Kreis Wesel. Schermbecks Bürgermeister machte mit seinen Kindern wochenlang Urlaub – über die Ferien hinaus. Beurlaubung hätte nicht genehmigt werden dürfen.
- Nach der zunächst anonymen NRZ-Berichtererstattung über die Beurlaubung von schulpflichtigen Kindern, hat sich der betroffene Bürgermeister Mike Rexforth nun öffentlich zum Fall geäußert.
- Er hatte seine Kinder für mehrere Wochen beurlauben lassen, um mit seiner Familie zu verreisen. Die dafür erteilte Genehmigung stellte sich im Nachhinein als nicht zulässig heraus, wie die Bezirksregierung nach einer Prüfung bekanntgab.
- Lesen Sie hier die exklusive NRZ-Recherche zu dem Vorfall.
Den Sohn oder die Tochter ein, zwei Tage vor den Ferien aus der Schule holen – und so viel Geld beim Flugticket für die Fernreise sparen. Viele Eltern von schulpflichtigen Kindern dürften mit diesem Gedanken zumindest schon mal gespielt haben. Doch die Chance, dass Schülerinnen und Schüler unmittelbar vor oder nach den Ferien beurlaubt werden, ist gering, die Auflagen für eine Ausnahmeregelung sind hoch.
Aber wie genau schauen Schulleitungen und zuständige Behörden im Einzelfall wirklich hin? Im Kreis Wesel wird nun ein Fall bekannt, der diese Frage aufwirft. Es geht dabei um eine lange im Voraus erteilte Genehmigung für eine Reise von schulpflichtigen Kindern, im Nachhinein stellte sich die dafür erteilte Beurlaubung als nicht zulässig heraus. Beim Antragsteller handelte es sich um Mike Rexforth, den Bürgermeister der Gemeinde Schermbeck im Kreis Wesel.
Hinweis: Die NRZ hatte zunächst ohne Namensnennung über diesen Fall berichtet, um die Persönlichkeitsrechte des Bürgermeisters und insbesondere die der minderjährigen Kinder zu schützen. Nun hat sich die Sachlage verändert: Rexforth hat seinen Urlaub am Donnerstagabend bei einer Rede auf dem Neujahrsempfang der CDU in Schermbeck, seine Urlaubsreise selbst öffentlich gemacht und seinen politischen Gegnern eine Kampagne vorgeworfen. Den ausführlichen Bericht mit der Stellungnahme des Bürgermeisters können Sie hier nachlesen.
Nach Informationen der Redaktion ist der Rexforth bereits in der Woche vor dem Beginn der Weihnachtsferien 2023/2024 mit seinen Kindern in den Urlaub geflogen, laut seiner Aussage dauerte die Auslandsreise bis zum 21. Januar – demnach sind seine Kinder für insgesamt etwa drei Wochen außerhalb der Ferien nicht in der Schule gewesen, trotz der strengen Regeln für die Schulpflicht, die in Nordrhein-Westfalen gelten.
Bezirksregierung stellt klar: Die Genehmigung hätte nicht erteilt werden dürfen
Die „Beurlaubung der Kinder von der Schule hätte nicht erteilt werden dürfen“, sagte eine Sprecherin der Düsseldorfer Bezirksregierung auf mehrfache Nachfrage der Redaktion bei verschiedenen Beteiligten. Eine nachträgliche Überprüfung habe ergeben, dass sie nicht den Regelungen des geltenden Runderlasses entsprochen habe. Über Beurlaubungen von Schülerinnen und Schülern entscheiden die Schulleiterinnen und Schulleiter vor Ort selbst, solange es nicht um einen Zeitraum von mehr als einem Jahr geht. Der Bürgermeister hatte den Antrag schon vor rund zwei Jahren gestellt, zum damaligen Zeitpunkt war an der Schule seiner Kinder eine kommissarische Schulleitung tätig.
Wie der Schermbecker Bürgermeister der Redaktion schon Mitte Januar mitteilte, sei der Antrag „vom damaligen Schulleiter mit den sich daraus ergebenen Beschulungsverpflichtungen schriftlich genehmigt“ worden. Seine Familie habe den aktuellen Schulleiter nach seinem Dienstantritt über die vorliegende Genehmigung informiert. „Die heutige Schulleitung ist insofern nicht beteiligt“, so der Bürgermeister.
Hintergrund zu Mike Rexforth
Mike Rexforth (54) ist ein Eigengewächs der Schermbecker Verwaltung. Schon während seines Studiums an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung fing er 1991 als Gemeindeinspektoranwärter in seinem Geburtsort an. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst als Sachbearbeiter im Steueramt, später übernahm er die Sachgebietsleitung des Sozialamtes und war dann auch Leiter des Amtes für Finanzverwaltung. Im Herbst 2013 wurde er zum Kämmerer bestellt und zum allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters – bei der Kommunalwahl 2014 trat er als Bürgermeisterkandidat für die CDU an und holte einen deutlichen Sieg. 2020 wurde er mit 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Dass die Genehmigung nicht hätte erteilt werden dürfen, übersah aber offenbar nicht nur ein Verantwortlicher: Der Interims-Schulleiter hatte in dieser Sache zusätzlich Rücksprache mit dem Schulamt gehalten, bestätigte die Bezirksregierung als zuständige Aufsichtsbehörde. „Die damalige kommissarische Schulleitung hat diesem Antrag in Abstimmung mit der damaligen Vertreterin des Schulamtes entsprochen“, schreibt die Sprecherin, an der Entscheidung selbst war die Bezirksregierung nach eigener Aussage nicht weiter beteiligt.
