Moers. Bethanien-Arzt Thomas Voshaar ist weltweit anerkannt als Experte. Im Interview spricht er über die Coronalage und Forschungen zu Superspreadern.

Der Moerser Mediziner Dr. Thomas Voshaar sagt, dass der aktuelle Anstieg der Corona-Fallzahlen vor allem auf die Reisetätigkeit zurückzuführen ist und vorhersehbar war. Mit lokalen Ausbrüchen wie etwa bei Tönnies werde man auch künftig leben müssen. Im NRZ-Interview mit Matthias Alfringhaus macht Voshaar auch eine klare Aussage zur Maskenpflicht an NRW-Schulen.

Kommt jetzt die zweite Welle?

Dr. Thomas Voshaar: Ich mag den Begriff überhaupt nicht. Wir haben es zurzeit mit bestimmten Effekten eines Teils der Lockerungen zu tun, mit der Reisetätigkeit. Die Entwicklung war vorhersehbar. Der andere Faktor sind die lokalen Ausbruchsgeschehen wie etwa bei Tönnies, damit werden wir auch weiter leben müssen.

Steigt die Ansteckungsgefahr im Winter?

Die Risiko-Konstellation ist klar: Es geht um die Zahl von Menschen, die sich gleichzeitig in einem Raum aufhalten, um die Raumgröße und um die Lüftung. Hinzu kommt, dass die Konzentration von Aerosolen bei kalter und feuchter Luft steigt. Im Winter ist das Lüften nicht schwieriger. Keiner wird erfrieren, wenn ein Raum fünf bis zehn Minuten stoßgelüftet wird. Weil dann außen und innen unterschiedliche Temperaturen herrschen, ist der Luftaustausch sogar größer als jetzt im Sommer.

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Woran forschen Sie zurzeit?

Wir sind gerade besonders fokussiert auf die Tatsache, dass bestimmte Menschen in der Frühphase der Infektion besonders ansteckend sind. Das sind die vielzitierten Superspreader. Da lernen wir aber gerade noch und entwickeln am Bethanien Methoden, um mehr herauszufinden. Nicht alle Infizierten sind gleich ansteckend, weshalb die übliche Quarantäne möglicherweise von zwei Wochen auf eine Woche reduziert werden könnte.

Ist die Maskenpflicht an weiterführenden Schulen in NRW richtig?

Ich habe immer gesagt, dass Unterricht in den Schulen stattfinden muss. Ein Restrisiko wird bleiben, vor allem bei älteren Schülern, zum Beispiel in der Oberstufe. Eine besondere Verantwortung wird bei den Lehrerinnen und Lehrern liegen, dass sie es nicht in die Klassenräume tragen. Wenn man die Räume richtig aussucht und die Personenzahl niedrig hält, halte ich eine Schutzmaske am Platz nicht für zwingend erforderlich – insbesondere nicht in der Primarstufe.

Eine Corona-Studie zeigt, dass in der frühen Phase der Pandemie in deutschen Krankenhäusern 53 Prozent der künstlich beatmeten Patienten gestorben sind. Wie ist das im Bethanien?

Bis heute haben wir insgesamt 86 positiv getestete Patienten behandelt. 60 waren schwerstkrank. Dieses ungewöhnliche Verhältnis ergibt sich, weil wir leicht kranke Patienten nicht im Krankenhaus behandelt haben. Wir haben nur drei künstlich beatmet und intubiert. Ein Patient mit komplizierten Vorerkrankungen ist gestorben. Wenn man das mit der Studie vergleicht, liegt die Sterberate bei uns bei etwas über einem Prozent.

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Wie haben Sie die anderen schwer kranken Patienten behandelt?

Mit einer Sauerstoff- und Überdruckmaske, das Intubieren birgt hohe Risiken. Wir haben uns in einem sehr kleinen Kreis sehr früh entschieden, auf diese Behandlung zu setzen und ein entsprechendes Konzept vorgestellt. Unsere Fälle sind alle bis ins Detail dokumentiert. Wir sehen uns jetzt bestätigt, immer mehr Kliniken gehen weltweit dazu über. Entscheidend ist, dass man schweren Sauerstoffmangel bei Corona-Patienten nicht allein zum Kriterium macht, zu intubieren.

>>INFO

Dr. Thomas Voshaar ist Chefarzt der Lungenklinik im Bethanien-Krankenhaus in Moers. Seine Behandlungsmethoden finden in der Corona-Pandemie weltweit Beachtung, er gehört zum Corona-Beraterstab von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Die im Interview erwähnte Studie bezieht sich auf 10.021 Corona-Patienten, die vom 26. Februar bis zum 19. April 2020 in insgesamt 920 deutschen Krankenhäusern behandelt wurden. Sie wurde im Fachmagazin The Lancet veröffentlicht.