Mülheim. Seit 1923 gibt es bei Pips in Mülheim Waffen und Eisenwaren. Was denkt der Geschäftsinhaber, wenn jemand bei ihm einen Baseballschläger kauft?

Der schmale Laden an der Bachstraße, etwa am Fuß der Friedenstreppe, ist ein Mülheimer Original: Waffen und Stahlwaren Pips. Schachteln mit Munition stapeln sich hinter Glas in Regalen, eine wuchtige, nostalgische Registrierkasse thront auf dem Tresen, ein Elchgeweih hängt über dem Durchgang zum Hinterstübchen. Scharfe Revolver kann man hier kaufen, ebenso filigrane Nagelscheren. Geheimagenten werden theoretisch ebenso fündig wie Pflegedienst-Teams.

Der Familienbetrieb ist jetzt 100 Jahre alt. Groß gefeiert wird nicht, immerhin hat die IHK dem Inhaber Thomas Pips (69) ein Jubiläumsdiplom überreicht. Und ein exklusives Schweizer Taschenmesser von Victorinox kann man bei Pips kaufen, im Ruhrgebietsdesign - auf dem Griff steht „Kohle & Stahl“, auf der Klinge erkennt man das Firmenlogo von Waffen Pips. Ein Fanartikel, der offenbar recht gut läuft.

Mülheimer Traditionsladen Pips: Küchenmesser und Stichwaffen

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Generell macht Pips mittlerweile einen erheblichen Teil seines Umsatzes mit Messern. Blöcke für die Küche hat er ebenso im Sortiment wie diverse Stichwaffen. Gerade hat sich ein Kunde, ein jüngerer Mann, von ihm ausführlich beraten lassen. Der Mann verlässt das Geschäft mit einem hochwertigen Klappmesser. Was wird er damit anstellen? Thomas Pips, leicht amüsiert: „Es kann sein, dass er das Messer beruflich braucht, um damit Kartons zu öffnen. Oder er fühlt sich damit sicherer.“

In einer Vitrine steht ein Bündel Baseballschläger, silbrig glänzend. Das hier ist kein Sportgeschäft, was denkt der Inhaber, wenn jemand einen Alu-Knüppel kauft? Thomas Pips sagt: „Man sollte nicht so viel denken. 99 Prozent der Kunden kaufen so etwas zum Selbstschutz.“ Für diese Zwecke hat er auch Schreckschusswaffen im Sortiment, Pfefferspray, Elektroschocker. Weit entfernt ist dies von den Anfängen des Traditionsgeschäftes, als vor allem Sportschützen und Jäger bedient, Gewehre selber gefertigt wurden.

Mülheimer Waffengeschäft mit Büchsenmacherei eröffnete 1923

Paul Pips, Großvater des aktuellen Inhabers, geboren 1885 in Mülheim, eröffnete das Waffengeschäft mit Büchsenmacherei 1923 gemeinsam mit seiner Frau Käthe. Angefangen haben sie auf der Eppinghofer Straße 28. Paul Pips, der den Ersten Weltkrieg als Soldat nach einem Kopfschuss nur knapp überlebt hatte, lernte das Büchsenmacherhandwerk in Suhl/Thüringen, ebenso wie später sein Sohn Heinrich, genannt Henner. Ihre Meisterbriefe hängen heute noch gerahmt im Laden.

Schaufenster des ursprünglichen Geschäftes von Pips an der Eppinghofer Straße 28 in Mülheim.
Schaufenster des ursprünglichen Geschäftes von Pips an der Eppinghofer Straße 28 in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Henner Pips, selber passionierter Jäger, verstand es, Gewehre selber zu fertigen und zu reparieren. „Der Schweiß tropft“, schrieb ein Zeitungsreporter, der ihn 1971 bei der anstrengenden Arbeit an der Werkbank beobachtete und die Montage eines Zielfernrohres beschrieb: „Feilen, immer wieder feilen...“ Bis kurz vor der Jahrtausendwende stand Henner Pips in der eigenen Werkstatt. Für hochwertige Handarbeit zahlten Jäger zu jener Zeit noch satt fünfstellige D-Mark-Beträge.

