Mülheim. Wer am Fluss lebt, rettet sich vor Hochwasser - doch nicht jedem Tier gelingt das, sagt eine Mülheimerin. Warum das nicht nur ein Nachteil ist.
Die Menschen entlang der Ruhr fürchten das Hochwasser und halten sich möglichst fern. Die Tiere, die am oder gar im Fluss leben, können den nassen Massen aber kaum entgehen. Welche Auswirkungen Fluten für Flora und Fauna haben.
„Tiere haben nicht so einen Rundumblick wie der Mensch - sie flüchten auf eine Insel, die schließlich auch im Wasser versinkt“, schildert die Mülheimerin Elke Brandt, Vizevorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Ruhr. Viele der Wildtiere, die in den vergangenen Tagen durch das immense Hochwasser an der Ruhr aufgescheucht worden sind, hätten wohl wenig Chancen, sich zu retten. Auch wenn Reh, Hase und Fuchs schwimmen könnten, drohten ihnen Strömung und Distanz zum Verhängnis zu werden. Und auch ihre eigene Konstitution, denn: „Bei Fuchs oder Hase saugt sich das dicke Fell voll Wasser und wird zu zusätzlichem Ballast.“
Tote Tiere, die nach dem Hochwasser zurückbleiben, erfüllen auch eine Funktion
Gleichwohl macht die Nabu-Expertin deutlich: „Ein Hochwasser gehört zu den Naturgewalten, mit denen Flora und Fauna seit jeher leben. Für uns ist das vielleicht emotional nicht schön, wenn Tiere umkommen, aber die Bestände erholen sich wieder.“
Mehr noch: Die Naturschützerin zeigt auf, dass auch Kadaver, die nach dem Hochwasser zurückbleiben, eine Funktion erfüllen: „Durch sie ist der Tisch gedeckt für Aasfresser wie Fuchs und Mäusebussard.“ Der Fuchs gelte als eine Art natürliche Müllabfuhr, der tote Tiere auf biologische Weise entsorgt. Vor einem Seuchenausbruch durch Kadaver müsse also niemand Angst haben, meint Elke Brandt: „Die toten Tiere sind alle schnell weg.“
Rettungsaktion für Fische in den Mülheimer Ruhrauen
Die zahlenmäßig größte Gruppe an Tieren, die vom Hochwasser betroffen ist, werden die Fische in der Ruhr sein. In Scharen waren sie nach dem Sommerhochwasser 2021 in Wiesen entlang der Ufer zurückgeblieben, als die Ruhr sich zurückzog. Damals hatten Freiwillige unermüdlich versucht, die Gestrandete zu retten. Angler aus Mülheimer Vereinen zogen mit Keschern und Eimern durch die Ruhrauen und sammelten Hecht und Co ein, um sie zurück ins Flussbett zu bringen. Auch jetzt stehen Mitglieder der Fischereivereine bereits wieder abrufbereit, um die nächste Rettungsaktion zu starten, sobald die Ruhr den Rückzug angetreten hat.
Michael Raspel, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Fischervereine Untere Ruhr, weiß, wie sich die Fische bis dahin verhalten und ob ihnen der hohe Wasserstand zu schaffen macht. „Sie suchen sich geschützte Bereiche, da wo die Strömung geringer ist.“ Das könne am Randbereich in den Ruhrauen sein, aber auch unter Wasser, etwa hinter großen Steinen oder Baumstämmen: „Die Ruhr ist unter Wasser nicht plan wie eine Autobahn.“
Fische können zunächst in Pfützen auf den Feldern entlang der Mülheimer Ruhr überleben
Noch aber können Raspel und seine Mitstreiter ihren Schützlingen nicht helfen: „Bei dem Wasserstand ist an eine Fischrettung noch gar nicht zu denken - da geht Menschenwohl vor Tierwohl.“ Jetzt, im Winter, sei ohnehin nicht solche Eile geboten, wie beim Sommerhochwasser 2021. „Damals war‘s ja warm und die Pfützen auf den Feldern und Wiesen haben sich schnell aufgeheizt, der Sauerstoff für die Fische schwand schnell.“ Durch die aktuell übernassen Böden blieben wohl auch die rettenden Pfützen länger bestehen, die geringen Temperaturen sorgten zudem für größere Überlebenschancen. Der größte Teil der Fischpopulation halte sich ohnehin im Hauptstrom auf, weiß Raspel.
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Die Fischbestände also werden sich rasch wieder erholen. Auch die Pflanzen, die vom Ruhrwasser überschwemmt wurden, berappeln sich in der Regel wieder schnell, so Elke Brandt: „Gerade herrscht Vegetationsruhe.“
Landwirt: Wenn das Wasser zu lange auf den Feldern steht, ist die Ernte bedroht
Bereits vor Beginn der Vegetationsruhe hat Einhart im Brahm den Winterraps gesät auf seinen Feldern entlang der Ruhr zwischen Mintard und Kettwig. Die Pflanzen konnten schon tiefe Wurzeln bilden, hofft der Landwirt. Denn auch auf seinen Äckern steht in diesen Tagen das Wasser. „Für eine gewisse Zeit ist das kein Problem“, weiß im Brahm, doch die Dauer des Hochwassers sei der entscheidende Faktor: „Wenn das Wasser zu lange auf dem Feld steht, sterben die Wurzeln des Raps ab.“
Und auch die Regenwürmer fielen den Wassermassen zum Opfer: „Doch die brauche ich fürs Feld, das sind meine Freunde.“ Dass seine Felder an der Ruhr im Winter nicht brach liegen, sondern mit einem winterharten Gewächs bestellt sind, hat einen Grund, erklärt der Landwirt: „Wenn keine Pflanzen draufstehen, spült das Hochwasser den Boden weg.“
Mülheimer Nabu-Expertin: Den enger gewordenen Rückzugsraum der Wildtiere schonen
„Die Natur kann sich regenerieren, wenn der Mensch nicht eingreift“, sagt Nabu-Expertin Elke Brandt. Wo ihrer Ansicht nach zu stark in die Natur eingegriffen werde, ist am Styrumer Ruhrbogen: Dort ist der Hügel, auf dem das Windrad steht, mit einem Zaun abgeriegelt sei. Größeren Tieren bleibe die ansteigende Fläche als Fluchtweg versperrt.
Die Nabu-Vizechefin appelliert, die Rückzugsräume der Tiere zu achten. „Die Wanderwege verlaufen da, wo die Tiere wohnen.“ Gerade jetzt, wo die rettende Landfläche derart minimiert sei, ruft Brandt auf, den Tieren den verbliebenen Raum zu lassen und sie nicht aufzuschrecken. „Mir scheint, viele Menschen nutzen die derzeit ohnehin gesperrten Wege gedankenlos.“
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