Kamp-Lintfort. Kamp-Lintforts Feuerwehrchef Michael Rademacher spricht über Gaffer und Reality-TV - und er erinnert sich an den für ihn schlimmsten Brand 2023.

Kamp-Lintforts Feuerwehrchef Michael Rademacher blickt auf ein turbulentes Jahr. Was den Wehrleiter besonders bewegt hat und welche Herausforderungen er für die Zukunft sieht.

Wie viele Einsätze hatte die Feuerwehr Kamp-Lintfort in diesem Jahr?

Rademacher: Die Statistik läuft noch, tendenziell hatten wir aber bis Mitte des Jahres etwas weniger Einsätze als im Vorjahr. Der aktuelle Stand ohne den Dezember liegt bei 312 Alarmierungen.

Der Dezember ist sicherlich auch noch mal ein starker Monat...

Na ja, Person in Notlage, das gibt es bei uns ja fast täglich. Aber wir hatten in diesem Jahr „Glück“ mit den Wetterlagen, also Stichwort Sturm oder Überschwemmung. Kamp-Lintfort scheint da am Niederrhein irgendwie glücklich positioniert zu sein – allerdings zulasten der Nachbarstädte.

Welche Einsätze haben Sie in diesem Jahr besonders in Erinnerung behalten?

Sicherlich den Wohnungsbrand im August in der Rundstraße. Das war auch für mich mit meinen fast 40 Jahren ehrenamtlicher und beruflicher Erfahrung für die Feuerwehr ziemlich heftig. Ein Brand in der fünften Etage, sieben Menschen mehr oder weniger in der letzten Minute retten zu können, das war schon dramatisch.

Feuerwehrchef Michael Rademacher hofft auf ein ruhiges Jahr 2024.
Feuerwehrchef Michael Rademacher hofft auf ein ruhiges Jahr 2024. © Moers | Rüdiger Bechhaus

Wie lange bleibt so ein Einsatz haften?

Das ist sicherlich unterschiedlich, aber da muss man ehrlich zu sich selbst sein. Ich war Einsatzleiter und die Verarbeitung eines solchen Einsatzes, bei dem man mit dem Team geschafft hat, die Leute in letzter Minute aus einem Brandhaus zu retten, das dauert schon ein paar Wochen. Es belastet einen nicht, aber es beschäftigt einen. Man überlegt: Was ist gut gelaufen, was hätte man noch besser machen können? Die Kollegen, die an vorderster Front waren, die oben im Korb die Leute herausgeholt haben, die reden noch lange davon. Eine Nachbetreuung brauchten wir in diesem Falle nicht, aber die Kameraden haben sich danach noch mal intensiv ausgetauscht.

Hat sich die Arbeit der Kamp-Lintforter Feuerwehr in den letzten zehn Jahren verändert?

Mit Sicherheit. Allein das Aufgabenspektrum wird immer größer. Man merkt, dass es neue Schwerpunkte gibt, Wetterlagen zum Beispiel. Traurig und beängstigend ist aber auch die politische Weltlage. Das spüren wir als Kamp-Lintforter Feuerwehr nicht unmittelbar, aber allein wenn wir jetzt an die kommende Fußball-EM in Deutschland denken – da gibt es eben solche vorgeplanten Konzepte für den Fall der Fälle. Man muss ja nicht immer das Schlimmste denken, aber allein, dass viel mehr Personen betroffen sein könnten, beschäftigt einen. Das Thema Bevölkerungsschutz gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Es gibt gerade eine Debatte über eine spätere Rente für Feuerwehrleute. Was halten Sie davon?

Nun sind wir ja eher eine kleine Feuerwehr. Aber wenn ich an die großen Feuerwehren denke und die Kollegen, die so um die 60 sind: Diese Leute haben viele Jahre schwer gearbeitet, zum Teil ja auch im Rettungsdienst. Die haben, was physische Belastung angeht, einiges mitgemacht. Und ich glaube, dann ist jede Verlängerung wirklich nicht förderlich und hätte sicher Konsequenzen im Arbeitsalltag. Eine Verlängerung wäre ein falsche Entscheidung.

In Kamp-Lintfort gibt es eine Kinderfeuerwehr, eine Jugendfeuerwehr – wie schwer ist es heute, geeigneten Nachwuchs in einer Stadt wie Kamp-Lintfort zu finden?

