Mülheim. Wieder einen Job zu finden, war für sie nicht leicht. Bei einer Mülheimer Firma haben Mütter und Menschen mit Gesundheitsproblemen nun Arbeit.
Bei der einen warten drei kleine Kinder zu Hause, bei der anderen macht der Körper nicht mehr mit, bei der dritten ist es ein alter Hund, der sie hindert, Vollzeit zu arbeiten. Damit nicht nur diese drei Frauen trotzdem eine Arbeitsstelle finden, gab es in Mülheim ein Pilotprojekt - in Teilzeit und mit Home-Office. Jetzt berichten die Teilnehmenden, wie ihr beruflicher Neustart verlaufen ist.
Vier Jahre alt ist ihr jüngstes Kind, die älteren sieben und zwölf Jahre. Damit hat Jenny alle Hände voll zu tun. Arbeiten gehen, eigenes Geld verdienen und für die Zukunft vorsorgen, das will die 34-Jährige aber trotzdem. „Ich möchte meinen Kindern nicht vorleben, dass es toll ist, vom Jobcenter abhängig zu sein“, sagt Jenny, die ihren vollen Namen nicht nennen will, weil es ihr unangenehm ist, dass sie eine Zeit lang ohne Arbeit war.
Mülheimer Firma sucht Personal - und passt Arbeitsumfeld mit Teilzeit und Home-Office an
Jeder in der Runde will von diesem Abschnitt seines Lebens eigentlich lieber nicht erzählen, zu groß ist die Scham darüber, irgendwann aus dem Berufsalltag rausgefallen zu sein - aus den unterschiedlichsten Gründen. Dabei haben sie es nun geschafft, einen Arbeitsvertrag zu bekommen - unbefristet! Und sie haben einen Arbeitgeber gefunden, der ihnen Arbeitszeiten und ein Umfeld ermöglicht, was zu ihrem Alltag passt. Bei der TAS GmbH, die als Service- und Call-Center für ihre Kunden fungiert und derzeit rund 450 Mitarbeitende hat, schuf man die Voraussetzungen, um Menschen wie Jenny als neue Mitarbeitende zu gewinnen. Denn, sagt Christian Wolf von TAS: „Es ist schwierig, Personal zu finden.“
Eine Kooperation zwischen dem Jobcenter Mülheim, der TAS GmbH und Kolping Bildung wurde zum Pilotprojekt und schuf die Grundlagen, um die besonderen Bewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Kolping Bildung hat die Teilnehmenden im Rahmen eines vierwöchigen Orientierungscenters auf ihre neuen Aufgaben als Kundenberaterinnen und Kundenberater vorbereitet und Grundkompetenzen vermittelt. „Hier hat das Matching einfach gestimmt zwischen den Bewerbern und dem Arbeitgeber“, schildert Brigitte Otto, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt beim Jobcenter.
Gleichwohl macht die Fachfrau deutlich, dass etwa eine Alleinerziehende mit dem Verdienst aus dem Teilzeitjob nicht komplett vom Bürgergeld loskomme, sondern als Aufstockerin gelte. „Hiermit legt sie aber die Basis, um in ein paar Jahren, wenn die Kinder größer sind, mehr arbeiten gehen zu können. Und auch Carolin Segin vom Recruiting der TAS GmbH sagt: „Wir sind an langfristiger Mitarbeit interessiert, weil wir mit unseren Teams langjährige Kunden betreuen, etwa aus der Energiebranche, in deren komplexe Projekte sich die neuen Mitarbeitenden einarbeiten müssen.“
Jenny hat drei Kinder und will ihnen beweisen, dass man nicht vom Jobcenter leben muss
Teilnehmerin Jenny erzählt, dass ihr Selbstwertgefühl durch den neuen Job schon gestiegen sei - dabei hätte sie sich eigentlich nie vorstellen können, in einem Call-Center zu arbeiten. Auch diese Einstellung verbindet die Absolventen der Maßnahme. Aber nicht nur die 34-Jährige, die eigentlich eine Ausbildung zur Schreinerin angefangen hatte, „aber dann war meine erste Tochter unterwegs“, hat Spaß an dem Job gefunden. „Hier arbeiten wir Inbound, die Leute rufen also uns an, wenn sie Fragen haben, nicht ich muss jemanden anrufen“, erklärt René.
