Kreis Wesel. Die AfD konnte bei der Europawahl auch im Kreis Wesel viele Stimmen gewinnen, besonders in einer Stadt. So reagieren die anderen Parteien darauf.

Die Europawahlen haben den Kreis Wesel in tiefschwarzes Gebiet verwandelt. Mit 31,19 Prozentpunkten sind die Christdemokraten auch hier der deutliche Wahlsieger, vor der SPD, die 21,23 Prozent der Stimmen erhält. Die Grünen haben ihre Stimmenanteile unterdessen im Vergleich zur Wahl 2019 nahezu halbiert und kommen nur noch auf knapp 11 Prozent. Auch die FDP muss leichte Einbußen in Kauf nehmen und erreicht 5,93 Prozent. Alle Parteien eint unterdessen die Sorge vor der erstarkten AfD, die trotz aller Skandale, Verfahren und staatsanwaltlichen Ermittlungen auch hier einen Zuwachs von mehr als vier Prozentpunkten auf 13,38 Prozent verbucht und damit drittstärkste Kraft im Kreis Wesel ist.

René Schneider zur Bundespolitik: „Die Performance der Ampelregierung ist für den Eimer!“

Bemerkenswert ist, mit welcher Deutlichkeit die CDU gewinnt. In vielen Kommunen konnten die Christdemokraten die SPD mit mehr als zehn, teilweise mit mehr als 20 Prozentpunkten auf Distanz halten. Der Kreisverbandsvorsitzende der SPD, Landtagsabgeordneter René Schneider, spricht ganz klar von einer „Denkzettelwahl“, bei der weder Europapolitik noch Kommunalpolitik eine Rolle gespielt hätten. Eine These, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap bestätigt. Demnach war für 55 Prozent der Wählenden die Bundespolitik ausschlaggebend. Die Ergebnisse von SPD, Grünen und FDP habe man deshalb erwarten müssen, sagt René Schneider, der selbst eine klare Meinung vom Berliner Kabinett hat: „Die Performance der Ampelregierung ist für den Eimer!“

Nur ein roter kommunaler Fleck leuchtet inmitten der schwarzen Landkarte schwach auf. In Kamp-Lintfort liegt die SPD mit 26,5 Prozent noch knapp vor den Christdemokraten, die auf 25,2 Prozent kommen. Vor allem aber entwickelte sich die Stadt in eine AfD-Hochburg des Kreises. 17,2 Prozent der Wählerinnen und Wähler machten dort ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen, in Teilen rechtsextremen und als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften Partei. Damit nimmt Kamp-Lintfort die Spitzenposition ein. Wobei die AfD in allen 13 Kommunen Zuwächse erzielt und nur in Hamminkeln kein zweistelliges Ergebnis einfahren kann.

SPD-Kreisverbandsvorsitzender René Schneider hat eine klare Meinung zur Arbeit der Ampelregierung.
SPD-Kreisverbandsvorsitzender René Schneider hat eine klare Meinung zur Arbeit der Ampelregierung. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Im Vergleich mit den Nachbarkreisen liegt Wesel an der Spitze, hinter dem Kreis Recklinghausen, dort haben 16,45 Prozent die AfD gewählt. Im Kreis Kleve kommt die AfD unterdessen auf 11,14 im Kreis Viersen auf 11,45 und in Krefeld auf knapp 12 Prozent.

Das ist auch der Grund, warum Landrat Ingo Brohl (CDU) das Ergebnis mit gemischten Gefühlen betrachtet. Natürlich freue er sich über das gute Abschneiden seiner Partei, allerdings bereite ihm der generelle Rechtsruck Sorgen. Das Ergebnis der AfD, aber auch des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), das im Kreis Wesel aus dem Stand und ohne Parteiprogramm 4,4 Prozent der Stimmen abgreifen konnte, will Brohl aber nicht nur dem miserablen Ampel-Image zuschreiben. Schließlich sei weltweit ein Trend nach rechts zu erkennen. Und gemessen an anderen Ländern, etwa Frankreich oder Italien, sei man „hier noch mit einem blauen Auge davongekommen“.

„Einen riesen Mist“, nennt dagegen René Schneider das Abschneiden der AfD, deren hohen Zustimmungswerte und vor allem die Zuwachsraten ein Menetekel für die Kommunalwahlen im kommenden Jahr sein könnten. Die Frage sei, wie sehr sich die Partei jetzt aus der Deckung wage, so Schneider. Eine Kommunalwahl sei anders als die Europawahl immer mit konkreten Personen verbunden. Für die Kommunalwahlen dürfe man aber nicht in Fatalismus verfallen, so Schneider, allerdings müsse man den Wahlkampf verjüngen und vor allem auf den digitalen Kanälen sichtbarer werden. Dort habe man Nachholbedarf, so Schneider mit Blick auf die jungen Erstwähler, die ihre Stimmen ebenfalls vielfach der AfD gegeben haben.

Vor allem müsse man immer wieder transparent machen, wie inhaltsleer die Partei auf Kreisebene unterwegs sei, sagt FDP-Fraktionsvorsitzender Constantin Borges. Außer Streitereien habe die AfD nichts zu bieten. Der stellvertretende Kreisverbandsvorsitzende, Rudolf Kretz-Manteuffel, glaubt aber nicht, dass sich das AfD-Europawahlergebnis auf die kommende Kommunalwahl übertragen lässt. „Bei den Kommunalwahlen geht es um die Lösungskompetenz vor Ort, und da ist die AfD bislang überhaupt nicht aufgefallen.“

Die Tendenz junger Wählerinnen und Wähler zu stark konservativen und rechten Parteien ist unterdessen besonders für die Grünen eine Abreibung, die sich auch im Kreis Wesel zuletzt vehement für ein Absenken des Wahlalters starkgemacht haben. Eine Forderung, die der Grünen-Kreisverbandsvorsitzende, Hans-Peter Weiß, einen Tag nach den Wahlen zumindest hinterfragt. Auch wenn man die Ergebnisse befürchtet habe, „das AfD-Ergebnis macht mir Angst“.

Dass Regierungsparteien bei Wahlen absacken, sei normal, „aber diese Entwicklung ist schon ziemlich dramatisch“, so Weiß, der seinen Frust nicht verbergen will: „Manchmal fragt man sich, was man noch tun soll.“ Man betreibe einen immensen Aufwand mit Veranstaltungen und Wahlständen, „und dann holen andere Parteien aus dem Stand solche Ergebnisse“. Zumal es ohnehin immer schwieriger werde, neue Wählerschichten zu erschließen. „Meistens erreicht man diejenigen, die dir ohnehin zugetan sind oder die einfach nur Kugelschreiber abgreifen wollen.“