Moers. Prominente Rednerin in Moers: Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht über Antisemitismus und Demokratie.
Wenn Menschen wegen ihrer Kippa beleidigt werden, wenn hinter Zimmertüren verachtend über die Ermordung von Millionen Juden im zweiten Weltkrieg gesprochen wird und wenn Synagogen von Sicherheitsdiensten bewacht werden müssen, ist die Stimme für Demokratie und Toleranz hochrelevant. Wie es gelingt, diese Stimme zu erheben, zeigte am Freitagabend ein prominenter Gast des Moerser Vereins „Demokratie und Toleranz leben“. In Wellings Hotel Zur Linde in Repelen sprach Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, FDP-Politikerin, Juristin und ehemalige Bundesjustizministerin.
„Weil sich in den vergangenen Monaten antisemitisches und völkisches Denken und Handeln verstärken, möchten wir ins Gespräch kommen“, erklärten der Vereinsvorsitzende und -gründer Ibrahim Yetim (SPD) und der stellvertretende Vereinsvorsitzende Guido Lohmann. Seit Gründung im Jahre 2019 organisiert der Verein „Demokratie und Toleranz leben“ Projekte für demokratische und staatsbürgerliche Bildung, gegen Diskriminierung und gegen Hass. Dazu gehörten Gedenkfahrten der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in die italienische Moerser Partnerstadt Sant’Anna di Stazzema, in der SS-Soldaten einst Massaker anrichteten, sowie Projekte mit sozialen Einrichtungen.
„Es wäre mir lieb, solche Projekte wären obsolet, weil Menschen nicht mehr diskriminieren“, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die erstmals in Moers zu Gast war. Mit Sorge beobachte sie die deutschlandweite Kriminalitätsstatistik, die einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle ausweise. „Insbesondere das rechtsextremistische Spektrum, aber auch linksextreme und islamisch-islamistische Taten steigen.“ Über 3000 antisemitische Straftaten seien 2021 deutschlandweit registriert worden, gegenüber 2019 rund 1000 Fälle mehr: „Die Dunkelziffer ist deutlich höher.“
Missachtung der Menschenwürde
Für Betroffene sei es schmerzhaft, wenn Anzeigen eingestellt werden, erklärte die frühere Bundesjustizministerin weiter. Nur 30 Prozent antisemitischer Vorfälle würden zur Anzeige gebracht. Meldestellen seien eingerichtet, die Vorfälle unter der Strafbarkeitsgrenze erfassten. Diejenigen, die auf Demonstrationen den Judenstern als Symbol für Ungeimpfte nutzen? „Sie missachten die Menschenwürde und dürften in einer Diktatur gar nicht demonstrieren.“ Früh müsse sensibilisiert werden – ob im Musikgenre Rap, unter Juristen oder bei den 54.000 Polizeibeamten in NRW, beispielsweise zum Thema Online-Kriminalität. „Digitalisierung ist nicht Ursache, aber Beschleuniger von Antisemitismus“, so Leutheusser-Schnarrenberger. Was im Internet lande, sei kaum stoppbar.
Bald gibt es keine Zeitzeuge des Holocaust mehr
Als Antisemitismusbeauftragte arbeite sie wie ihre bundesweiten Kollegen mehrdimensional als Ansprechpartnerin für Betroffene, präventiv und im Netzwerkaufbau, etwa mit Palästinensern und jüdischen Gemeinden: „Bald gibt es keine Zeitzeugen mehr, deshalb sind religionsübergreifende Begegnungen so wichtig.“ Im Interviewbuch „Ich tue es für euch“, das Leutheusser-Schnarrenberger mit der 100-jährigen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer verfasste, sagte Friedländer: „Es darf nie wieder passieren. Seid doch einfach Mensch.“
Für ihre Ausführungen bekam Leutheusser-Schnarrenberger großen Applaus und sie resümierte an den gastgebenden Verein gewandt: „Wichtig bleibt, für Demokratie einzustehen und dranzubleiben, so wie Sie es machen.“
>>> Der Verein „Demokratie und Toleranz leben“ <<<
„Demokratie und Toleranz leben“ heißt neue Mitglieder jederzeit willkommen und lebt von Spenden zur Realisierung von Projekten, insbesondere mit Kindern und Jugendlichen. Spendenkonto: IBAN DE35 3546 1106 7023 5850 19
Bei Fragen stehen die Vereinsmitglieder unter info@demokratie-toleranz-leben.de zur Verfügung.