Mülheim. Früher lief Martina Hilgers Halbmarathon. Heute bremst Post Covid sie aus. Die Mülheimerin schreibt auf Facebook schonungslos über ihren Alltag.

Die Facebook-Seite von Martina Hilgers: Etliche Fotos hat die 47-Jährige hier hochgeladen, Bilder einer sportbegeisterten Frau. Bevorzugt bei Laufveranstaltungen war sie unterwegs, man sieht sie schwitzend auf der Strecke, strahlend mit Finisher-Medaille nach einem Halbmarathon oder im Kreis von Trainingspartnerinnen. Doch seit der Herbst begonnen hat, zeigt die Mülheimerin ein anderes, sehr ernstes Gesicht.

Sie veröffentlicht nun lange Beiträge über die Nachwirkungen ihrer beiden Covid-Infektionen im Mai 2022 und im Februar 2023, die in der akuten Phase mild verliefen, ihrem Körper aber massiv zusetzten. Martina Hilgers begann mit ihrem Blog Anfang September, als sie sich gerade in einer Reha-Maßnahme für Post-Covid-Betroffene befand. Sie schreibt: „Ich möchte Corona-Geschädigten ein Gesicht geben!“ Ihre Beiträge werden von vielen Menschen kommentiert, auch Stimmen anderer Erkrankter sammeln sich darunter. Sich zu vernetzen, auszutauschen, das ist Absicht der Mülheimerin.

Mülheimerin beschreibt ihren Alltag mit Post Covid

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Covid hat Martina Hilgers ausgebremst. Muskeln und Gelenke schmerzen, die Erschöpfung ist mitunter überwältigend, „Sport geht gar nicht mehr“, sagt die frühere Lauftrainerin. Freundschaften, soziale Kontakte zu pflegen, jemanden kurz auf einen Geburtstagskaffee zu besuchen - selbst Schönes strengt sie ungeheuer an.

Es hätte sie noch härter treffen können, das ist ihr bewusst, dafür ist sie dankbar. Im persönlichen Gespräch wirkt sie zuversichtlich, vital. In ihrer gemütlichen Dachwohnung in Mülheim-Broich liegt der Laptop auf dem Esstisch. Martina Hilgers ist arbeitsfähig. Sie leitete eine Kita in Düsseldorf und hat die Möglichkeit bekommen, dies an zwei Tagen pro Woche im Homeoffice zu erledigen, bei freier Zeiteinteilung. Sie lebt mit einem Partner zusammen, der sie intensiv unterstützt. Doch sie wird gequält von einer „Belastungs-Intoleranz“, wie sie es nennt. „Ich schaffe nur ein bestimmtes Pensum. Man kann sich das vorstellen wie 15 Löffel, die man täglich zur Verfügung hat. Es kann sein, dass nach einem stressigen Arbeitstag alle aufgebraucht sind. Dann liege ich nur noch auf der Couch, völlig platt.“

Vorsatz: Ansprüche herunterschrauben, Prioritäten setzen

Daher drehen sich ihre Facebook-Posts um einen Ansatz, besser gesagt: Vorsatz, den sie aus der Reha mitgebracht hat: „Meine neuen 100 Prozent im Alltag.“ Es gelte, Prioritäten zu setzen und die eigenen oder von außen gesetzten Ansprüche herunterzuschrauben. „Auch mal milde mit sich sein, wenn man nicht alles geschafft hat.“ Wenn sie sich überfordere, spüre sie das sofort. „Der Schmerz folgt auf dem Fuße.“ Ergebnis aller Untersuchungen in der Reha sei gewesen, dass wohl eine entzündliche Nervenreizung Auslöser ihrer Beschwerden sei.

Nach aktuellen Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums erkranken zwischen sechs und 15 Prozent aller Corona-Infizierten an Long Covid: Damit gemeint sind teils schwere Beschwerden, die nach einer akuten Krankheitsphase von vier Wochen noch andauern. Wenn das Krankheitsbild, wie bei Martina Hilgers, mehr als zwölf Wochen nach der Infektion noch besteht, spricht man von Post Covid.

Chefarzt war „schonungslos ehrlich“

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Ein Schlüsselerlebnis, das sie auch in einem Facebook-Bericht beschreibt, war das Gespräch mit dem Chefarzt der Reha-Klinik. „Bei meinem Termin war der Doc schonungslos ehrlich. Der Tenor war: Über Heilung reden wir zurzeit leider nicht - lediglich über die Hoffnung, die Symptome zu lindern.“ Bei vielen Post-Covid-Betroffenen lassen die Beschwerden nach einiger Zeit nach. Man braucht sehr viel Geduld. Martina Hilgers hofft, dass sie zu denjenigen gehört, die nahezu genesen. Wunder erwartet sie keine, sie verzichtet auf Medikamente, lässt sich von einer Ärztin naturheilkundlich unterstützen.

Sie versucht es mit einer Ernährung, die antientzündlich wirken soll, nimmt verschiedene Nahrungsergänzungsmittel. Eine Kältekammer habe sie schon ausprobiert, „das hat leider gar nichts gebracht“. Mittlerweile sei sie zur Erkenntnis gelangt: „Ich muss gar nichts. Ich mache nur noch, was mir gut tut.“ Sie klingt vorsichtig optimistisch. In jüngster Zeit seien ihre Schmerzen, besonders in den Füßen und Beinen, deutlich zurückgegangen. „Und manchmal kann ich nach der Arbeit noch einkaufen gehen, kochen oder sogar jemanden besuchen.“

Der Mülheimerin geht es nicht um Mitleid

Mit den Einblicken in ihren Post-Covid-Alltag will sie das Leiden transparent machen, auch losgelöst von ihrer eigenen Person. „Ich möchte nicht auf die Mitleidsschiene rutschen.“ Auch Fälle von anderen Betroffenen, die sie kennengelernt hat, sollen öffentlich gemacht werden. Auch um die Menschen in ihrem Umfeld soll es gehen: „Für die ist es auch nicht leicht.“

Martina Hilgers wirkt stark, doch ihre Sorgen sind spürbar. Sie hat Tränen in den Augen, als sie sie ausspricht: „Die Angst: Wie geht es weiter? Kann ich meinen Beruf überhaupt bis zur Rente ausüben?“ Besonders vermisse sie das Erlebnis, sich in der Natur zu bewegen, zu laufen, zu wandern. Die Krankheit habe ihr jedoch auch etwas gegeben: „Ich habe gelernt, was wirklich wichtig ist im Leben - Freunde, Familie, auf den eigenen Körper zu hören.“

Über all das möchte sie sich mit anderen austauschen, vielleicht eine Selbsthilfegruppe organisieren. Martina Hilgers ist über Facebook erreichbar (www.facebook.com/martina.hilgers.5) oder per Mail (Hilgers.Martina@web.de) und freut sich über Reaktionen. „Vielen lieben Dank, Martina!“, kommentiert eine Frau. „Mit deinen Beschreibungen unterstützt du auch viele andere, die von ihrer Außenwelt vielleicht als zu faul u.ä. kritisiert werden...“

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