Am Niederrhein. 490 Medikamente seien derzeit nicht lieferbar, kritisieren Apotheker. Ab August ändern sich mit Blick auf die Rezepte auch Abläufe für Kunden.

Am nächsten Mittwoch sind die Apotheken dicht. Bundesweit. Und mithin auch in Moers und Umgebung. Das erste Mal in der Geschichte, heißt es. Apotheker Simon Krivec: „Daran sieht man, wie groß der Leidensdruck ist.“ Eine Notdienstbereitschaft sei gegeben, versichern Krivec und seine Apothekenkollegen.

Allerdings gibt es nur wenige Anlaufstellen. In Moers ist es die Adler-Apotheke in der Innenstadt, in Kamp-Lintfort die Hirsch-Apotheke. Die nächsten Notdienste sind dann in Kempen und Krefeld. Aus Sicht der Apotheker ist es fünf vor zwölf. Sie wollen an diesem bundesweiten Protesttag auf eine Schieflage im Gesundheitswesen hinweisen, die sie als zunehmend existenzbedrohend ansehen. „Uns drückt alle der gleiche Schuh“, betont Simon Krivec.

Die Gemengelage ist vielschichtig

Die Gemengelage ist vielschichtig und betrifft Vergütungsmodalitäten und Lieferengpässe. All die Problemlagen wirken sich am Ende auf die Kundinnen und Kunden aus. Julius und Simon Krivec (Moers), Muhammed Gülsen (Moers, Kamp-Lintfort, Duisburg-Rumeln), Wera Döring (Kamp-Lintfort), Gregor Krug (Rheinberg) und Hubert Schnölzer (Moers) haben sich am Freitag getroffen, um zu erklären, warum dieser Protesttag notwendig ist und was schief läuft.

Da wären zunächst die Lieferengpässe. Die beträfen nicht mehr nur Antibiotika für Kinder, unterstreichen die Pharmazeuten. 490 Medikamente seien derzeit nicht lieferbar, erklärt Hubert Schnölzer. In allen Größen, teilweise seien auch keine Ersatzpräparate zu bekommen, heißt es weiter. „Es ist Wahnsinn, was alles nicht lieferbar ist“, schildert Wera Döring. 480 Produkte betreffen eine Dauermedikation beispielsweise für den Blutdruck oder Cholesterinsenker. „Die Krise ist nicht über Nacht gekommen“, sagt Gülsen. Er spricht mit Blick auf die Fiebersäfte für Kinder von einem „Höhepunkt im Dezember“ und prognostiziert: „Im nächsten Winter wird das wieder katastrophal enden.“

Die Apothekerhonorare hängen damit zusammen. Was Kundinnen und Kunden nicht wissen können: Die Apotheken treten finanziell für die Medikamente in Vorleistung; sie bekommen die Kosten von den Krankenkassen nachträglich vergütet. Für jedes Präparat, das über die Ladentheke geht, bekommen die Apotheken 8,35 Euro Honorar, unabhängig vom Abgabepreis des Herstellers. Dazu kommen drei Prozent so genannte Handlingfee, also ein kleiner Betrag, mit dem Lagerung und Vorkaufskosten abgedeckt werden, und 41 Cent Pauschalen für Dienstleistung und Notdienste. Am Ende wird eine Zwangsabgabe in Höhe von zwei Euro abgezogen, rechnen die Pharmazeuten vor.

Die Inhaberhonorare basierten auf Zahlen aus dem Jahr 2004, erklären die Apothekerinnen und Apotheker. „Gleichzeitig bezahlen wir davon alle Preissteigerungen mit“, sagt Wera Döring. Sie kennt Kollegen, die keinen Urlaub mehr machen, weil sie keine Vertretungen mehr bekommen. Seit 2004 hat es keine Honoraranpassungen gegeben; gerade kleinere Apotheken könnten nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Einmal abgesehen davon fürchten die Apotheker, dass der Beruf bald so unattraktiv ist, dass es noch schwieriger wird, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen.

Denn da wäre noch eine Krux. Sobald es einen Formfehler auf einem Rezept gibt, müssen die Apotheken dafür geradestehen, und sei es, dass nur der Vorname des Arztes fehlt. Dann gibt es im Extremfall kein Geld für die erbrachte Leistung. Ab August dürfte es zudem für Kundinnen und Kunden noch schwieriger werden. Sollte sich dann nämlich herausstellen, dass auf einem Rezept ein Medikament von Anbieter A benannt ist, dieses aber nicht vorrätig ist, müssen die Kunden zurück zum Arzt, um dort ein neues Rezept mit dem Präparat von Anbieter B ausgestellt zu bekommen.

Die Apotheker sehen Existenzen gefährdet

Über all das wird am Mittwoch vor einzelnen Apotheken informiert. Julius Krivec macht das beispielsweise, vor der Apotheke von Wera Döring wird es ebenfalls Infos geben. Hubert Schnölzer informiert, gibt aber in dringenden Notfällen auch Medikamente aus.

Durch einen solchen Tag wollen die Apotheker zeigen, wie die Zukunft womöglich aussehen könnte. Auch dazu haben sie Zahlen. „In Moers gab es mal 35 Apotheken“, sagt Simon Krivec. „Jetzt sind es noch 26.“ Bundesweit gab es im Jahr 2000 demnach 21.600 Apotheken, Ende 2022 waren es noch 18.000. Und noch eine Zahl haben die Pharmazeuten mitgebracht. Wera Döring: „Die Selbstverwaltungskosten der 98 Krankenkassen sind doppelt so hoch wie das Gesamthonorar der 18.000 Apotheken deutschlandweit.“