Mülheim. Alexandra Zykunov ist Feministin und auf Instagram gefragt. Im Mülheimer Ringlokschuppen liest sie aus ihrem neuen entlarvenden Buch.

„Aufregung ist ein Teil der Frauenbewegung“, sagt Antje Buck, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Mülheim. Herrlich in Rage gerät Bestsellerautorin Alexandra Zykunov – in ihren Büchern und auf der Lese-Bühne. „Sie regt sich wirklich auf, performt bei ihren Lesungen, ist sehr unterhaltsam“, weiß Simone Krost, Gleichstellungsbeauftragte an der Hochschule Ruhr West (HRW). Dabei ist ihr Herzensthema nicht gerade zum Lachen: Scharfsichtig, fakten- und datenbasiert – und gleichermaßen wütend wie witzig – zeigt die Autorin auf, wo und warum Frauen immer noch enorm benachteiligt sind.

Am Weltfrauentag, dem 8. März, kommt die Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen („Brigitte“), die auch in den sozialen Medien Zehntausende von Followern hat (vor allem auf Instagram), um 17 Uhr in den Ringlokschuppen. Die HRW und die Gleichstellungsstelle der Stadt haben sie eingeladen, über 180 Eintrittskarten sind schon vergeben. Die 38-Jährige liest aus ihrem neuen Buch „Was wollt ihr denn noch?“. Eine Frage, die frau öfter zu hören bekomme, sagt sie. „Alexandra Zykunov wird anhand von Studien erläutern, wo die Probleme aktuell liegen. Denn von faktischer Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt“, kündigt Simone Krost an.

Ungleichheit bei Care-Arbeit und beim Gehalt noch immer groß

Zykunov, Journalistin, Autorin, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, ist viel unterwegs, seit ihr erstes Buch „Wir sind doch längst gleichberechtigt!“ in 2022 sechs Monate lang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Damals „zerlegte“ sie 25 „Bullshit-Sätze“ zum Thema Gleichberechtigung. „Ich habe dabei festgestellt, dass es so viele Fakten und Zahlen gibt, die ich im ersten Buch gar nicht erwähnen konnte und gerne noch in die öffentliche Debatte einbringen wollte“, sagt die Autorin. Sie lenke den Blick dabei auch auf Lebensbereiche wie beispielsweise Stadtplanung oder Medizin, bei denen man im ersten Moment vielleicht gar nicht an Gleichstellungsfragen denke. „Ich drösele auf, wie Frauen auch in diesen Bereichen benachteiligt werden“, so Alexandra Zykunov.

„Ich drösele auf, wie Frauen auch in diesen Bereichen benachteiligt werden“, so Alexandra Zykunov.
„Ich drösele auf, wie Frauen auch in diesen Bereichen benachteiligt werden“, so Alexandra Zykunov. © WAZ | Zykunov

Aber natürlich soll es auch wieder um zentrale Begriffe gehen: den „gender pay gap“, also die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen bei gleicher (oder ebenso wichtiger) Arbeit oder den „gender care gap“, das unterschiedlich starke Engagement von Frauen und Männern in der Care-Arbeit (also dem Kümmern um Kinder, Haushalt oder alte, pflegebedürftige Angehörige).

Care-Arbeit belohnen: Autorin wird in Mülheim auch Lösungsansätze präsentieren

„Spätestens, wenn Frauen ins Berufsleben eintreten, und vor allem auch, wenn sie Familie gründen möchten, werden sie mit Ungleichbehandlung konfrontiert. Dann fängt die Schere an, sich aufzuklappen. Mütter landen beispielsweise in der Teilzeitfalle. Die Familiengründung ist für sie ein finanzieller Genickbruch, während sie Männern, das ist statistisch belegt, oft sogar mehr Gehalt einbringt. Weil sie als Ernährer angesehen werden“, sagt Alexandra Zykunov. Sogar Frauen, die gar keine Kinder haben möchten, weht dann der Wind entgegen. „Sie könnten ja theoretisch doch schwanger werden oder sie gelten als kaltherzige Emanzen, die man auch nicht einstellen will“, berichtet die Autorin.

