Kreis Wesel. Rund 200 alte Apfelsorten gibt es am Niederrhein, sie geraten in Vergessenheit. Es bedarf viel Arbeit und Kreativität, um die Vielfalt zu retten.
Am Niederrhein wachsen sie noch: Rote Sternrenette, Rheinischer Bohnapfel, Rheinischer Winterrambour, Weißer Winterglockenapfel, Boskoop & Co. Alte Sorten, geschmackvoll, gesund, häufig lagerfähig und dennoch im Handel kaum zu bekommen. Regionalverband Ruhr (RVR), Naturschutzbund (Nabu) und weitere Akteure wollen die alten Sorten retten, die auf Streuobstwiesen gedeihen. Einige Schritte sind gemacht, doch nicht zuletzt muss es sich auch wirtschaftlich lohnen, diese Sorten zu pflanzen und zu pflegen. Und: Wer Verbraucher von der Vielfalt überzeugen will, muss ihnen einen Zugang bieten. Es gibt Lösungsansätze.
Mehr als 200 heimische Apfelsorten gebe es, sagt Christian Chwallek, Vorsitzender des Nabu in Alpen, „viele kennen nur die zehn Sorten, die im Handel angeboten werden“. Streuobstwiesen liegen ihm besonders am Herzen, und das nicht nur, weil sie zahlreichen Tieren Lebensraum bieten. Sein Ziel ist es, die Vermarktung dieser alten Sorten attraktiv zu machen. „Häufig werden die Äpfel nicht von Menschen, sondern von den unter den Bäumen grasenden Kühen verzehrt“, sagt Chwallek. Sein persönlicher Favorit ist die Ananasrenette, „die schmeckt wirklich nach Ananas, eine kulinarische Explosion!“ Anders als der Name es vermuten ließe, ist sie eine klassische Hausgartensorte, die seit rund 200 Jahren im Rheinland angebaut wird.
Anbieter und Genießer treffen sich im Netz
Wie kommen nun die Kunden an die Äpfel? Weil der Handel keine Option ist, sind die Aktiven aufs Internet ausgewichen. Auf streuobst-niederrhein.de gibt es einen Marktplatz, der für Verbraucher und Produzenten am gesamten Niederrhein kostenlos nutzbar ist. Wer einen besonderen Apfel sucht oder anbietet, kann das – günstigstenfalls zur Erntezeit – inserieren, die Chancen, dass Kunde und Anbieter zusammenkommen, stehen gut. Franz-Wilhelm Ingenhorst, beim Nabu-Kreisverband Wesel Spezialist für Streuobstwiesen, verzehrt gerade seine letzten Exemplare der Sorte Rheinischer Bohnapfel, die gut lagerfähig ist. Bis zu den ersten Klaräpfeln im Juli muss er dann Alternativen suchen. „Die kleinen Erzeuger haben keine Möglichkeit, ihre Ernte in stickstoffbegasten Kühlräumen zu lagern“, erläutert er, daher gibt es die alten Sorten nicht rund ums Jahr. Als Gelegenheiten, sie direkt zu kaufen, empfiehlt Ingenhorst die Obstwiesenfeste, Ende September beim Nabu in Alpen, am zweiten Septemberwochenende beim RVR auf der Bislicher Insel in Xanten und am Tag der offenen Tür in der Naturarena Wesel beispielsweise.
Ein anderes, drängendes Problem könnte der Marktplatz im Internet lösen: Viele Obstbaumwiesen, früher Bongert genannt, sind von der Eltern- oder Großelterngeneration gepflanzt und gepflegt worden, die Hofnachfolger können sich nicht darum kümmern. „Die Bäume vergreisen“, sagt Christian Chwallek. Warum also nicht Neubürger, die an den Niederrhein kommen und Interesse haben, mit Landwirten zusammenbringen, die ihre Obstwiesen nicht mehr pflegen? Zugegeben, wirklich lebhaft wird diese Option nicht genutzt, doch es ist eine Chance.
