Kamp-Lintfort. Kurz bevor der Landtag über neue Kiesgebiete entscheidet, machen Landwirte auf ihre Sorgen aufmerksam. Und machen einen Alternativ-Vorschlag.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Am 10. Juli soll der Landtag voraussichtlich über den Landesentwicklungsplan (LEP) entscheiden und damit über die Ausweisung weiterer Kiesflächen. Dass es bei den Gegnern der Kiesindustrie keineswegs um Naturromantik geht, sondern um Existenzen, machte am Freitag die Kreisbauernschaft deutlich. Kevin Anhamm züchtet Milchvieh. Sein Betrieb liegt im Wickrather Feld, das bei der Kiesindustrie besonders im Fokus steht. Auf mehr als 90 Hektar – das entspricht einer Fläche von 230 Fußballfeldern – soll in Kamp-Lintfort gebaggert werden, so sieht es der neue Regionalplan vor. Allein Im Wickrather Feld soll davon etwa die Hälfte ausgewiesen werden. Beim Ortstermin wurde die Dimension deutlich: „Bis dahinten, wo Sie das kleine Haus sehen, und links bis dahin, wo die Bäumestehen“,
schlug der Vorsitzende der Kreisbauernschaft, Johannes Leuchtenberg, einen weiten, weiten Bogen.
Wo sollen Ersatzflächen herkommen?
Ein Viertel der Fläche nutzt Kevin Anhamm. Zum größten Teil, um Futter für seine 200 Kühe und die Nachzucht anzubauen: Mais, Getreide, Raps und vor allem Luzerne. „Das bedroht meine Existenz. Wo soll ich denn Ersatzflächen finden? Weite Wege zu fahren, ist einfach nicht nachhaltig“, erklärt der Landwirt. Besonders bedrohlich erscheint ihm das Szenario deshalb: „Ich plane ja nicht nur für mich, sondern auch für die nächste Generation.“ Die Gewinnmarge sei bei Milch ohnehin nicht groß, erklärt er. Es geht nicht nur um ihn. Drei Mitarbeiter beschäftigt der Züchter.
Ein interessanter Vergleich
Jagdpächter Georg Brambosch zieht einen interessanten Vergleich: „Sechs Mitarbeiter beschäftigt Hülskens im Orsoyer Rheinbogen, im größten Kieswerk Europas.“ Nein, diese Industrie schaffe keine Arbeitsplätze, sie vernichte sie, findet Brambosch. „Das macht mich wütend und ohnmächtig“, ergänzt Gerrit Korte, Geschäftsführer der Kreisbauernschaft. „Landwirte sollen für Artenvielfalt sorgen, aber auf weniger Fläche. Sie sollen regional sein, aber in der Region bleiben keine Flächen.“ Johannes Leuchtenberg untermauert das mit Zahlen: 1975 habe es im Kreis Wesel 75.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche gegeben, 2018 waren es noch 47.600 Hektar. Im selben Zeitraum sank die Zahl der Höfe von 3600 auf 900. „Da frage ich mich, welche Zukunft stellt sich die Schwarz-gelbe Koalition für die Landwirtschaft
vor?“ Auch im Wickrather Feld gebe es Flächen, die nicht mehr Landwirten gehören. Die hören von den Plänen gern, denn dann ließe sich ihr Land besser verkaufen. „Drei bis vier“ solcher Eigentümer gebe es im Dachsbruch.
Korte verweist auf die Niederlande: „Da darf nur ausgekiest werden, wenn es ein konkretes Projekt gibt. Wir als Landwirte hier sind gläsern. Und die Kiesindustrie kann uns keine Zahlen über Exporte nennen?“
Sorge, ob die Wand noch steht
Sorge macht den Landwirten vor allem, ob „die Wand noch so steht“, wie Hans-Henning Schultes es formuliert mit Blick auf die Bekundungen der Politik im Kreis Wesel, sich gegen die Kiesabbaupläne zu stemmen. Er fragt sich, wie die Landtagsabgeordneten der Regierungskoalition den Spagat hinkriegen wollen zwischen Parteiräson und Heimatverbundenheit. Theo Rahms von der IG Dachsbruch gibt die Hoffnung nicht auf: „Die Politik hat die historische Chance, Herz zu zeigen. Denn die Koalition hat nur eine Stimme Mehrheit.“ Und noch etwas macht ihn zuversichtlich: Das Gutachten eines Juristen, wonach der LEP nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche und die Erklärung der Bürgermeister aus Neukirchen-Vluyn, Kamp-Lintfort, Alpen und Rheinberg sowie des Kreises Wesel notfalls den Klageweg zu beschreiten: „Seitdem kann ich wieder schlafen.“