Moers/Kamp-Lintfort. Eine Recherche über zweifelhafte Klima-Gas-Tarife erwähnt auch die Enni in Moers und die Stadtwerke Kamp-Lintfort. Das sagen beide dazu.
Erdgas verheizen und trotzdem etwas Gutes für das Klima tun: Zahlreiche Gasanbieter in Deutschland werben mit „Öko-“ oder „Klima-Gas“. Das Versprechen: Wer tiefer in den Geldbeutel greift, kann ohne schlechtes Gewissen die Heizung aufdrehen. Dass das allerdings nicht immer aufgeht, hat jetzt eine Recherche des Recherchenetzwerkes „Correctiv“ ergeben. „Insgesamt kann CORRECTIV 116 deutschen Gasversorgern nachweisen, dass sie in den vergangenen 13 Jahren Gastarife und -produkte angeboten haben, die weit weniger grün sind als versprochen“, heißt es dort. Das Brisante: Weiterführende Recherchen verschiedener Lokalradiosender, unter anderem Radio K.W., haben auch Auffälligkeiten in Moers und Kamp-Lintfort festgestellt.
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Das Prinzip ist einfach: Erdgas stößt beim Verbrennen CO₂ aus, schadet also dem Klima. Viele Unternehmen setzen daher auf CO₂-Kompensation. Um den Schaden vor Ort zu kompensieren, werden anderswo auf der Welt Projekte mit Geld umgesetzt, die dem Klima nützen, etwa Wind- oder Wasserkraftwerke. Basis ist ein Kompensationshandel: Gasversorger können CO₂-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten kaufen und auf dieser Grundlage den eigenen Gastarif klimaneutral anbieten. Das heißt: Das CO₂, das vor Ort ausgestoßen wird, soll anderswo auf der Welt wieder angespart werden.
Stadtwerke Kamp-Lintfort: Gutschriften gingen an ein Wasserkraftwerk in Indien
Correctiv hat sich jetzt gemeinsam mit Expertinnen und Experten die CO₂-Gutschriften von 150 Gasversorgern und kommunalen Stadtwerken für einen Zeitraum von 2011 bis 2024 angeschaut. In der Datenauswertung tauchen auch die Enni in Moers und die Stadtwerke Kamp-Lintfort auf. Bei dem in Kamp-Lintfort existierenden „KaLiGas Natur“-Tarif hat die Recherche 122 CO₂-Kompensationsgutschriften identifiziert, die „mindestens fragwürdig“ seien. Die Gutschriften gingen an das Wasserkraftwerk-Projekt „300MW Hydropower project by JHPL“ am Himalaya in Indien.
Dr. Benedict Probst, Forscher am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, erklärte den Journalisten dazu: „Das Kraftwerk mag CO₂ einsparen - aber die Zertifikate nicht. Denn das Kraftwerk wäre so oder so gebaut worden.“ Er beruft sich auf die Zeitspanne: Die Planung und der Bau des Wasserkraftwerks hätten schon lange vor dem Verkauf der Zertifikate begonnen. Heißt: Das Geld aus den Zertifikaten sei nicht ausschlaggebend für den Bau des Kraftwerks gewesen. „Somit haben die Stadtwerke Kamp-Lintfort mit sehr großer Wahrscheinlichkeit 122 Tonnen CO₂ weniger zusätzlich eingespart als versprochen“, heißt es bei Radio K.W.
Stadtwerke Kamp-Lintfort möchtenKlima-Tarif überdenken
Die Stadtwerke erklärten gegenüber dem Radiosender, dass sie nicht beurteilen könnten, ob es sich in Indien um ein Projekt handelt, das auch ohne das Geld umgesetzt worden wäre. „Hier können wir uns nur - wie ein normaler Verbraucher - auf die vordergründigen Produktinformationen verlassen“. CO₂-Kompensationen seien zudem ein „Nischenmarkt“, nur wenige Kunden hätten einen Aufpreis für den Klima-Tarif bezahlt. Stadtwerke-Vertriebsleiter Bert Buschmann kündigt gegenüber den Lokalradiosendern an: „Für die Zukunft werden wir uns überlegen, diesen Tarif [mit der CO₂-Kompensation] einzustampfen. Wir können das selbst nicht kontrollieren, sondern verlassen uns auf die Kontrollen durch TÜV und Co.“
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Auch die Enni in Moers hat laut Recherche Geld in ein Wasserkraftwerk am Himalaya investiert, um auf Kundenwunsch klimaneutrale Tarife anzubieten. Hier geht es demnach um 16 Tonnen CO₂, die „sehr wahrscheinlich“ nicht eingespart wurden - anders als suggeriert. Das Werk sei seit 2001 am Netz, 2019 und 2020 habe die Unternehmensgruppe aus Moers die Gutschriften eingelöst.
„Wenn das Wasserkraftwerk schon läuft, schon gebaut ist, schon Strom erzeugt - dann ist klar, dass es nicht an Kompensationsgutschriften hing, ob dieses Kraftwerk gebaut wurde oder nicht“, erklärt die Biologin und Umwelt-Expertin Jutta Kill im Gespräch mit den Radiosendern.
Enni in Moers bezweifelt Ergebnisse der Recherche
Die Enni bezweifelt die Ergebnisse der Recherche. „Denn wir haben die durch uns benötigten Zertifikate bei einem anerkannten Anbieter eingekauft und auch entwertet“, wird sie bei den Radiosendern zitiert. Auch hier sei das Angebot eher ein „Nischenprodukt“ für „spezielle Kundenwünsche“ gewesen. Grundsätzlich, so heißt es weiter, gebe es einen Klima-Tarif gar nicht. Eine aktive Bewerbung von Klima-Tarifen findet man bei der Unternehmensgruppe daher nicht.
Hintergrund zur Recherche
Die Recherchen von Correctiv basieren auf den öffentlichen Kompensationsregistern Verra und Gold Standard. Nach Angaben des Netzwerkes sind sie im engen Austausch mit Wissenschaftlerinnen des New Climate Institute, der ETH Zürich, der Berkeley University, dem Öko Institut in Berlin, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und anderen Expertinnen entstanden.
Correctiv hat die Kompensationsaktivitäten und CO₂-Gutschriften von 150 deutschen Gasversorgern untersucht – für 116 konnte nachgewiesen, dass in einem oder mehreren Fällen, teilweise auch über Jahre hinweg Gutschriften aus Projekten gekauft wurden, die laut wissenschaftlicher Einschätzung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kein oder weniger CO₂ reduziert oder gespeichert haben als von den Projektentwicklern berechnet.