Mülheim. Auf dem Areal der alten Stadtgärtnerei in Mülheim soll im Rekordtempo ein Flüchtlingsquartier entstehen. Es könnte Modell sein für andere Städte.
„Wir haben 18 Monate zugesagt – und das werden wir auch halten“, zeigte sich der Vorstandsvorsitzende der Wohnungsbaugenossenschaft Mülheimer Wohnungsbau (MWB), Frank Esser, am Montagabend am Rande einer Bürgerversammlung überzeugt, auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei neben dem Hauptfriedhof zügig ein Quartier zur Flüchtlingsunterbringung hochziehen zu können.
Bekanntlich wollen MWB und Stadt vertraglich eine enge Kooperation in der Unterbringung geflüchteter Menschen eingehen, wofür der Stadtrat in seiner Sitzung am 21. September die Freigabe erteilen soll. Drei Bestandteile sollen Teil der Kooperation sein. So will sich der MWB verpflichten, der Stadt zur Unterbringung von Flüchtlingen jährlich bis zu 150 Wohnungen aus dem eigenen Bestand zur Verfügung zu stellen. Die Stadt hat dem Wohnungsbauunternehmen gleichzeitig versichert, für öffentlich geförderten Wohnraum für alle Bürgerinnen und Bürger Baurecht auf dem ehemaligen Mannesmann-Sportplatz in der Papenbusch-Siedlung in Dümpten zu schaffen.
Mülheimer Wohnungsbau will elf Wohnblöcke mit 135 Wohnungen bauen
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Ein Großprojekt soll es auf dem Areal der alten Stadtgärtnerei in Holthausen geben. Hier soll dem MWB mittels einer Sonderregel im Baugesetzbuch für den Bau von Flüchtlingsunterkünften (§ 246) ermöglicht werden, alsbald schon qua einfacher Baugenehmigung elf dreigeschossige Wohnblöcke mit insgesamt 135 Drei- bis Vier-Raum-Wohnungen zu bauen. So sollen darin möglichst zeitnah geflüchtete Menschen unterzubringen sein. Die Stadt will auf diese Weise angesichts weiter hoher Flüchtlingszahlen nicht Gefahr laufen, wieder Sporthallen wie zuletzt die Harbecke-Halle belegen zu müssen, so Sozialdezernentin Daniela Grobe.
Die Stadt will mit diesem Projekt für realistisch 470 bis zu 500 Bewohner (theoretisch wäre Platz für 626 Betten) auch die Voraussetzungen schaffen, um im Sommer 2025 nicht mehr auf die Zentrale Unterbringungseinheit (ZUE) an der Parsevalstraße in Raadt angewiesen zu sein, um ihr Unterbringungs-Soll zu erfüllen. Grobe versicherte am Montagabend und wiederholte auf Nachfrage eines Bürgers die Vereinbarung, dass der auf zwei Jahre in Raadt geschlossene Mietvertrag nur dann zwei Mal um jeweils ein Jahr verlängert werde, wenn die Stadt dem zustimme. Dies habe man sich vom Regierungspräsidenten als Betreiber der ZUE schriftlich bestätigen lassen. „Wir tun alles dafür, dass die ZUE nach zwei Jahren schließt“, so Grobe.
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Sozialdezernentin: „Wir tun alles dafür, dass die ZUE nach zwei Jahren schließt“
MWB-Vorstand Esser und der Technische Leiter der Genossenschaft, Carsten Czaika, stellten am Montagabend in der Aula der Luisenschule interessierten Bürgern die Entwürfe für die elf Wohnblöcke und einen Quartierspavillon für Verwaltung, Technik, etc. am Hauptfriedhof in Holthausen vor. Gerade einmal rund 50 Teilnehmer zählte die Veranstaltung, darunter zahlreiche Vertreter aus der Verwaltung und von Parteien. Anfang März bei einer Informationsveranstaltung zur ZUE in Raadt war die Aula noch aus allen Nähten geplatzt, der Zugang war nicht allen Interessierten möglich gewesen.
Um einen Quartiersplatz und eine Spielstraße herum sollen sich die Wohnblöcke mit Südbalkonen anordnen, eine Zufahrt über die Zeppelinstraße (Höhe Einmündung Rembergstraße) entstehen. Der MWB will Bauen im schnellen Tempo möglich machen, mit vorgefertigten Bauelementen und in Holzbauweise, dabei den Standard von Effizienzhäusern 40 oder gar 40+ erfüllen. Dach- und Fassadenbegrünungen soll es geben, Photovoltaik auf den Dächern und eine zentrale Wärmeerzeugung über eine Luft-Wärme-Pumpe.
