Mülheim. Inobhutnahmen, häusliche Gewalt und immer wieder Übergriffe auf dem Schulhof: Was eine Sozialarbeiterin aus Mülheim an einer Realschule erlebt.
Im Schutze der Anonymität erzählt eine Schulsozialarbeiterin einer Mülheimer Realschule sehr offen von ihrem Berufsalltag. „Über 50 Jahre alt“ ist sie und hat viel Lebenserfahrung. Sie erlebt tagtäglich, wie sich die Situation an Mülheims Schulen weiter verschärft. Und ruft daher auf zur Teilnahme am bundesweiten Bildungsprotesttag am Samstag, 23. September, in Köln. Die Mülheimer Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft möchte mit möglichst vielen Kräften aus Schulen und Kitas, aber auch mit Eltern, Schülern und Studierenden dorthin fahren. Der Bericht der Sozialarbeiterin:
„Wir haben deutlich mehr herausfordernde Schüler und Schülerinnen als noch vor wenigen Jahren – das brennt mir auf der Seele. Die Kinder und Jugendlichen brauchen viel Aufmerksamkeit, sie sind motorisch oft sehr lebhaft, manche gewaltbereit, respektlos. Wir haben die ganze Bandbreite hier, auch Schüler mit psychischen Problemen oder großen Schwierigkeiten im Elternhaus.
Mülheimer Schulsozialarbeiterin: „Wir brauchen eine positive Lernatmosphäre“
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Wir möchten Gespräche mit allen führen, ihnen gerecht werden. Uns ist wichtig, dass es allen gut geht. Wir brauchen eine positive Lernatmosphäre. Noch sind wir ganz gut aufgestellt, doch es ist jetzt schon klar, dass wir ab kommendem Jahr personelle Lücken im Schulsozialarbeiter-Team haben werden. Und dass diese nicht aufgefüllt werden können. Es fehlt an Geld. Außerdem haben wir Fachkräftemangel und es ist schwer, geeignete Kollegen zu finden.
Wir brauchen dringend kleinere Klassen und mehr Lehrkräfte sowie Schulsozialarbeiter. Irgendwann kann man nämlich nicht mehr: Wenn man es morgens schon mit einer Inobhutnahme zu tun hatte, mittags mit einem Fall häuslicher Gewalt und nachmittags schon wieder Streit schlichten muss, dann ist das zu viel. Das kann man mal einen Tag machen, vielleicht auch eine Woche, aber irgendwann schafft man das nicht mehr. Das sieht man auch am hohen Krankenstand im Kollegium.
„Bei den Kleinen gehe ich dazwischen, bevor die sich blutig schlagen“
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Wenn richtig Streit unter den Jungs ist, derbe Beschimpfungen fallen und zum Beispiel eine Mutter beleidigt wird, fliegen schnell die Fäuste. Ich bin eher groß gewachsen, bei den Kleineren traue ich mich noch dazwischenzugehen, bevor die sich blutig schlagen. Ich bin aber schon deutlich vorsichtiger geworden. Ich habe Angst einen abzukriegen. Einer Kollegin ist das schon passiert und die hatte hinterher richtig Probleme.
Ich komme hier oft an Grenzen. Auch, wenn Jungen mich als Frau nicht ernst nehmen, weil sie aus einem anderen Kulturkreis kommen. Leider verstehen auch Eltern häufiger nicht, wie Schule hier funktioniert.
„Man schreibt eher was Schlimmes, als dass man es dem anderen direkt ins Gesicht sagt“
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Ich weiß nicht genau, warum sich die Situation so verschärft hat. Das hat viele Gründe. Corona spielt wohl eine Rolle. Auch das Internet: Früher sah man Mitschüler in der Schule, und da gab es auch mal Konflikte. Aber zumindest nachmittags hatte man seine Ruhe. Heute ist das Handy immer am Start, hat man nie mehr Erholungsphasen. Und im Netz kann man auch einfacher beleidigen. Man schreibt eher mal was Schlimmes, als dass man es dem anderen direkt ins Gesicht sagt.
Ich glaube leider, dass viele Eltern mit der Situation überfordert sind und nicht eingreifen. Es ist leichter ,Mach mal’ zu sagen und die Augen zu verschließen, als sich damit auseinanderzusetzen. Aber eben nicht auf Dauer: Irgendwann haben die Kinder große Probleme. Und wir dann eben auch.“