Viele Schwerindustrielle kauften Jagdwaffen in Mülheim

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Seit den fünfziger Jahren hätten viele Schwerindustrielle aus dem Ruhrgebiet zur kaufkräftigen Kundschaft gezählt, berichtet Thomas Pips. „Selbst Berthold Beitz kam zu uns. Bergwerkdirektoren haben Jagdwaffen gekauft.“ Bosse von Thyssen Schachtbau, von Krupp… „Die haben nicht gefragt, was es kostet, sondern nur: ,Bis wann können Sie liefern?’“

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe das Geschäft floriert, berichtet Pips. Bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigten sie, die ganze Familie arbeitete mit. Den ursprünglichen Standort musste der Laden verlassen, als Anfang der siebziger Jahre das City-Center gebaut wurde, das heutige Forum. Das Gebäude an der Eppinghofer Straße wurde abgerissen, Pips zog in ein großes Ladenlokal am Fuße des ehemaligen Iduna-Hochhauses und blieb dort nahezu zwei Jahrzehnte lang.

Haushaltsscheren in riesigen Mengen, Jagdbekleidung, Zinnteller

Bis zum Umzug an die Bachstraße im Jahr 1990 war die Ladenfläche der Waffen- und Stahlwarenhandlung wesentlich größer. „Wir hatten zum Beispiel Haushaltsscheren und -messer in riesigen Mengen“, sagt der Geschäftsinhaber, „das war ein wichtiges Standbein. Ebenso Jagdbekleidung: Gummistiefel, Hosen, Hüte, Handschuhe.“ Auch Zinnteller mit dem Mülheimer Stadtwappen hätten sich glänzend verkauft. Oder Sportpokale und -figuren für Kegel- und Schützenvereine. Viele Clubs haben sich aufgelöst. Die übrigen ordern Trophäen online. „Das Internet hat uns das Geschäft kaputt gemacht.“ Einzige Zinnbecher stehen verloren in der Vitrine. Thomas Pips verschenkt sie.

Geschäftsgründer Paul Pips (re.) und Sohn Heinrich in den frühen siebziger Jahren. Beide standen bis zu ihrem Tod selber im Geschäft.
Geschäftsgründer Paul Pips (re.) und Sohn Heinrich in den frühen siebziger Jahren. Beide standen bis zu ihrem Tod selber im Geschäft. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Er selber ist vor vier Jahrzehnten in den Familienbetrieb eingestiegen, nach abgebrochenem Jurastudium. Drei Pips-Generationen haben unzählige Stunden, sehr viel Lebenszeit hinter dem Verkaufstresen verbracht, umgeben von Messern, Gewehrfutteralen, Pistolen. Der Großvater stand noch als 80-Jähriger im Geschäft, der Vater, Jahrgang 1926, hielt dort bis zu seinem Tod im Jahr 2000 täglich die Stellung. Sohn Thomas hat das reguläre Rentenalter auch schon um vier Jahre überschritten. Kinder hat er nicht.

Nachfolger für das Geschäft wird gesucht

Neuerdings öffnet er seinen Laden montags und donnerstags immer erst um 15 Uhr. Er sagt: „Jetzt ist der Punkt gekommen, wo ich durch den sozialen Wandel in der Mülheimer Innenstadt stark beeindruckt bin und mein Leben genießen möchte. Ich kann mich aber nicht von jetzt auf gleich zurückziehen. Es soll schrittweise gehen.“

Im kommenden Jahr würde er das Geschäft gerne einem Nachfolger übertragen. Es gebe im Kundenkreis einen Interessenten: „Er kauft hier ab und zu freie Waffen und hätte Spaß daran.“ Allerdings müsste er noch die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen, eine Waffenhandelserlaubnis beantragen und erhalten. Die Prüfung sei schwierig. Plan B? Ein junger Mann, der momentan noch Medizin studiert, würde das Geschäft gerne in Form eines Onlinehandels übernehmen. „Plan C ist, ich mache komplett zu.“ Dass es so weit kommt, 101 Jahre nach Eröffnung, hofft Thomas Pips nicht.

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