Neukirchen-Vluyn. Das Kräfteverhältnis im Rat von Neukirchen-Vluyn hat sich nicht nur nach der Kommunalwahl verändert. Wie sich das Fraktionsgefüge verschoben hat.

Die aktuellen Entwicklungen in der Frage, ob und in welcher Weise das Neukircher Feld bebaut werden kann oder darf, zeigen, wie vertrackt die Lage bei planungsrechtlich nicht abgeschlossenen Projekten ist, wenn sich nach einer Kommunalwahl veränderte Mehrheiten im Stadtparlament auftun.

Einmal abgesehen davon, dass bei diesem Sachverhalt, in dem es derzeit um die Rechtmäßigkeit des Kaufvertrages zwischen der RAG Montan Immobilien und der Stadt Neukirchen-Vluyn geht, das Gericht die Auffassung des Essener Unternehmens zu teilen scheint (die NRZ berichtete): Diese Situation hat überhaupt erst dadurch entstehen können, dass im September 2020 die Grünen einen enormen Stimmenzuwachs erhalten haben, die SPD Stimmenanteile verlor und sich insgesamt das Kräfteverhältnis im Stadtrat verschoben hat.

Die Fraktionen lassen Federn

Plötzlich hatten die Kritiker der geplanten Bebauung eine Mehrheit. Und: Der finale parlamentarische Schlussstrich für die Planung stand noch aus. Das an sich ist für Einzelfälle schon bemerkenswert.

In Neukirchen-Vluyn aber geht das politische Drama noch weiter. Gestartet ist das Kommunalparlament mit fünf Fraktionen: der durch elf Direktmandate erstarkten CDU, der SPD, Bündnis 90 /Die Grünen, NV Auf Geht’s und der FDP. Jetzt sitzen mittlerweile sechs Einzelvertreter und -vertreterinnen im Rat, die Fraktionen haben Federn gelassen.

Zunächst stieg Karin Keesen im März des vergangenen Jahres aus der CDU-Fraktion aus, nachdem sie bereits den Stadtverbandsvorsitz abgegeben hatte; die internen Mobbingvorwürfe haben sich öffentlich nie final aufklären lassen.

Im Juni zerstritten sich die beiden Ratsmitglieder der FDP, fortan mussten sie einzeln ohne Fraktionsstatus weiterarbeiten, Ratsfrau Angelika von Speicher zog im September Konsequenzen aus internen Diskussionen bei den Grünen, auch sie behielt ihr Ratsmandat. Und letztlich zerbrach die Fraktion von NV Auf geht’s, auch die beiden Ratsleute sitzen jetzt fraktionslos im Stadtparlament.

Die Thematik ist nicht trivial

Diese Entwicklung der zerfasernden Stimmenanteile im Stadtrat hat ebenfalls Weiterungen. Schon beim ersten Fraktionsaustritt kam die Frage auf, wie mit der Verteilung in den Fachausschüssen zu verfahren sei. Damals blieb alles, wie es ist. Trivial ist die Thematik nicht.

Bei nunmehr nur noch drei Fraktionen und sechs fraktionslosen Einzelvertretern in einem Gremium mit 38 Ratsdamen und -herren plus Bürgermeister muss gleichwohl die Frage gestellt werden, ob die Fachausschüsse, in denen schließlich politische Sachverhalte wie der einer Bebauung des Neukircher Feldes vorberaten und dazu wenigstens Empfehlungsbeschlüsse an den Stadtrat gegeben werden, noch annähernd dem so genannten Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gerecht werden.

Kurz gesagt: Sind die Fraktionen in den Ausschüssen mit der Anzahl an Ratsleuten oder sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern vertreten, die auch ihrem Anteil im Stadtparlament entspricht? Geregelt ist das in der Gemeindeordnung des Landes NRW.

Im Rat sind Gespräche zu erwarten

Schon in einer früheren NRZ-Anfrage hatte die Stadt mit Blick auf die Rechtssprechung erklärt, dass der Ausschusssitz grundsätzlich der jeweils gewählten Person zusteht, nicht der Fraktion, auf deren Vorschlag das Ausschussmitglied gewählt wurde. Weiter hieß es seinerzeit, dass nur bei wesentlichen Veränderungen der Kräftekonstellation im Rat der besagte Spiegelbildlichkeitsgrundsatz eine Anpassung der Ausschüsse zur Folge habe.

Es war stets auch vom Ermessen des Rates die Rede, auf die veränderten Gegebenheiten zu regieren. Auf Antrag einer Fraktion kann der Stadtrat die Auflösung der Ausschüsse beschließen. Offen ist, ob hier sechs neue fraktionslose Ratsmitglieder als so wesentlich gesehen werden. Tendenziell ist allerdings davon auszugehen, dass noch im ersten Halbjahr 2022 über eine Neuverteilung der Ausschüsse gesprochen werden könnte.