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Dass Frauendiskriminierung immer noch strukturell in unserer Gesellschaft verankert ist, will Alexandra Zykunov deutlich machen, aber auch Lösungsansätze präsentieren. Was könnte die Emanzipation dennoch vorantreiben, schneller zur Parität führen? „Gesetzlich vorgeschriebene Quoten für alle Unternehmen könnten ein Werkzeug sein, denn: „Dann könnten Unternehmen sich nicht mehr damit herausreden, dass sich einfach keine Frauen bei ihnen bewerben würden. Sie müssten viel gezielter nach ihnen suchen und männlich dominierte Chefetagen müssten dann zwangsläufig für Frauen Platz machen. Gleichzeitig würden durch die verschobenen Dynamiken auch mehr Männer in Teilzeit gehen und Care-Arbeit leisten können“, sagt die Autorin.

Sie plädiert aber auch für eine Erhöhung des Elterngeldes, das seit seiner Einführung 2007 nicht ein einziges Mal angehoben worden sei, und für die Abschaffung des Ehegattensplittings. „Es begünstigt die alte Rollenverteilung, bei denen ein Ehepartner - meist der Mann - richtig viel arbeitet und verdient und der andere -meist die Frau - nicht.“ Stattdessen, so Zykunovs Forderung, müssten Paare dafür belohnt werden, wenn sie sich 50:50 die Erwerbsarbeit und die Care-Arbeit teilten.

Frauen haben einiges erkämpft, bei den Männer hat sich aber noch zu wenig bewegt

Zwar haben sich Frauen mehr Möglichkeiten erkämpft, aber bei den Männern hat sich noch viel zu wenig bewegt. Beispiel: Elternzeit. 42 Prozent aller Väter gehen laut Zykunov in Elternzeit, 75 Prozent davon aber nur für die obligatorischen acht Wochen und nur 7,6 Prozent für mehr als zehn Monate. Von den Müttern gehen 98 Prozent in Elternzeit. 95,4 Prozent davon für mehr als zehn Monate. Bei der Lesung im Ringlokschuppen werden ganz sicher viele weitere (auch unglaubliche) Beispiele für den lahmen Veränderungsprozess zur Sprache kommen.

Das Programm für den Weltfrauentag in Mülheim stellen Simone Krost, Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule Ruhr West, sowie die beiden Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Sabine Hermann (li.) und Antje Buck (r.) vor.
Das Programm für den Weltfrauentag in Mülheim stellen Simone Krost, Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule Ruhr West, sowie die beiden Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Sabine Hermann (li.) und Antje Buck (r.) vor. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Uralte patriarchalische Strukturen bestehen noch immer, vor allem auch in der Wirtschaft. „Die Politik muss sich mehr rühren, ansonsten schaffen wir das Patriarchat nicht ab“, meint Alexandra Zykunov. Die Frauen benötigten da auch Unterstützung von verständigen Männern, die sich ebenfalls (laut) für die Gleichstellung einsetzen. Ihren Optimismus verliert die Autorin trotz ernüchternder Erkenntnisse nicht. Weil sie selbst eine paritätische Beziehung lebt. Und: „Es gibt ja positive Entwicklungen. In Spanien sind in letzter Zeit sehr viele feministische Gesetze erlassen worden. In Kalifornien verbietet man das Gendermarketing. Und dass ein Fußballfunktionär eine Spielerin einfach so ungefragt küsst, hat für einen globalen Shitstorm gesorgt.“

Frauendisco für alle Mülheimerinnen im Anschluss an die Lesung

Pessimismus möchte auch die Mülheimer Gleichstellungsbeauftragte nicht verbreiten. „Ich mache das jetzt 22 Jahre und kann nicht sagen, dass irgendwelche Frauen-Themen sich schon erübrigt haben“, berichtet Antje Buck. Statt negative Botschaften zu übermitteln, wollen sie und ihr Team unter anderem Gemeinschaften stiften, dafür sorgen, dass Frauen andere gleichgesinnte Frauen (oder auch Männer) kennenlernen, mit denen sie „neue Wege gehen können“. Im Anschluss an die Lesung wird es daher auch eine Frauendisco im Ringlokschuppen geben (wir berichteten), bei der Frauen ins Gespräch kommen können, aber auch einfach mal freie Zeit ohne Erwerbs- und Care-Arbeit genießen können.

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