Manche Sorten duften und schmecken nach Kindheit
Bei der Frage der Wirtschaftlichkeit hat sich im Kreis Wesel viel getan, denn Ehrenamt allein kann Streuobstwiesen und ihre Sorten nicht nach vorn bringen. „Die Obstkelterei van Nahmen ist ein echter Glücksfall“, lobt Chwallek. Das Familienunternehmen aus Hamminkeln zahlt für Äpfel, die ungespritzt sind, einen höheren Preis, vorausgesetzt es sind alte Hochstamm-Sorten. Noch mehr profitiert der Erzeuger davon, wenn er sortenrein anliefert. Van Nahmen verarbeitet das Obst zu Apfelsaft von Streuobstwiesen und bietet ihn als eigenes Produkt an. Außerdem sortenreinen Saft, Pionier war die Rote Sternrenette. „Das hat 2007 beim Streuobstwiesenfest in Loikum begonnen“, erinnert sich Peter van Nahmen. Es gab eine Sortenausstellung mit 85 verschiedenen Äpfeln, unter anderem diesem. „Das ist der ur-niederrheinische Weihnachtsapfel“ und für viele Menschen ein Stück Kindheit. „Das war ein Aha-Effekt. Äpfel sind nicht nur Äpfel, sie sind mit Emotionen verbunden.“ Ihr Aussehen, der Duft, der Geschmack.
Die ungewöhnlichen Produkte finden ihre Abnehmer, so hat die Gastronomie die edlen Säfte für sich entdeckt. Auch andere Fans fanden sich, die sich den Mehrwert auch etwas mehr kosten lassen. „Es ist ein kleines, feines und hochwertiges Produkt“, sagt van Nahmen, dem das Projekt Spaß bereitet. Und es lohnt sich, auch wirtschaftlich, „wir müssen keinen Groschen drauflegen“. Damit es Zukunft hat, sei Verlässlichkeit wichtig. „Es muss sich langfristig lohnen, die Bäume zu pflanzen. Sie tragen erst nach acht bis zehn Jahren die ersten Äpfel und erst nach 25 Jahren voll. Dann aber 70 bis 100 Jahre lang.“
Alte Apfelsorten: Eine Chance für Allergiker
Vor allem die modernen Apfelsorten sind für von Allergien geplagte Menschen meist ungenießbar. Das liegt an ihrem geringen Polyphenolgehalt. Polyphenole sollen als Antioxidanten wirken, gut für Herz und Kreislauf sein, den Blutdruck senken und die Zellen schützen. Sie können allergische Reaktionen mindern oder verhindern, zudem sind sie offenbar gesund. Ob ein Apfel viel oder wenig davon enthält, zeigt sich beim Anschneiden: nimmt er schnell eine bräunliche Färbung an, ist er reich an Polyphenolen.
Davon abgesehen, sind nicht alle alten Sorten auch für Allergiker verträglich und wenn, dann nicht jede für jeden. Auch verlieren Äpfel bei der Lagerung an Polyphenolen, heißt: Frisch genossen, kann die gleiche Sorte verträglich sein, die nach einigen Wochen eine Reaktion auslöst.
Ausführlich mit dem Thema Äpfel und Allergien hat sich der BUND Lemgo beschäftigt, seine Erkenntnisse und Ergebnisse sind auf bund-lemgo.de/apfelallergie.html nachzulesen und stehen zum Download bereit. Für die alte Sorte Berlepsch beispielsweise gaben 86 Probanden an, ihn zu vertragen, fünf nicht. Golden Delicious, modern, vertrugen fünf Probanden, 167 dagegen nicht.
Offenbar funktioniert es, die Sorten werden wieder angebaut. Mehr als 20.000 Bäume seien von seinen Partnern in den zurückliegenden Jahren nachgepflanzt worden. Und die Rote Sternrenette hat ein Comeback am Niederrhein gefeiert. Als „genial“ bezeichnet Christian Chwallek die Idee, auch Fruchtsecco auf diese Art zu produzieren. „Das holt das Thema aus der Ecke der Stricksockenträger weg“, sagt er augenzwinkernd.
Hochstämme eignen sich nicht für kleine Hausgärten
Eine alte Apfelsorte in den eigenen Garten zu pflanzen, davon rät Franz-Wilhelm Ingenhorst ab. „Hochstämmige Bäume haben im kleinen Hausgarten nicht genug Platz“, erklärt er. Je nach Sorte brauche so ein Baum eine Fläche von bis zu 150 Quadratmetern, das müsste schon ein besonders großer Garten sein. Hochstämmig sind die alten Sorten, damit das Vieh darunter weiden konnte. Hat man den Platz dafür, empfiehlt Ingenhorst, die Bäume nur in einer klassischen Obstbaumschule zu kaufen, „auf keinen Fall im Baumarkt“. Leider seien diese Baumschulen ein Fall für die Rote Liste, sie drohen auszusterben. Tipps gibt er gern.