Mülheim. 29 Namen von Straßen oder Plätzen in Mülheim sehen die Mülheimer Grünen heute mindestens als ambivalent. Historiker Thomas Emons erklärt warum.

Liebe Anwohnerinnen und Anwohner der Lüderitzstraße in Mülheim-Winkhausen, wussten Sie eigentlich, dass Ihre Heimat nach einem Menschen benannt ist, der nach heutiger Betrachtung eine mehr als zwielichtige Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte gespielt hat? Nein? So wird es vielen mit Blick auf den Namen ihrer Straße gehen. 29 davon hat die Grüne Jugend nun auf eine rote Liste von nicht mehr zeitgemäßen oder zumindest diskutablen Namen gesetzt.

„Wir haben uns stundenlang hingesetzt und das Straßenverzeichnis durchforstet“, berichtet Christina Dimoudas, Vorsitzende der Grünen Jugend. In erster Linie waren Personen mit NS-Hintergrund im Visier. „Dabei ist die Kolonialgeschichte schon ein größeres Thema, das viele gar nicht so im Bewusstsein haben“, so Dimoudas. Das beste Beispiel sei die Lüderitzstraße.

Namensgeber in Mülheim-Winkhausen: Das war Adolf Lüderitz

Denn Adolf Lüderitz, ein Tabakhändler und Großgrundbesitzer aus Bremen, legte mit seinen großflächigen Landkäufen im heutigen Namibia die Grundlage für die deutsche Kolonialpolitik. Dabei hinterging er die indigene Bevölkerung mit dem sogenannten „Meilenschwindel“. Er ließ seine Vertragspartner im Glauben, es handele sich um englische Meilen, die viermal kürzer sind als geografische Meilen. Dadurch erbeutete er Gebiete, die um das 16-fache größer waren als angenommen.

„Die Straße hat 1937 diesen Namen bekommen. Damals waren Kolonien noch ein Prestigeprojekt“, ordnet der Mülheimer Historiker Thomas Emons die Entstehung des Straßennamens südöstlich der Aktienstraße ein. Er hat im Auftrag der Grünen eine Ausarbeitung über fragwürdige Bezeichnungen von Straßen oder Plätzen angefertigt. „Ich weiß, dass es Namen gibt, die man aus heutiger Sicht durchaus ambivalent sehen kann“, so Emons.

Umbenennung von Mülheimer Straßen zuletzt in den 90er Jahren

In Mülheim verschwanden zuletzt in den 90er Jahren die Namen des Kolonialisten Carl Peters und des antisemitischen Hofpredigers Adolf Stöcker zu Gunsten von Elisabeth Selbert und Anne Frank. Aus Sicht der Grünen wird es nun mal wieder Zeit. „Man braucht immer wieder eine neue Betrachtung“, unterstreicht Christina Dimoudas.

In den Augen von Emons würde man heute keine Straßen mehr nach Generälen benennen, die in Kriegen gekämpft haben, wie es mehrfach vor allem in Styrum und Heißen der Fall ist. Aber auch Hinweise auf Schlachtorte wie die Sedanstraße oder die Wörthstraße sieht er kritisch. „Das waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts eben Idole der Nation. Es gab aber zum Beispiel in der 1848er-Revolution Leute, die politisch sehr weitschauend waren. Es wäre die Frage, ob ein demokratischer Staat nicht eher solche Leute in den Vordergrund stellt als irgendwelche preußischen Generäle“, so der Geschichtsexperte.

Warum es oft nicht nur eine Sichtweise auf Personen gibt

Seine Ausarbeitung zeigt aber auch, dass es mit Blick auf historische Personen nicht immer nur eine Sichtweise gibt. Ein Beispiel dafür ist Fritz Thyssen, nachdem die Verbindung zwischen Styrum und Dümpten benannt ist. „Er hat als Förderer der NSDAP eine zwielichtige Rolle gespielt, auf der anderen Seite aber einen offenen Bruch mit Hitler vollzogen“, weiß Emons. Eine Umbenennung in Martha-Hadinsky-Staße nach einer kommunistischen Widerstandskämpferin, wurde vor einigen Jahren abgelehnt.

Auch die Grünen sind sich bewusst, dass mit großer Sicherheit nicht alle 29 Straßen oder Plätze umbenannt werden können. „Wir wollen in erster Linie Aufklärung schaffen und mit den Leuten ins Gespräch kommen“, betont Christina Dimoudas und ergänzt: „Es gibt bestimmt auch Leute, die das alles albern finden aber es braucht bei geschichtlichen Figuren eine gewisse Aufklärung.“

Mülheimer Grüne sehen Konsens bei der Lüderitzstraße

Auch Fraktionschefin Franziska Krumwiede-Steine kennt Anwohnerinnen und Anwohner der Lüderitzstraße, denen das „wurscht“ sei. „Ob man es am Ende wirklich umbenennt oder nicht: Wichtig ist, dass man weiß, worum es geht“, sagt sie. Bleiben Namen bestehen, müssten etwa QR-Codes die nötigen Hintergrundinformationen liefern. „Zwei oder drei der schlimmsten umzubenennen und tilgen zu können, wäre schon ein großer Erfolg“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Steffen Tost.

Bei der Lüderitzstraße sehen die Grünen gute Chancen, auch mit dem Koalitionspartner CDU Einigkeit zu erzielen. Als Alternative gilt Zilli Schmidt, eine im letzten Jahr verstorbene Holocaust-Überlebende, die selbst in Mülheim gelebt hat.

Liste der Straßen, die die Grünen neu bewerten wollen

• Kaiser-Wilhelm-Straße (Styrum)
• Wilhelmstraße (Stadtmitte)
• Wilhelmsplatz (Stadtmitte)
• Sedanstraße (Styrum)
• Moltkestraße (Styrum)
• Reichspräsidentenstraße (Holthausen)
• Wrangelstraße (Heißen)
• Schwerinstraße (Styrum)
• Roonstraße (Styrum)
• Blumenthalstraße (Styrum)
• Steinmetzstraße (Styrum)
• Alvenslebenstraße (Styrum)
• Yorckstraße (Heißen)
• Clausewitzstraße (Heißen)
• Schwarzenbergstraße (Heißen)
• Gneisenaustraße (Heißen)
• Lüderitzstraße (Winkhausen)
• Bismarckstraße (Holthausen)
• Bülowstraße (Broich)
• Wörthstraße (Styrum)
• Spichernstraße (Styrum)
• Weißenburger Straße (Stadtmitte)
• Alsenstraße (Styrum)
• Fritz-Thyssen-Straße (Dümpten/Styrum)
• Friedrich-Karl-Straße (Styrum)
• Düppelstraße (Styrum)
• Zastrowstraße (Styrum)
• Manteuffelstraße (Styrum)
• Von-der-Tann-Straße (Styrum)

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