An Rhein und Ruhr. 70 Hochzeitsgäste aus Geldern haben sich in Rheinberg mit Corona infiziert. Ein Virologe erklärt, welche Gefahr von solchen Partys ausgeht.

Update, 10. August, 17.15 Uhr: Im Rahmen von Nachtestungen ergab sich am Montag noch ein weiterer Corona-Fall im Zusammenhang mit einer Hochzeit in Rheinberg. Damit haben sich (Stand Montag, 10. August) insgesamt 81 Menschen aus Geldern nach Feierlichkeiten im Kreis Wesel infiziert. Sicherheitshalber waren 60 Menschen am 4. August nachgetestet worden - darunter fallen laut Angaben des Kreises die zuvor 50 "negativ getesteten Gäste der Festveranstaltung und weitere Kontaktpersonen der Kategorie I".

Update, 7. August, 17.25 Uhr: Wie das Gesundheitsamt im Kreis Kleve am Freitag, 7. August, mitteilt, wurden im Rahmen von Nachtestungen neun weitere Personen aus Geldern nach der Hochzeit in Rheinberg positiv getestet. 30 Ergebnisse seien negativ, die restlichen Ergebnissen stehen noch aus, heißt es. Insgesamt waren 111 Gelderner getestet worden - bei 61 wurde das Coronavirus nachgewiesen. Vorsichtshalber sollten noch Nachtests erfolgen.

Für viele Paare ist es der schönste Tag des Lebens: die Hochzeit mit anschließender Familienfete. In Zeiten von Corona kann sich die Party mit den Liebsten jedoch schnell zur Virenfalle entwickeln. Wie leicht es auf Hochzeitsfeiern zu einer Masseninfektion kommen kann, zeigt ein Fall aus Rheinberg: Dort hatten sich zunächst 61 Gäste aus Geldern mit dem Coronavirus angesteckt. Nachtestungen ergaben neun weitere Fälle. Ein unglücklicher Zufall? Oder herrscht auf Hochzeitsfeiern ein erhöhtes Ansteckungsrisiko?

Ein Blick in die Coronaschutzverordnung des Landes NRW zeigt: Geht es um Hochzeitspartys, sind der Feierlaune kaum Grenzen gesetzt. Eine Maskenpflicht gibt es nicht, ebenso wenig wie einen festgeschriebenen Mindestabstand. Auch die Gästezahl wurde in den vergangenen Wochen schrittweise auf bis zu 150 Personen ausgeweitet. Einzige Einschränkung: Die Veranstalter müssen eine Teilnehmerliste ausfüllen. Ein genauer Sitzplan ist hingegen nicht erforderlich. Er wäre wohl ohnehin wenig hilfreich. Schließlich darf auf der Tanzfläche ausgelassen gefeiert und mitgesungen werden.

Aber lässt sich ein Corona-Ausbruch unter diesen Voraussetzungen überhaupt effektiv eindämmen? „Das Infektionsrisiko steigt, sobald man ohne AHA-Maßnahmen Kontakte hat“, sagt Virologe Mirko Trilling von der Uniklinik Essen. Je mehr Kontakte erfolgen, desto größer sei ohne Abstand, Hygiene und Alltagsmaske auch die Ansteckungsgefahr.

Corona-Ausbruch: Manchmal reicht nur ein Infizierter

Um das Infektionsrisiko grob einschätzen zu können, gebe es zwei Hauptfaktoren: „Die Anzahl der infizierten Gäste und die Übertragungswahrscheinlichkeit“, erklärt Trilling. Es komme also darauf an, ob und wie viele ansteckende Personen mitfeiern und mithilfe welcher Schutzmaßnahmen die Ansteckungsgefahr reduziert wird. „Bei Feiern, bei denen viele Infizierte zu Gast sind und keine Maßnahmen eingehalten werden, werden sich leider viele Menschen infizieren“, warnt der Virologe.

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Dass eine einzelne infizierte Person die halbe Hochzeitsgesellschaft ansteckt, sei laut Trilling eher unwahrscheinlich. „Man kann das aber nicht sicher ausschließen.“ Es gebe einzelne Berichte, wonach sogenannte Superspreading-Ereignisse bei Gesangs- und Chorproben zu 50 bis 60 Infektionen geführt hätten. „Selbst kleinere Ereignisse können verheerende Folgen haben, falls anfällige Personen betroffen sind.“ Im Durchschnitt übertrage ein Infizierter das Virus ohne entsprechende Corona-Schutzmaßnahmen auf 2,4 bis 3,3 weitere Menschen.

„Bei Superspreading-Ereignissen werden überproportional viele Menschen von einem Infizierten angesteckt“, erklärt Trilling. Dies könne sehr unterschiedliche Gründe haben. „Ein Mensch kann schuldlos ein solches Ereignis auslösen, zum Beispiel wenn jemand trotz hoher Viruslast in den oberen Atemwegen nur sehr milde Symptome zeigt und berufsbedingt viele Kontakte hat.“ Es gebe aber auch Ereignisse, die aufgrund der fahrlässigen oder bewussten Missachtung von Corona-Regeln oder Quarantänevorschriften ausgelöst würden.

Sieben-Tage-Inzidenz steigt am Niederrhein wieder an

Doch wieso gelten auf Hochzeitsfeiern weder Maskenpflicht noch Mindestabstand? „Vor dem Hintergrund mäßiger Covid-19-Fallzahlen in Deutschland gab es eine aus meiner Sicht nachvollziehbare Abwägung zwischen dem Bevölkerungsschutz vor Infektionen und dem Wunsch, gebührend Hochzeit zu feiern“, erklärt Trilling. Umso wichtiger sei deshalb laut NRW-Gesundheitsministerium die Gewährleistung einer effektiven Kontaktnachverfolgung. „Dies gilt nicht nur für Veranstaltungen, sondern auch beispielsweise für die Gastronomie“, heißt es in einem Schreiben an die unsere Redaktion.

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Das Gesundheitsministerium verfolge die Pandemie-Entwicklung sehr aufmerksam. Neben dem Ruhrgebiet steige auch am Niederrhein, vor allem im Kreis Kleve, Mönchengladbach, Dinslaken und Wesel die Sieben-Tage-Inzidenz wieder an, so Pressesprecherin Miriam Skroblies. Konkrete Pläne für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen lägen aber derzeit nicht vor. „Das Gesundheitsministerium beobachtet das Infektionsgeschehen fortlaufend und wird – wenn nötig – entsprechende Maßnahmen ergreifen.“

Virologe mahnt: Wer Symptome hat, sollte zuhause bleiben

Unabhängig von etwaigen Verordnungen könne sich aber natürlich jeder selbst dafür entscheiden, sich und seine Mitmenschen durch eine Alltagsmaske zu schützen, sagt Trilling – auch auf Hochzeiten. „Rein praktisch sollten möglichst große Teile der Feierlichkeiten im Freien oder zumindest in gut belüfteten Räumen abgehalten werden.“ Auch auf gemeinsames Singen sollten Hochzeitsgäste – insbesondere in engen Räumen und bei großer Nähe – tunlichst verzichten.

Menschen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben, müssten besonders vorsichtig sein, rät der Virologe. Und noch etwas könnten Hochzeitsgäste tun: „Zuhause bleiben, falls sie sich krank fühlen“, so Trilling. „Aus meiner Sicht ist das eine der wichtigsten Maßnahmen.“ Auch wenn das am wohl schönstes Tag des Freundes nicht leicht fällt.