Architektonischer Clou soll Umwandlung in bezahlbare Wohnungen möglich machen
Der Clou aber soll sein, dass der MWB diese Flüchtlingsunterkünfte nach einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren in Sozialwohnungen für jedermann umwandeln könnte; dafür sind noch baurechtliche Voraussetzungen über ein Bebauungsplanverfahren zu schaffen. Für diesen späteren Schritt haben Architekt Czaika und sein Team ein ausgeklügeltes Grundriss-System entwickelt. Es soll möglich machen, die Wohnungen durch Herausnahme von Wänden mit wenig Aufwand in Wohnungen zu verwandeln, die mehr als die Mindestgrößen zur Flüchtlingsunterbringung (12-14 m2 pro Person) bieten, nämlich die Maßgaben nach Wohnraumförderungsbestimmungen erfüllen.
Czaika zeigte auf, wie etwa aus einer Wohnung für sechs Geflüchtete eine Zwei-Raum-Wohnung mit 63 Quadratmetern werden könnte oder durch Hinzunahme einer weiteren Einheit eine Vier-Raum-Wohnung mit 95 Quadratmetern, die etwa für eine vierköpfige Familie mit SGB-II-Leistungsbezug als adäquat gilt. Bezahlbare Wohnungen mit einem bis vier Räumen könnten so für die Zukunft geschaffen werden, auch in rollstuhlgerechter Barrierefreiheit.
Bauantrag ist gestellt, erster Spatenstich soll laut MWB Anfang 2024 erfolgen
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Ein „besonderes Projekt“ sei das, so Planungs- und Baudezernent Felix Blasch. Es sei im Sinne der Nachhaltigkeit, nicht auf Container zu setzen, sondern auf eine spätere Umwidmung in ein allgemeines Wohngebiet. Sozialdezernentin Grobe betonte den innovativen Ansatz, der auch NRW als Fördergeberin überzeugt habe. Das Land habe extra seine Richtlinien für öffentlich geförderten Wohnungsbau geändert, um das Mülheimer Projekt unterstützen zu können. Was hier geschaffen werde, „könnte Modell sein für andere Städte“, so Grobe. Auch MWB-Architekt Czaika sprach von einem „Vorzeigeprojekt“.
Den Bauantrag hat der MWB schon gestellt. Vorstand Esser hofft auf eine Genehmigung vielleicht noch in diesem Monat, „dann werden wir sofort ein Bauschild aufstellen“. Noch in diesem Jahr wolle man den alten Glasbau der Stadtgärtnerei abreißen, im ersten Quartal 2024 anfangen zu bauen. Schon ein Jahr später, im Frühjahr 2025, sollen die Bauten bezugsfertig sein, so das ehrgeizige Vorhaben des MWB. Dezernent Blasch sagte allerdings, es seien noch eine Reihe von Fragen abzuarbeiten, bevor die Stadt eine Baugenehmigung erteilen könne. Einem Abriss der Gärtnerei-Ruine stehe aber nichts im Wege.
Bürger äußern vereinzelt Unmut: MWB-Chef kontert entschieden
Von anwesenden Bürgern kam vereinzelt Kritik. Nachbarn der ZUE in Raadt etwa stellten infrage, dass eine gute Integration der künftigen Bewohner organisiert werden kann – etwa bemängelte einer von ihnen, dass das skizzierte Quartier abgeschottet hinter Bäumen im Niemandsland verortet sein wird. Hier drohe sich eine „Parallelgesellschaft“ zu bilden. Sozialamtsleiter Thomas Konietzka hielt dagegen, dass die Stadt mit eigenen Kräften erste Integrationsschritte begleiten werde, Ehrenamt hinzukomme und überhaupt schon die Möglichkeit, in einer Wohnung statt in einer Sammelunterkunft wohnen zu können, den Menschen das Ankommen erleichtere.
Auch mahnten Bürger, die Versorgung mit Kita- und Schulplätzen im Blick zu halten. Pfarrer Dietrich Sonnenberger verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass etwa bald schon eine neue Kita an der Parsevalstraße in Raadt entstehen werde. In der Kita- und Schulplanung steht die Stadt aber bekanntlich vor großen Herausforderungen wegen der gestiegenen Anmeldezahlen.
Auch MWB-Vorstand Esser musste vereinzelt harsche Kritik parieren. Ein Bürger stellte infrage, dass der Bau einer Flüchtlingsunterkunft überhaupt ein legitimer Geschäftszweck der Genossenschaft sei, der MWB solle die Neubauten doch besser deutschen Senioren zur Verfügung stellen. Esser entgegnete entschieden: Neben dem Vorstand hätten auch Aufsichtsrat und die gewählte Vertreterversammlung das Projekt abgesegnet. Ein Geschäftszweck sei ja nun auch die verlässliche Dividenden-Ausschüttung von vier Prozent an die Mitglieder. . . Esser betonte, er wohne selber in Holthausen. Es sei eine Verpflichtung, „allen Menschen, die nach Deutschland kommen, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. In unserer Satzung steht nichts von Nationalitäten.“
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