Moers/Neukirchen-Vluyn. Fachkräftemangel in Zeiten von Corona: Unternehmen gehen neue Wege, um die Jugend zu begeistern. Auch flexiblere Ausbildungsstarts sind denkbar.

Die Coronakrise ist auch auf dem Ausbildungsmarkt spürbar. Im Mai waren die Zahlen der gemeldeten Lehrstellen rückläufig, die Zahl der Bewerbenden allerdings auch. Ende Mai suchten 1139 Jugendliche im Kreis Wesel eine Stelle. Im Gegenzug waren bei der Agentur für Arbeit Wesel noch 1251 unbesetzte Ausbildungsstellen gemeldet.

„Auf Grund der Krise sollte man mit Interpretationen vorsichtig sein“, erklärt Jürgen Kaiser von der Industrie- und Handelskammer Niederrhein. Der Fortschritt in der Bewerbungsphase habe sich verlangsamt. „Durch Corona gab es eine gewisse Pause. Termine zum Kennenlernen wurden erstmal abgesagt oder aufgeschoben. Manche Unternehmen setzen jetzt auf auf Erstgespräche via Videotelefonie.”

Nicht jede Branche ist gleich stark in der Krise

Kaiser macht auch deutlich, dass nicht jede Branche gleich stark von der Krise betroffen wurde. „Laut unserer aktuellen Umfrage halten die meisten Betriebe an der Ausbildung fest. Es gab schon vor Corona einen Fachkräftemangel und den will und sollte man auch in der Krise nicht vergessen.” Es gebe aber auch verhaltene Stimmen: „Wer besonders tief in der Krise steckt, der muss da erstmal herauskommen, bevor er über neue Stellen nachdenken kann. Das ist jetzt vor allem in den Bereichen Gastronomie, Tourismus oder der Veranstaltungsbranche der Fall”, sagt der IHK-Experte.

Die Herausforderung sei, Unternehmen und Azubis erfolgreich zueinander zu bringen. „Wir veranstalten am 25. Juni ein Speeddating, da können sich Bewerbende und Unternehmen erstmal zwanglos kennen lernen.“ Auch wenn die Ausbildung sonst meist am 1. August beginnt – in diesem Jahr wären auch Anfangszeiten im Oktober noch denkbar. „In unserer Stellenbörse gibt es aktuell noch 800 unbesetzte Ausbildungsplätze“, wirbt Jürgen Kaiser.

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Während der Corona-Pandemie zählten Bäckereien als regionale Grundversorger zu den krisensicheren Arbeitgebern. So ist auch die Biobäckerei Schomaker aus Neukirchen-Vluyn auf der Suche nach neuen Auszubildenden und geht auf Grund des Bewerbermangels neue Wege. Mit der Kampagne „Bewirb‘ Dich mit Deinem Lächeln“ möchte sie die Hemmschwelle für eine Bewerbung senken und einen leichten Zugang für Jugendliche schaffen.

Als erster Schritt auf dem Weg zur Lehrstelle sind nur Kontaktdaten nötig, ein Foto wünschenswert. Anschließend meldet sich die Bäckerei für ein Vorstellungsgespräch. Unterlagen und Zeugnisse können nachgereicht werden. Die Bereitschaft, Nachwuchs auszubilden, ist groß bei Schomaker.

Praktikum muss nach einer Woche abgebrochen werden

„Unser Handwerk leidet sehr unter den anhaltenden Klischees wie frühes Aufstehen und eine schlechte Bezahlung. Dabei verdient eine Bäckereifachverkäuferin mehr als eine Rechtsanwaltsgehilfin“, erklärt Inhaber Andreas Schomaker. Früh aufstehen müsse man auch in anderen Branchen. Außerdem gebe es verschiedene Schichten und gute Zulagen für den Spätdienst.

Interessierte Praktikantinnen und Praktikanten habe es 2020 schon gegeben. „Wer einmal sieht, wie wir arbeiten, ist oft begeistert“, hat Schomaker erfahren, aber: „Leider musste das Praktikum wegen Corona nach einer Woche abgebrochen werden.“ Welche Staatsbürgerschaft die Bewerbenden haben, das sei ihm egal: „Wir haben sowohl mit Deutschen als auch mit Geflüchteten gemischte Erfahrungen gemacht. Voraussetzung für die Arbeit ist allerdings ein sehr gutes Sprachniveau.“

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Ein weiteres Argument für das Bäckereihandwerk hat er noch: „Man kommt mit dem Beruf super um die Welt. Alle wollen nach Australien und Co. Work and Travel geht mit einer gastronomischen Ausbildung so viel besser als direkt nach dem Abitur.“