Mülheim. So sehr der neue Nahverkehr den Mülheimern Geduld abverlangen wird: Er ist im Kern richtig und darf nicht an Gewohnheit scheitern. Ein Kommentar.
Für die kommenden Schuljahre kann Mülheims Kämmerer vielleicht ein paar Schulcontainer mehr einplanen. Dann nämlich, wenn Mülheimer Eltern es sich zwei Mal überlegen, ob sie ihre Kinder zu weiterführenden Schulen in die Nachbarstädte schicken. Insofern ist der neue Nahverkehrsplan als schulpolitische Strategie zur Stärkung Mülheimer Bildungsstätten bereits ein Erfolg.
Aber ganz ohne Ironie: Den Mülheimern wird wieder einmal Resilienz abgefordert. Denn natürlich kämpft der prinzipiell ehrgeizige Neuentwurf des Nahverkehrs mit dem gewohnten Mülheimer Trott: Dass man etwa schon Wochen vorher alte Pläne durch neue ersetzte, obwohl die alten Linien noch fuhren. Dass man alte Linien umbenannte wie Raider in Twix. Und mancher will am Freitag sogar Linien mit neuer Auszeichnung gesehen haben, die aber auf den alten Strecken fuhren. Es wird von oben weiterhin zu wenig kommuniziert, zu viel am Reißbrett entschieden, zu wenig beteiligt und am falschen Ende gespart.
Was man sich in Mülheim wirklich hätte sparen können: den Schienenabriss
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Man denke nur an den steuerverschwenderischen wie kurzsichtigen Abriss der Linie 104 über den Kahlenbergast zum Flughafen, der – kaum hat man die Infrastruktur beseitigt – jetzt wieder zum blühenden Gewerbegebiet ausgebaut werden soll. Das hätte man sich ausnahmsweise wirklich sparen sollen.
Erwartbar also werden in den kommenden Tagen weitere Pannen zutage treten. Mülheimer in ihre gewohnten Linien einsteigen – und „unerwartet“ ganz woanders herauskommen. Sie werden an Haltestellen warten müssen, weil der Anschluss gerade weg ist und der nächste Verspätung hat. Die überraschende Entdeckung, dass Speldorfer Kinder zur Elsa-Brändström-Schule wollen und ältere Menschen zu ihren Ärzten, ist nur Sinnbild dafür.
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Durchhalten, Mülheim: Der Neuanfang braucht eine echte Chance
Und doch: Der Neuanfang des Nahverkehrs mit einem ambitionierten Konzept war und ist richtig, wenn nicht sogar ökologisch überlebenswichtig. Und manches wird neue Chancen bieten: die stärkere Taktung von der Saarner Kuppe bis zur Innenstadt, die neuen Ringbusse, die verbesserten Linien nach Kettwig, Ratingen, durch Styrum.
Nur passt eben eines nicht dazu: ein Sparplan. Denn funktionieren wird der Neustart nur, wenn der Takt stimmt. Also durchhalten und nachfordern. Denn eines darf nicht passieren: Dass es gelingt, den gesellschaftlich wichtigen Nahverkehr zu zerstören – in unseren Köpfen.