Moers. Die Enkel einer Holocaust-Überlebenden waren am Freitag in der Hermann-Runge-Gesamtschule in Moers zu Gast, um ihre Geschichte weiterzugeben.

Um mit den Schülerinnen und Schülern über den Holocaust ins Gespräch zu kommen, besuchten Yael Atzmon und Yoav Lustig am Freitagmorgen das Forum der Hermann-Runge-Gesamtschule in Moers. Eigentlich hätte auch ihre Großmutter Sara Atzmon dabei sein sollen. Als Zeitzeugin wollte die 89-Jährige den Anwesenden von ihrer Vergangenheit erzählen. Krankheitsbedingt musste sie ihren Besuch allerdings absagen und wurde durch ihre Enkel vertreten.

Die Veranstaltung begann mit einer Einleitung durch die Anfangsminuten des Filmes „Holocaust light – gibt es nicht!“, in dem die Holocaust-Überlebende Sara Atzmon eine zentrale Bedeutung hat. Enkelin Yael Atzmon knüpfte daran an und trug die Geschichte ihrer Großmutter vor. Wegen der Sprachbarriere zum Großteil auf Englisch. Die anwesenden Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 13, des Geschichte-Leistungskurses der Q1 und des Projektkurses „Gegen das Vergessen“ schienen damit kein Problem zu haben. „Meine Großmutter hatte viele Geschwister. So viele, dass sie gar nicht genau weiß, wie viele Enkel sie heute hat“ (übersetzt), erzählte die 30-jährige Yael Atzmon.

Das hat Sara Atzmon erlebt

Die Jüdin Sara Atzmon wurde 1933 als vierzehntes unter sechzehn Kindern in Ungarn geboren. Im Alter von sieben Jahren wurden Vater und vier Brüder Atzmons von den Nazis zur Zwangsarbeit eingezogen. Weitere vier Jahre später sollten Sara Atzmon und einige Geschwister nach Auschwitz gebracht werden. Die 14-tägige Fahrt verbrachte sie mit etwa 90 weiteren Menschen in einem kleinen Zugwaggon. An der polnischen Grenze hielt der Zug für mehrere Tage an. „Das Konzentrationslager war voll, deshalb fuhr der Zug wieder zurück ins Arbeitslager. Von allen Zügen in Auschwitz betraf das insgesamt nur zwei“, erklärte Enkelin Yael Atzmon, die aktuell gemeinsam mit ihr an der Autobiografie ihrer Großmutter arbeitet.

In Österreich traf die damals 11-Jährige wieder auf ihren Vater. Dieser starb kurz darauf an den Folgen der Diskriminierung. Hunger und Erniedrigung seien für die Familie damals alltäglich gewesen. Wenige Monate später kam die Ungarin in das „Desinfektionslager“ in Strasshof. „Dort durften alle kaum bis gar keine Kleidung tragen, Frauen wurde der Kopf rasiert“, fuhr die Enkelin fort. Danach wurde Sara Atzmon ins Konzentrationslager nach Bergen-Belsen gebracht – auch Anne Frank war damals dort.

Lange sprach sie mit niemandem

Im April 1945 wurde Sara Atzmon vom amerikanischen Militär befreit. Die damals 12-Jährige wog in dieser Zeit nur 17 Kilogramm. Viele Jahre vergingen, bevor sie über ihre Erfahrungen sprechen konnte. „Bis sie 50 Jahre alt war, hat sie vor niemandem ein Wort darüber verloren – auch nicht vor ihrem Ehemann“, erzählte Yael Atzmon.

Für die Diskussionsrunde hatten sich die Schüler bereits zahlreiche Fragen überlegt. „In welchem Alter sollte man Schüler an das Thema heranführen? Und was tun, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?“, fragte Projektkursschülerin Lara. „Es ist ein sensibles Thema. Für unsere Generation ist der Tod etwas Heftiges und Seltenes. Für unsere Großmutter gehörte der Tod zum täglichen Leben. Kinder sollten in einem entsprechenden Alter sein, um das einordnen zu können“, fand der 20-jährige Enkel Yoav Lustig.

Auch kam die Frage auf, wie die Holocaust-Überlebende ihre Erlebnisse verarbeitet. Dafür entdeckte sie die Kunst. So bringt die 89-Jährige ihre Erfahrungen regelmäßig auf die Leinwand. Ihr aktuelle Ausstellung kann vom 2. bis 10. September in der Cubus-Kunsthalle in Duisburg besucht werden.