Wir haben wirklich einen guten Zuspruch, in der Kinderfeuerwehr sogar eine sehr lange Warteliste, fast das Dreifache dessen, was wir aufnehmen können. Wir können die Nachfrage nicht bedienen, würden es aber gerne. Um eine zweite Gruppe aufmachen zu können, bräuchten wir zusätzliche Betreuer. In der Jugendfeuerwehr hatten wir zuletzt wegen altersbedingter Wechsel ein kleines Loch, aber allein vor drei Wochen habe ich so viele Anträge unterschrieben, dass wir auch da jetzt wieder eine kleine Warteliste haben.

Die Kinderfeuerwehr, gegründet vor zwei Jahren, erfreut sich großer Beliebtheit.
Die Kinderfeuerwehr, gegründet vor zwei Jahren, erfreut sich großer Beliebtheit. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Also gibt es in Kamp-Lintfort keine Nachwuchsprobleme?

Das kann man leider so einfach nicht sagen. Wir haben in Kamp-Lintfort knapp 165 Ehrenamtliche – das ist eigentlich zu wenig. Nachwuchssorgen gibt es, vielleicht nicht zeitkritisch, aber perspektivisch. Schwierig wird es vor allem in ländlichen Außenbezirken wie Hoerstgen, Kamperbrück oder Saalhoff.

Der WDR beleuchtet mit dem Doku-Format Feuer und Flamme den Alltag von Feuerwehrleuten. Haben Sie schon mal reingeschaut?

Ja, ich gucke es nicht regelmäßig, aber ab und an mit der Familie zusammen.

Was glauben Sie, was den Reiz eines solchen Formats ausmacht?

Für jemanden, der nicht von der Feuerwehr kommt, sicher den Feuerwehr-Alltag und das Einsatzgeschehen verfolgen zu können. Für einen Feuerwehrmann kann es auch interessant sein zu sehen, wie andere Kollegen so ticken.

Immer öfter werden Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert oder sogar beschimpft. Ist Ihnen das auch schon mal passiert?

Extreme Bedrohungslagen, wie im letzten Sommer zum Beispiel in Ratingen, hatten wir zum Glück noch nicht. Aber wir hatten vor etwa vier Jahren einen Fall, da ist ein Kollege aus dem Auto gezerrt worden. Verbale Beleidigungen gibt es immer mal, da ist aber der Rettungsdienst weitaus mehr betroffen als wir. Behinderungen im Dienst durch Schaulustige oder Leute, die mit dem Handy filmen – das ist ein Stück Feuerwehralltag auch in Kamp-Lintfort. Da helfen wir uns, indem wir zügig die Einsatzstelle ordnen und dank der Polizei großzügig freihalten. Wir beobachten das, haben auch unsere negativen Erfahrungen, aber damit können wir umgehen. Was ich ein bisschen erschreckend finde: Wir sind kürzlich zu einem Unfall auf der A 42 gerufen worden. Unser Fahrzeug wurde nachgefordert, will heißen, zwischen dem Unfall und unserem Einsatz lag bereits einiges an Zeit. Da ist es schon kaum zu fassen, dass es erst mal nicht möglich ist, auf die Autobahnauffahrt zu kommen, weil die Leute die Zufahrt blockieren. Die haben wir dann frei bekommen, aber wenig später war die Rettungsgasse erneut blockiert.

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Was war in all den Jahren, in denen Sie bei der Feuerwehr arbeiten, die größte Herausforderung für Sie?

Oh, das ist eine gute Frage. Sicherlich einerseits die Herausforderung, hier 2012 die Funktion des Wehrleiters zu übernehmen. Das war keine ganz einfache Aufgabe, weil ich von meinem Vorgänger eine sehr gute Arbeit übernommen habe. Im Einsatzgeschehen wahrscheinlich der Großbrand 2019, als eine Gewerbehalle abgebrannt ist. Aber Dank des guten Teams haben wir das letztlich gut meistern können. Eine zukünftige Herausforderung für mich als Wehrleiter sehe ich darin, das Ehrenamt halten zu können, die Leute weiter zu motivieren, neu zu motivieren.

Was wünschen Sie sich für 2024?

Dass es aus Feuerwehrsicht ein hoffentlich ruhiges Jahr wird.