Mülheim. Die Antidiskriminierungsstelle der Stadt wurde vor einem Jahr gegründet. Womit hat sich Hakan Caliskan seither beschäftigt? Wer wandte sich an ihn?
Die Antidiskriminierungsstelle der Stadt Mülheim ist ein Jahr alt, und Berater Hakan Caliskan hat „viel zu tun“. „Ich habe über die ganze Zeit hinweg konstant konkrete Fallanfragen erhalten. Die Menschen melden sich per Mail oder per Telefon, ich bin auch zu Treffen rausgefahren“, berichtet er. Seine Klienten seien „Menschen aus allerlei Lebenslagen“: Alte und Junge, Frauen und Männer, Arbeitnehmer und Selbstständige, Mütter und Väter, Personen mit und ohne Migrationshintergrund. „Dass die Beratungsstelle so gut angenommen wird, zeigt, dass Diskriminierung ein sehr relevantes Problem mit vielen Nuancen ist – und eine gesamtgesellschaftliche Baustelle“, meint Caliskan.
Sechs Diskriminierungsfelder weist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus: Alter, Behinderung, Ethnie, Geschlecht, Religion und sexuelle Identität. Welches Problem begegnet dem 33-Jährigen in seiner Tätigkeit am häufigsten? „Repräsentative Zahlen zu ganz Mülheim können wir nach zwölf Monaten noch nicht liefern. Es ist aber ganz eindeutig der Rassismus“, sagt er. Gefolgt von diskriminierendem Verhalten gegenüber Behinderten und chronisch Kranken. Die restlichen bisherigen „Fälle“ beziehen sich gleich verteilt auf die anderen vier Bereiche. Grundsätzlich gibt es auch Mehrfachdiskriminierung: „Eine Frau mit Kopftuch kann als Frau und als Muslima. also sexistisch und rassistisch, diskriminiert werden“, gibt der Religions- und Islamwissenschaftler ein Beispiel.
Person aus Mülheim wegen fehlendem Internetzugang gerügt
Anonymisiert kann er schildern, mit welchen Fragen und Nöten die Menschen zu ihm gekommen sind. Da war zum Beispiel die Mutter, die nicht verstehen konnte, warum es den Kindern verboten wurde, auf dem Schulhof muslimische Grußformeln zu verwenden. Oder die körperlich behinderte Person, die kein Internet hatte und so an Formulare (die es nur online gab) nicht rankam – was ihr von einer öffentlichen Einrichtung angekreidet wurde. Eine Frau schilderte, dass sie vor vielen Jahren sexuell belästigt wurde, es nie anzeigte, aber immer noch darunter leidet. Von einem Geflüchteten erfuhr Caliskan, dass die Mitarbeiterin eines Sportvereins ihm grundlos Hausverbot erteilt hatte.
„Die Menschen kommen mit einem Diskriminierungsgefühl her, mit der subjektiven Empfindung, dass ihnen Unrecht getan wurde. Es geht dann darum, zu klären, welche Substanz dahinter steckt. Rechtlich und menschlich. Die Ratsuchenden wollen oft eine Einschätzung der Sachlage“, berichtet der Antidiskriminierungsbeauftragte. Fragen, die dann gemeinsam besprochen werden, sind beispielsweise: Ist das wirklich Diskriminierung? Habe ich ein Anrecht, mich zu wehren? Habe ich eine rechtliche Handhabe? Oder auch: Gibt es Beweise oder Indizien für das diskriminierende Verhalten? Wie hoch ist der Druck (etwa eines Chefs oder Kollegen) auf mich? Wie groß der Schmerz ob der Verletzung? Wie kann ich die Erfahrungen verarbeiten?
Zusammen mit Betroffenen Handlungsansätze suchen
„Wir suchen gemeinsam Handlungsansätze, eine meiner Hauptaufgaben ist es, die Menschen zu stärken“, erklärt Hakan Caliskan. So war es beispielsweise bei dem Sprachverbot auf dem Schulhof: Es gebe keine rechtliche Basis dafür, erläuterte er der Frau und riet ihr, nach Gleichgesinnten zu suchen und gemeinsam ein Schreiben an den Schulleiter zu verfassen, um den Dialog zu suchen. Manchmal waren es einmalige Kontakte, manchmal bedurfte es mehrerer Termine, um einen Ratsuchenden oder eine Ratsuchende zu unterstützen. Neben der juristischen Einordnung steht die emotionale Bewältigung des Erlebten im Fokus.
Oft handelt es sich nicht um eine einmalige verletzende Erfahrung, sondern um eine Anhäufung von Vorfällen. Wie in diesem Beispiel: Ein Mann litt immer wieder unter rassistisch motivierten Sprüchen seiner Schwiegerfamilie. Er war sehr verunsichert, bat Caliskan um eine Einschätzung, ob seine „Bauchschmerzen“ begründet seien. „Ich habe ihm erklärt, dass auf Basis des Gesetzes grundsätzlich keiner das Recht hat, den Lebensentwurf eines anderen strittig zu machen. Er habe keine Bringschuld, dürfe die eigene Kultur leben und müsse seine Grenzen aufzeigen.“ Der Fachmann riet dem Betroffenen auch zu Gesprächen mit der Ehefrau.
„Schutzraum“ für Betroffene im Mülheimer Rathaus
Die Antidiskriminierungsstelle im Rathaus sei ein „psychoemotionaler Schutzraum“. „In dem Moment, in dem die Leute sich hier öffnen, sind sie sehr verletzlich. Wir bieten ihnen einen Raum, in dem sie ohne Angst vor Konsequenzen ihre Probleme schildern können“, sagt Caliskan. Es sei auch vorgekommen, dass er Klientinnen oder Klienten zu Gesprächen begleitet habe, als Schlichter und Moderator aufgetreten sei. Dem Duisburger kommt dabei seine Ausbildung als systemischer Berater zugute. Nicht immer bekommt er mit, wie ein „Fall“ ausgeht. „Mit der Beratung und Begleitung ist mein Job eigentlich getan, die Menschen müssen mir keine Rückmeldung geben.“
Auch Präventionsarbeit hat Hakan Caliskan im ersten Jahr der Beratungstätigkeit geleistet. Er suchte auf Anfrage mehrere öffentliche Einrichtungen auf, gab unter anderem seinen Workshop „Diskriminierungssensible Berufspraxis“. „Im Prinzip kann sich jeder an uns wenden, wir checken dann die Bedarfslage, einigen uns auf Angebote, etwa Vorträge oder Workshops“, sagt er.
Mülheimer Berater: „Diskriminierung gibt es überall“
Diskriminierung gebe es „überall“, in der Arbeitwelt, dem Bildungwesen, im Freizeitbereich, in öffentlichen Räumen. „Überall da wo Menschen zusammenkommen, wo vorgefertigte Welt- und Rollenbilder existieren, Macht zentriert ist und Ungleichheiten in der Gesellschaft bestehen, die nicht hinterfragt werden.“ Diskriminierung, sei sie nun stark oder klein und „alltäglich“ (wie bespielsweise Witze auf Kosten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen), sei „immer zu beanstanden“.
Antidiskriminierungsbeauftragte müssten sich eigentlich durch ihre Arbeit irgendwann selbst überflüssig machen, davon aber sei man aktuell leider weit entfernt. „Der Handlungsbedarf ist da und Antidiskriminierungsarbeit braucht viel Zeit. Es wäre keine Fehlinvestition, noch mehr in diese Aufgabe zu investieren“, meint Hakan Caliskan.
Kontakt zur Antidiskriminierungsstelle über muelheim-ruhr.de
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