaug (li.) singt zum Schluss „Don’t Cry your Heart out“. © Theater Oberhausen | Axel J. Scherer

Das Publikum hätte sich wahrlich mehr Power-Auftritte gewünscht wie jene von Tim Weckenbrock, der zu „Heartbreak Hotel“ Elvis’ einst skandalöse Zuckungen auf einem Aktentäschchen darbot. Oder von Ronja Oppelt, die im Cheerleader-Kostüm mit „Piece of my Heart“ wohl selbst Janis Joplin erblassen ließe.

Buntes Konfetti erlöst durchdringendes Moll

Stattdessen zog Khalil Fahed Aaassy eine Mundharmonika aus dem Pandafell, um Neil Youngs „Heart of Gold“ so richtig wehmütig wimmern zu lassen. Und Torsten Bauer durfte zum Schluss dieses von „Schauet“ verknitterten Liederabends auch nicht im Superhelden-Cape davonfliegen: Er sang, mit „bittersüßem Schmerz“ (wie es Mias Text gebietet) „Hungriges Herz“ in seinen Staubwedel.

Erst für den Schlussapplaus durfte buntes Konfetti das durchdringende Moll in knallige Farben auflösen.

Nach der zweiten Vorstellung gibt’s die Theaterpreise 2023

„Schauet – Herzland“, das Doppel aus Einakter und Liederabend, zeigt das Theater im Großen Haus am Sonntag, 17. September, um 18 Uhr (mit der anschließenden Verleihung der Theaterpreise 2023) und am Samstag, 30. September, um 19.30 Uhr. Karten gibt’s von 11 bis 23 Euro unter 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de.

„Kunst“, der Boulevard-Geniestreich von Yasmina Reza, folgt am Samstag, 9. September, um 19.30 Uhr als zweite Spielzeitpremiere – und stand noch nicht mal im Programmbuch. Jens Schnarre, Torsten Bauer und Daniel Rothaug geben in der Theaterbar die drei um ein reinweißes Gemälde gründlich zerstrittenen Freunde. Die Premiere ist bereits ausverkauft; weitere Vorstellungen folgen am Donnerstag, 14. September, und Samstag, 7. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr.