Kamp-Lintfort. Niedrige Löhne, hohe Belastung: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind hart. Trotzdem liebt Gabi Riedel ihren Job - und sieht auch Positives.
Es ist ein Dankeschön: Zur Jubiläumsfeier ist der Cafébereich im Kamp-Lintforter Friederike-Fliedner-Haus liebevoll dekoriert. Die Sektgläser sind voll, das Küchenteam hat ein üppiges Buffet vorbereitet. Familie und Kollegen beklatschen die Jubilare, die gerade von Geschäftsführer Ralph Simon geehrt werden. Gabi Riedel freut sich über den schönen Blumenstrauß und die herzliche Ansprache des Chefs: „Das ist Wertschätzung, das ist wirklich toll“, sagt die 53-Jährige. 30 Jahre lang arbeitet die Kamp-Lintforterin jetzt schon im Fliedner-Haus, die meiste Zeit davon im Pflegebereich. Das ist in dieser Branche nicht alltäglich.
Schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, eine hohe emotionale Belastung, Schichtdienst und – die Coronazeit mal ausgenommen – oftmals mangelnde gesellschaftliche Anerkennung: Berufe in der Pflege gelten für viele als unattraktiv.
Fachkräfte über Fremdfirmen einstellen
Ein Blick auf die Homepage der Evangelischen Altenpflegeeinrichtung zeigt das Problem, das das Fliedner-Haus mit vielen anderen Anbietern teilt: „Wir suchen Dich!“, heißt es auf der Startseite gleich in mehreren Stellenanzeigen. Geworben wird nicht nur mit unbefristeten Arbeitsverträgen, Weihnachtsgeld, zusätzlicher Altersvorsorge und Tarifbezahlung, sondern auch mit Einstellungsprämien. Um das nötige Fachpersonal vorzuhalten, müsse aber auch das Fliednerhaus Fachkräfte über Fremdfirmen einkaufen, erklärt Simon: Das koste viel Geld, das von den Pflegekassen nicht übernommen werde.
Sind Angestellte wie Gabi Riedel heute die Ausnahme? Nicht im Fliedner-Haus, sagt Simon. Es gebe tatsächlich viele Mitarbeitende, die seit Bestehen der Einrichtung auch eine persönliche Bindung zum Haus entwickelt hätten. Warum Gabi Riedel seit 30 Jahren im Fliedner-Haus arbeitet, erzählt sie im Gespräch. „Angefangen habe ich ursprünglich im Hauswirtschaftsbereich, dann habe ich aber schnell gemerkt, dass die Pflege mehr ,meins‘ ist“, sagt die 53-Jährige. Seit 20 Jahren arbeitet sie im Nachtdienst der Einrichtung. Die Entscheidung, sagt die zierliche Frau, habe sie in Abstimmung mit ihrer Familie getroffen.
Pflege ist individueller geworden
In den vielen Jahren, in denen sie ihren Job mache, habe sich die Pflege verändert. „Pflege ist schwieriger, ist anspruchsvoller geworden. Wir haben mehr Aufgaben, aber weniger Zeit“, beschreibt sie ihren Arbeitsalltag heute. Wobei sich die Pflege mit Blick auf die Bewohner sehr zum Positiven gewandelt habe: „Vieles ist heute besser und mehr auf die Bewohner abgestimmt, einfach individueller.“
Wie sie ihre anstrengende und anspruchsvolle Arbeit über die vielen Jahre aushält? „Mir liegen die Bewohner am Herzen. Ich spreche auch immer von ,meinen Bewohnern‘.“ Riedel hat sich eine Maxime gesetzt: „Ich möchte so pflegen, wie ich später auch gepflegt werden möchte.“ Dass ihr Beruf einer ist, von dem viele sagen: ,Das könnte ich nicht‘, weiß sie: „Das höre ich öfter, stimmt vielleicht auch. Man muss das wohl ,können‘, wenn man es macht.“
Corona-Zeit war eine große Belastung
Mit dem Umstand, dass Pflege nicht nur körperlich anstrengend, sondern mitunter auch psychisch belastend ist, damit könne sie umgehen, sagt die Fachkraft. Auch, wenn man lieb gewonnene Menschen irgendwann sterben sieht. „Wir haben ein Ritual für solche Abschiede entwickelt, das hilft. Denn man muss abschließen können.“ Abgestumpft sei sie im Umgang mit dem Tod aber auch nach so vielen Jahren „definitiv nicht“.
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Corona sei eine schwierige Zeit in der Pflege gewesen. „Das war schon anstrengend. Wir sind ja hier sowieso schon alles – Psychologen, Familie, Pflegerin – weil die Bewohner in dieser Zeit so wenig Kontakte nach außen hatten, war die Belastung für uns größer als sonst.“
Noch mindestens zehn Jahre dabei bleiben
Welchen Rat sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Berufsweg gibt: „Sich auf die Bewohner einzulassen, spontan, flexibel und individuell zu handeln. Und bei Schwierigkeiten nicht sofort das Handtuch zu werfen.“ Wann für sie selbst Schluss sein soll, weiß sie noch nicht genau: „Ich habe mir noch mindestens zehn Jahre vorgenommen, dann will ich zumindest aus dem Nachtdienst raus.“
Im Fliedner-Haus zählt sie zu den Mitarbeitenden der ersten Stunde: Die Einrichtung an der Ringstraße wird 30 Jahre alt, Gabi Riedel war von Anfang an dabei. Und wird wohl noch einige Zeit dabei bleiben...