Mülheim. Wegen der veränderten Buslinie 122 zwischen Mülheim und Oberhausen fahren Speldorfer Schüler nun doppelt so lang. Warum hat das niemand gemerkt?
Johanna reicht’s schon jetzt: Eine Stunde und 15 Minuten hat die Zwölfjährige am Freitagmorgen gebraucht, um von ihrer Haustür in Speldorf zur Schultür des Elsa-Brändström-Gymnasium in Oberhausen zu kommen. Bis vor den Sommerferien waren es rund 25 Minuten. Doch wenn zum Schulbeginn am Montag der neue Fahrplan gilt, gibt’s die Direktverbindung – den Bus 122 – nach Speldorf nicht mehr. Nicht nur etliche Schüler und Eltern im Viertel sind betroffen.
Einsteigen in den Bus, Aussteigen nahe dem Schulgebäude – denn da hält die Linie 122 ja weiterhin. Doch eben nicht für Speldorfer, weil der Bus von Mülheim Hauptbahnhof über Styrum fährt.
Ab Montagmorgen sieht Johannas Weg deshalb so aus: Mit der neuen Linie 125 erst einmal in Gegenrichtung zum Mülheimer Hauptbahnhof. Dort wartet sie rund 20 Minuten auf die nächste S-Bahn nach Oberhausen, weil die vorherige ja gerade abgefahren ist. Vom Bahnhof Oberhausen noch einmal acht Minuten zu Fuß im Eiltempo von Gleis 11 in die siebte Klasse des Oberhausener Gymnasiums an der Christian-Steger-Straße.
Mülheimer Schüler: „Das ist ein echtes downgrade“
Auch interessant
Gut 50 Minuten dauert das wohl im Normalfall, neue Abfahrtszeit: 6.45 Uhr, um pünktlich zur ersten Stunde um 8.15 Uhr antreten zu können. Bei Johannas Testfahrt am Freitagmorgen hatte die S-Bahn Verspätung – das kommt auch nicht gerade selten vor. Und das von nun an jeden Tag? Johannas Mutter ist besorgt, entsetzt: 20 Minuten am Mülheimer Bahnhof stehen, durch den Oberhausener Bahnhof hetzen? Wenn’s dunkel ist, im Winter? Kein beruhigender Gedanke sei das bei dem schlechten Zustand der Bahnhöfe, sagt sie.
Und das nunmehr allein, denn die Fahrplanänderung spaltet auch die Schülergemeinschaft. Johannas Freundinnen Elisa und Sarah sitzen künftig im neuen Ringbus 129, weil der näher an ihrem Zuhause liegt. Umsteigen müssen aber auch sie: am S-Bahnhof Styrum, wo sie mit der S-Bahn fahren könnten oder in den gewohnten 122 umsteigen. Doch auch da sind die Anschlüsse holprig, weil der 129 im Halbstundentakt ankommt, alle anderen aber alle 20 Minuten.
Und wohl ist ihnen beim Gedanken, sich im Winter durch den Oberhausener Bahnhof schleppen zu müssen, auch nicht: „Wir haben oft noch Sportsachen dabei oder Musikinstrumente“, sagt Elisa. Julius (9), der in die fünfte Klasse geht, versteht den Sinn der Streckenänderung nicht: „Es war vorher so einfach, jetzt steige ich zwei Mal um.“ Und für Nadina (12) und Senedin (15), die nun mit Umsteigen von der Linie 129 auf die Straßenbahnlinie 112 ausweichen, um nicht am Hauptbahnhof zu landen, ist die Änderung „ein echtes downgrade“.
Direktverbindung war ein Grund, die Kinder in Oberhausen anzumelden
Auch interessant
Die beste Alternativroute zu finden, sei übrigens gar nicht einfach, berichtet Mutter Verena Faust. Zu viert und mit mehreren Apps hätten sie versucht, optimale Linienverbindungen auszuklügeln. „Jede App hat irgendwas anderes angezeigt“, sagt Faust. Und selten die wirklich optimale Lösung.
„Hätten wir das vor zwei Jahren geahnt, dass die Verbindung gekappt wird, als wir unsere Kinder beim Elsa angemeldet haben...“, meint Kerstin Hagedorn stellvertretend für einige betroffene Eltern. Doch damals war die Direktverbindung von Speldorf aus ideal und schneller als in manche Mülheimer Schule - für nicht wenige ein wichtiges Kriterium in einer Metropole Ruhr, die Stadtgrenzen doch überwinden will.
Von der Umstellung hatten viele erst vor zwei Wochen erfahren – an der Schule oder von der Ruhrbahn sei das vorher nicht kommuniziert worden. Als erste Reaktion hätten sie daran gedacht, eine Art Elterntaxi untereinander zu organisieren, „aber das kann es doch auch nicht sein“, sagen sie. Man soll doch mit dem Bus fahren.
Eltern wollen mit einer Aktionsgruppe und Online-Petition Druck ausüben
Stattdessen gründeten sie schnell eine Aktionsgruppe. Nicht nur die Schulleitung des Gymnasiums hat sich solidarisch mit dem Anliegen erklärt - nicht wenige Schüler kommen aus Mülheim hierhin. Rund 16 betroffene Familien haben sich bereits bei ihnen gemeldet. Eine Online-Petition bei Change.org „Verbindung gekappt? Direktverbindung Bus 122 abgeschafft!“ nebst wirksamer Visualisierung soll die Chance bieten, mit vielen Betroffenen in Kontakt zu kommen. Auch mit älteren Menschen, die nun etwa ihre Ärzte nicht mehr direkt erreichen. 270 Menschen haben bis zum Sonntagnachmittag dort unterschrieben.
Mülheims neuer Nahverkehr – mehr zur Debatte lesen Sie hier
- 20 Busse pro Stunde: Droht Mülheimer Viertel Stau und Lärm?
- Wie Mülheim-Heißen künftig zur Drehscheibe in alle Richtungen wird
- In siebeneinhalb Minuten von der Innenstadt nach Mülheim-Saarn
- ÖPNV in Selbeck: Stadtteil wird weiter von drei Buslinien bedient
- Bus und Bahn in Broich: Das ÖPNV-Netz ab August
Auch für den 77-jährigen Speldorfer Wolfgang Schmidt und seine Frau (90) war der 122er bislang eine ideale Verbindung. Jetzt bleiben ihnen zwar die Linie 125, die vorher 124 hieß, oder die 129. Doch an beiden Haltestellen gebe es keine Überdachung und Sitzmöglichkeiten. Für ältere Menschen, die gehbehindert sind, ist das ein großes Problem. „Wir wurden abgehängt. Hat niemand darauf geschaut, was man mit der Änderung anrichtet? Der neue Fahrplan wird uns dazu bringen, doch wieder mehr mit dem Auto zu fahren“, sagt Schmidt, der das eigentlich nicht will.
So wollen Mülheims Politik und Ruhrbahn reagieren
Auch interessant
Erreicht hat der Ärger über die gekappte Linie schon die Politik. Timo Spors, Grüner Vorsitzender im Mobilitätsausschuss und im Aufsichtsrat der Ruhrbahn, versucht den Ärger und den Schaden zu begrenzen: Die Bearbeitung der Schul-Einsatz-Wagen stehe an, man will in Kürze nachbessern. So böte sich an, entweder mit Einsatzwagen den Umstieg am Styrumer Bahnhof zu verbessern. Oder man richtet morgens mit Einsatzwagen eine Direktverbindung zum Elsa ein. Für beide Lösungen sieht der Grüne Verkehrsexperte gute Chancen, denn es seien genügend Menschen betroffen.
Warum dann aber das Schulwege-Problem überhaupt weder der Ruhrbahn noch der Politik auffiel? Absprachen, so Spors, habe es mit den Schulen im Dezember und kurz vor den Sommerferien gegeben – allerdings nur den Mülheimern. Dort seien zuletzt keine Probleme benannt worden. Auch die Stadt Oberhausen sei in die neue Linienführung des 122ers eingebunden gewesen. Von dort soll es ebenfalls keine Hinweise gegeben haben.