Mülheim. Alarmglocken schrillen in Mülheims Rathaus: Eine Hochrechnung lässt vermuten, dass Bürger mit der Grundsteuerreform deutlich mehr zahlen müssen.
Stadtkämmerer Frank Mendack und Oberbürgermeister Marc Buchholz werden aktuell nicht müde zu betonen, dass die Grundsteuerreform und deren Berechnungsformeln nicht auf ihrem, auf Mülheimer Mist gewachsen sind. Dahinter steckt die Vorahnung, dass auf Eigentümer von Wohngrundstücken eine besondere Last zukommen könnte, sie 2025 quasi für eine Entlastung bei Wirtschaftsgrundstücken zur Kasse gebeten werden.
Die Grundsteuer ist in Mülheim ohnehin ein heikles Thema, seitdem der Stadtrat den Hebesatz 2019 in astronomische Höhen gehievt hatte. Satte 39 Prozent sattelte die satte politische Mehrheit von SPD, CDU und Grünen seinerzeit drauf. Seither ist in Mülheim ein fast nirgendwo anders zu findender Hebesatz von 890 Prozent festgesetzt. Mit diesem Hebesatz wird auf Basis des vom Finanzamt festgesetzten Steuermessbetrages (Grundsteuerwert x Grundsteuermesszahl) die jährlich für jedes Grundstück an die Stadt zu entrichtende Grundsteuer errechnet.
Erste Hochrechnung in Mülheim zeigt Tendenz: Wirtschaft zahlt in Zukunft weniger
Nun hat Kämmerer Mendack für die 20 größten Gewerbe- und Industriegrundstücke der Stadt abgefragt, welche Grundsteuerwerte das Finanzamt für die ab 2025 zu entrichtende Steuer festgesetzt hat. Das Ergebnis lässt die Alarmglocken im Rathaus schrillen: Laut aktuell gültigem Berechnungsverfahren würde die Stadt laut Mendackscher Hochrechnung von Eigentümern aller Wirtschaftsflächen in Mülheim in der Summe nur noch rund sechs Millionen Euro einnehmen unter der Annahme, dass der Hebesteuersatz bei 890 Prozent bleibt. Aktuell sind es rund zwölf Millionen Euro.
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Im Schnitt seien die Messbeträge für besagte 20 Gewerbegrundstücke in Mülheim um die Hälfte reduziert, so Mendack. Wäre alles kein Problem, wenn auch die Messbeträge aller Grundstücke für Wohnbebauung in Mülheim im Schnitt um 50 Prozent abnehmen würden. Doch Mendack und seiner Kämmerei, auch dem OB schwant Böses. Wenn diese nicht entsprechend sinken, würde dies bedeuten, dass die privaten Grundstücksbesitzerinnen und -besitzer, auch Wohnungsunternehmen und indirekt dann auch Mieterinnen und Mieter die Besserstellung der Wirtschaftsflächen bezahlen müssten.
Denn Städte und Gemeinden – und das ist erklärtes Ziel auch für Mülheim – sollen mit der Grundsteuerreform nicht mehr, aber auch nicht weniger Steuereinnahmen in der Kasse haben. In Mülheim liegen die Einnahmen aktuell bei rund 61 Millionen Euro. Kämmerer Mendack betont auch aktuell, der Politik für 2025 einen neuen Hebesatz vorschlagen zu wollen, der exakt für Einnahmen in Höhe dieser 61 Millionen Euro sorgen soll.
Steuerzahlerbund NRW sieht landesweiten Trend zur Umverteilung der Steuerlasten
Den Trend zur Entlastung von Wirtschaftsflächen haben dem Vernehmen nach schon mehrere Kommunen in NRW bemerkt, der Bund der Steuerzahler in NRW sieht landesweit diese Tendenz. Sein Steuerexperte Hans-Ulrich Liebern sieht die Gründe in der Bewertungsmethode der Grundstücke, die mit dem gewählten Bundesmodell in NRW greift. Einerseits sorge das Sachwertverfahren dafür, dass relativ alte Gewerbe- und Industriebauten niedriger bewertet würden, andererseits befördere die zusätzliche Orientierung an Bodenrichtwerten für niedrige Messbeträge bei Gewerbe- und Industrieflächen.
In Mülheim ist das deutlich ablesbar auf einer Karte der Bodenrichtwerte. Sie sollen den realen Wert von Grundstücken in Quadratmeterpreisen wiedergeben, sind aber stark abhängig davon, ob in jüngerer Vergangenheit Grundstücke den Besitzer gewechselt haben: Gibt es keine Kaufverträge, gibt es keine Wertanpassung. So ist etwa für die Vallourec- und große Teile des alten Mannesmann-Areals ein Richtwert von nur 40 Euro pro Quadratmeter ausgewiesen, aber für die benachbarten Wohngrundstücke westlich der Schützenstraße schon bis zu 320 Euro/m2. Nun steht die Vallourec-Fläche zum Verkauf, 40 Millionen Euro hatte im Frühjahr Investor Logicor geboten, das entspräche einem Quadratmeter-Preis von fast 120 Euro – also deutlich mehr als jene 40 Euro, die als Bodenrichtwert bestimmt sind. Problem nur: Ohne Kaufvertrag keine Anpassung des Bodenrichtwertes.