Der 41-Jährige hat zuvor als Lagerlogistiker gearbeitet - bis Rücken und Knie streikten. Nicht einfach sei es für ihn gewesen, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren - der Vorschlag von seinem Case-Manager beim Jobcenter zu dem Angebot bei der TAS kam daher für ihn wie gerufen: „Ich bin froh, wieder im Beruf zu sein.“
Als die Gesundheit nicht mehr mitspielt, wird Altenpflegerin arbeitslos
Ähnlich war es Anna ergangen, die eigentlich Altenpflegerin ist. „Diesen Beruf kann ich leider nicht mehr ausüben - aus gesundheitlichen Gründen. Und auch heute bin ich nicht immer gesund“, erzählt die 40-Jährige. Anderthalb Jahre bekam sie Krankengeld, suchte dann einen Weg zurück ins Arbeitsleben. „Der Job, bei dem ich telefonieren muss und mir meine Arbeitszeit auch noch einteilen kann, kam für mich aus dem Himmel“, sagt Anna. Vorher, so erzählt sie, habe sie sich von Arbeitgebern nicht ernst genommen gefühlt, wenn sie von ihrem Leiden berichtet hat. „Wegen meiner Schmerzen kann ich nicht immer sitzen, aber beim Telefonieren von zu Hause aus kann ich auch auf dem Boden liegen.“
Die Flexibilität, die im Home-Office möglich ist, schätzt auch Sultan. Die 39-Jährige ist Mutter zweier Kinder, das jüngere geht noch in den Kindergarten und „ist öfter krank. Da ist es von Vorteil, wenn ich zu Hause arbeiten kann. Außerdem verliere ich keine Zeit mit dem Arbeitsweg.“ Die Kolleginnen schätzen auch das Miteinader: „Wenn man mal einen Termin mit den Kindern hat, sprechen wir uns untereinander ab, dann übernehmen die anderen und man holt die Arbeitszeit später nach - das ist nicht bei jedem Arbeitgeber so.“
Mülheimerin hat drei Kinder alleine großgezogen und wurde mit 55 arbeitslos
Dafür, dass jemand wegen seines alten Hundes flexible Arbeitszeiten und Home-Office braucht, hat sicher auch nicht jede Firma Verständnis. Bei der TAS GmbH ist es kein Problem, dass Andrea wegen ihres 16 Jahre alten Rüden Charly gebunden ist. „Solange er noch da ist, möchte ich für ihn sorgen“, sagt die 57-Jährige, die drei Kinder alleine großgezogen und dafür so manchen Job angenommen hat, wie sie erzählt. Zuletzt war sie zwölf Jahre lang als Bürokraft in einer Anwaltskanzlei tätig - bis die Chefin sich verkleinert habe und Andrea gehen musste.
Mit 55 Jahren arbeitslos zu werden, sei schon eine Herausforderung für sie gewesen, die immer für sich und ihre Familie gesorgt hat. Doch kurz bevor sie nach ihrer Arbeitslosigkeit ins Bürgergeld gerutscht wäre, kam die Einladung zu der Maßnahme - für Andrea wie maßgeschneidert: „Ich kann beim Hund sein, der inzwischen taub und blind ist, habe keinen Arbeitsweg und spare Spritkosten.“ Scheu vor der neuen Aufgabe, zumal in einem Call-Center, habe sie nicht gehabt, erzählt die 57-Jährige: „Ich probier‘s, was soll schon schiefgehen?“
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