Mülheim. Die Weichen für die Mülheimer Energiewende werden gestellt: Auf Freiflächen gibt’s reichlich Platz für Photovoltaik. Jetzt braucht es Pioniere.

Um Einrichtungen, Haushalte, Verkehr und Bewohner in Mülheim künftig mit genügend klimafreundlicher erneuerbarer Energie zu versorgen, muss die Stadtverwaltung den Ausbau von Wind- und Solaranlagen geradezu verdoppeln. Rund 395 Megawattpeak jährlich müssten allein aus Photovoltaikanlagen in der Stadt strömen, derzeit sind’s 18. Mit PV-Anlagen auf Parkplätzen, Ackern und anderen Freiflächen könnte Mülheim ein gutes Drittel davon stemmen. Im Umweltausschuss gab es dafür einen Startschuss.

Und dieser Knall für die lokale Energiewende ist so neu wie wichtig. Denn bislang gab es Aufbruchstimmung im Wesentlichen auf dem Papier: So schien, als der damalige Umweltdezernent Peter Vermeulen vor einigen Jahren ein sogenanntes Potenzialflächenkataster für Freiflächenphotovoltaik erstellen ließ, das fast Science-Fiction zu sein. Die Abstandsregeln von Windkrafträdern werden schrumpfen, Vergütungen von Strom oder gar Fördermittel als Anreiz für Photovoltaikanlagen wieder steigen – so seine Prognose von 2017.

Warum der Mülheimer PV-Plan wiederbelebt wird

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Der eigentlich weitsichtige Plan, der Mülheims Stromhunger klimaneutral mildern könnte, wanderte jedoch nicht zum Beschluss in den Rat, sondern dorthin, wo die Sonne nicht scheint – in eine dunkle Büroschublade. Denn schließlich gab es günstig Gas, Öl und Kraftstoff, und Anreize, wie die Vergütung für private dezentrale Stromeinspeisung, hatte der Bund kontinuierlich abgeschmolzen.

Nun aber drückt der Schuh und die Politik aufs Tempo: So soll nach Wunsch der EU das Genehmigungsverfahren für definierte Solarenergieanlagen auf drei Monate beschränkt werden, für PV-Anlagen auf künstlichen Strukturen – also Parkplätzen, Halden, Deponien und Gebäuden – soll keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr notwendig sein. Und Anlagen unter 50 Kilowatt sollen automatisch positiv beschieden werden, wenn die Behörden innerhalb einer bestimmten Frist nicht entschieden haben sollten (Genehmigungsfiktion).

Mehrere Hundert Flächen für Photovoltaik hat die Leiterin der Stabsstelle für Klimaschutz analysiert und ausfindig gemacht. Jetzt braucht es eine weitere Ausarbeitung, den Ratsbeschluss und – Investoren.
Mehrere Hundert Flächen für Photovoltaik hat die Leiterin der Stabsstelle für Klimaschutz analysiert und ausfindig gemacht. Jetzt braucht es eine weitere Ausarbeitung, den Ratsbeschluss und – Investoren. © funkegrafik nrw | Jill Starke

Solarenergie auf Mülheimer Freiflächen: So will man Investoren locken

Der Teufel aber steckt im Detail: Damit die Beschleunigung greift, müsste Mülheim einen Plan für Solaranlagen im Außenbereich haben, für den zumindest eine „Strategische Umweltprüfung“ durchgeführt wurde. Und so erblickt Vermeulens Kataster im Umweltausschuss unerwartet wieder das Licht der Welt.

Aus Sicht von Ulrike Marx, Leiterin der Klimaschutzstabstelle und maßgebliche Entwicklerin des Flächenkatasters, sind rund 315 Hektar an kleinen Gebieten bis zu 1,5 Hektar, mittleren bis zu drei und großen Gebieten mit über drei Hektar Fläche verzeichnet. Gerade solche ab 20.000 Quadratmeter (zwei Hektar) seien für Investoren wirtschaftlich besonders interessant, betonte Marx im Umweltausschuss.

Ein weiterer Vorteil: Die Flächen sind so gut wie überall in der Stadt zu finden, entlang von Autobahnen im Norden (A 40) und Süden (A 52), auf Gewerbeflächen im Westen und Osten, auf Parkplätzen. Und könnten daher dezentral Stadtgebiete versorgen.

190.000 Quadratmeter Fläche hält Mülheim für Photovoltaik bestens geeignet

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81 potenzielle Standorte mit einer Größe von insgesamt 190 Hektar hatte die Stadt damals bereits enger ins Auge gefasst, weil sie unter Förderkriterien des Erneuerbaren Energie Gesetzes (EEG) am besten geeignet schienen.

Mülheims Energiewende könnte damit einen wichtigen Schub in Richtung Klimaneutralität bekommen. Allerdings ist auch Vermeulens Kataster noch weit davon ab, die Anforderungen einer kommunalen Strategie und somit der EU-Notfallverordnung zu erfüllen. Es fehlt unter anderem ein Ratsbeschluss dazu. Und auf einen weiteren Bremsklotz machte Vermeulens Nachfolger Felix Blasch im Umweltausschuss aufmerksam: Eine artenschutzrechtliche Prüfung sei bei Freiflächen-PV-Anlagen weiterhin erforderlich. Die allein dauere zumeist ein Jahr, „so richtig beschleunigt ist das Verfahren noch nicht“, warnte Blasch vor falschen Erwartungen.

Wer nun auf schnelle Umsetzung drängt

Und doch: Diesmal wanderte Vermeulens Kataster nicht zurück in die Schublade. Wie aufwendig wäre es, einen solchen Plan zu erstellen, drängte Oliver Linsel (Die Grünen) auf eine baldige Ausweisung von Potenzialflächen. Die SPD, die bereits mehrfach solche Flächen etwa am Flughafen angeregt hatte, sekundierte: „Wir müssen zeitnah Flächen entwickeln, um unsere Klimaziele zu erreichen“, mahnte Daniel Mühlenfeld, nicht erst auf ein Klimaschutzkonzept zu warten, sondern jetzt loszulegen. Gegen die Stimme der AfD und zwei Enthaltungen erteilte der Umweltausschuss der Verwaltung dafür den Auftrag.

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