Mülheims Kämmerer: „Hätte man das vorher durchgerechnet. . .“
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Hans-Ulrich Liebern vom Steuerzahlerbund sieht eine große Umverteilung der Grundsteuerlasten auf NRW zukommen. Sollte der Landesgesetzgeber nicht reagieren, würden aller Voraussicht nach private Hausbesitzer die Zeche zahlen. Dabei habe die Landesregierung einen Hebel, um noch größeren Verwerfungen entgegenzutreten, bevor die Reform 2025 greift. Er könne abmildernd wirken, indem er die Steuermesszahl für die Grundsteuer gesetzlich neu festlegt. In NRW beträgt diese 0,31 Promille für Wohngrundstücke und 0,34 Promille für Nichtwohngrundstücke, also auch für Gewerbe- und Industrieflächen. Sachsen habe die Messzahl für Nichtwohngrundstücke in Abweichung vom Bundesmodell bereits 2021 heraufgesetzt, auf 0,72 Promille.
Etwas Ähnliches schwebt wohl auch Mülheims Stadtkämmerer vor, wenn er dieser Tage im Stadtrat beim Land NRW aufforderte, noch einmal nachzujustieren. „Hätte man das vorher durchgerechnet, wäre man nicht bei diesem Problem“, so Mendack. „Für die Städte ist klar: Es muss vermieden werden, dass es durch die Reform zu einer Lastenverschiebung zwischen Wohn- und Geschäftsgrundstücken kommt und womöglich Wohngrundstücke stärker belastet werden als Geschäftsgrundstücke“, sagt auf Anfrage aktuell auch Helmut Dedy, Geschäftsführer des Deutschen Städtetages.
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NRW-Städtetag fordert Landesregierung zum Handeln auf
Einigen Städten liegen laut Dedy inzwischen ausreichend Grundstücksbewertungen vor, um die Verteilungswirkungen der Grundsteuerreform beurteilen zu können. Es zeige sich eindeutig, dass durch die Reform systematisch Lasten weg von Geschäftsgrundstücken hin zu Wohngrundstücken verschoben würden. „Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie die Grundsteuermesszahlen für Geschäftsgrundstücke anhebt und so diese systematischen Mehrbelastungen für Mieterinnen und Mieter sowie Wohnungseigentümer verhindert“, so Dedy.
Auf Anfrage beim NRW-Finanzministerium zeigt sich die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen allerdings wenig gesprächsbereit. Ein Vergleich alter und neuer Grundstücksbewertung sei nicht zielführend“, da ja die Grundsteuerereform eben zum Ziel habe, bestehende, verfassungswidrige „Wertverzerrungen“ zu nivellieren. Auf die Frage, ob der Landesgesetzgeber noch einmal nachzuschärfen gedenke, um einer allzu großen Umverteilung der Lasten entgegenzuwirken, hieß es nur: „Das Bundesverfassungsgericht hat eine dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes entsprechende gleichmäßige Belastung der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten vorgegeben.“
Offenbar sieht das Land also keinen Bedarf für eine Gesetzesinitiative wie jene seinerzeit in Sachsen. Obwohl etwa Kommunalministerin Ina Scharrenbach in der Plenarsitzung des Landtags am 25. Oktober jene „Verschiebungen bei Unternehmensgrundstücken und Wohnungsgrundstücken“ auch negativ sah. Sie allerdings sah die Verantwortung allein bei der Bundesregierung. Die habe eine „schlechte Vorlage“ zur Grundsteuerreform gegeben. Dabei konnten die Landesgesetzgeber gemäß Öffnungsklausel selbst wählen, ob sie dem Bundesmodell eins zu eins folgen oder nicht.
Angst vor neuen Grundsteuer-Protesten in Mülheim – und das im Wahljahr 2025
In Mülheim macht das die Entscheidungsträger im Rathaus schon nervös. 2025, wenn Eigenheim-Besitzer und Mieter die neue, womöglich deutlich höhere Steuerlast erstmals zu tragen haben, stehen Kommunalwahlen an. Sollten die kalkulierten sechs Millionen Euro statt von der Wirtschaft von ihnen zu schultern sein, fürchten Kämmerer und OB erneut heftige Bürgerproteste in Mülheim.
Dann werde sich niemand mehr daran erinnern, dass Bund und Länder die Grundplanken zur Grundsteuerreform gesetzt haben, so die Sorge. „Es sind keine Probleme, die der Stadtrat ausgelöst hat“, betonte Mendack jetzt vor der Politik. OB Buchholz will die Hoffnung auf Einlenken der Landesregierung derweil noch nicht aufgeben: „Vielleicht nutzt das Land noch mal die Chance, an den letzten Stellschrauben zu drehen.“
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