Die Regeln für die Beurlaubung von der Schule sind in NRW sehr streng
Die Kriterien, nach denen Kinder von der Schule beurlaubt werden können, sind im Schulgesetz und in einem Runderlass des Schulministeriums geregelt – und sie sind ziemlich streng. Aus einem „wichtigen Grund“ können Schülerinnen und Schüler bis zu einem Jahr beurlaubt werden, heißt es vom Schulministerium. „Dazu gehören zum Beispiel religiöse Anlässe oder es kann auch ein Auslandsaufenthalt oder Schüleraustausch in Betracht kommen. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung der Schulleitung. Eine Beurlaubung ist nur möglich, wenn wichtige schulische Gründe nicht entgegenstehen. Dies ist stets eine Frage der Umstände des Einzelfalls“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums.
Laut dem Runderlass, dem die für die Kinder des Schermbecker Bürgermeisters ausgestellte Genehmigung nicht entsprach, können zum Beispiel politische Veranstaltungen oder Sportwettbewerbe, an denen ein Kind teilnimmt, ein „wichtiger Grund“ sein. Auch ein Todesfall innerhalb der Familie fällt darunter. Ganz klar betont wird darin für solche Fälle: „Die Dauer der Beurlaubung soll je Schuljahr insgesamt eine Woche nicht überschreiten.“ Zudem enthält der Erlass eine weitere ausdrückliche Regelung: „Unmittelbar vor und im Anschluss an die Ferien darf eine Schülerin oder ein Schüler nur beurlaubt werden, wenn die Beurlaubung ersichtlich nicht dem Zweck dient, die Schulferien zu verlängern, preisgünstigere Urlaubstarife zu nutzen oder möglichen Verkehrsspitzen zu entgehen“, heißt es auf der Internetseite des Schulministeriums.
Eltern, die mit ihren Kindern ohne genehmigte Beurlaubung vor Beginn der Ferien in den Urlaub starten oder nach Ferienende zurückkehren, droht nach Angaben der Bezirksregierung ein Bußgeld von maximal 1000 Euro. Und das kommt immer wieder mal vor: Im Jahr 2022 gab es allein an den weiterführenden Schulen im Bereich der Bezirksregierung insgesamt 419 Ordnungswidrigkeitsverfahren im Zusammenhang mit den Ferien. Ein solches Verfahren droht dem betroffenen Bürgermeister allerdings nicht: „Dennoch konnte sich die Familie, die die Beurlaubung der Kinder beantragt hat, auf die Rechtmäßigkeit der ergangenen Entscheidung verlassen, sodass die Durchführung der Reise nicht beanstandet werden kann“, schreibt die Bezirksregierung auf die Anfrage der Redaktion.
Schermbecker Bürgermeister beruft sich auf Stellungnahme der Bezirksregierung
Darauf beruft sich nun auch Mike Rexforth. Die Stellungnahme der Bezirksregierung bestätige, „dass unser Antrag als Familie auf Befreiung von der Schulpflicht offiziell gestellt, formell durch die zuständige Behörde geprüft und genehmigt wurde und wir damit auf die Richtigkeit der Entscheidung der Landesbehörde vertrauen durften und damit unsere Reise nicht zu beanstanden ist.“ Mit welcher Begründung sich der Bürgermeister überhaupt um die Genehmigung bemühte, ließ er gegenüber der NRZ offen.
In ihrer Antwort an die Redaktion macht die Pressestelle der Bezirksregierung dazu mit Verweis auf den Datenschutz ebenfalls keine genaueren Angaben, es heißt darin lediglich, dass die Beurlaubung nicht dem gültigen Runderlass entsprochen habe. In einem nicht-öffentlichen Schreiben zum Sachverhalt, das der NRZ vorliegt, steht darüber hinaus: „Begründet wurde dieser Antrag mit einer beabsichtigten Reise, welche die Dauer der Weihnachtsferien 2023/24 überschreiten sollte.“
Mehrere Expertinnen und Experten aus dem Schulbereich, mit denen die NRZ im Zuge der Recherchen gesprochen hat, halten eine Beurlaubung von mehreren Wochen für extrem außergewöhnlich, insbesondere um die Ferien herum. Eine Statistik wird darüber in Nordrhein-Westfalen allerdings nicht geführt – weder vom Schulministerium noch von der Bezirksregierung. „Da in der Regel die Schulleitungen für Beurlaubungen zuständig sind, liegen der Bezirksregierung dazu keine Daten vor“, bestätigt die Sprecherin der Düsseldorfer Behörde. Weder dem Land noch der Bezirksregierung ist also bekannt, wie viele Beurlaubungen pro Jahr ausgesprochen werden, die für einen längeren Zeitraum gelten.
Alya Çelik, die NRW-Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, sagt unabhängig vom konkreten Fall: „Gerade in den Wochen vor und nach Ferien stehen Beurlaubungsanträge besonders im Fokus. Es ist für mich gelebte Praxis, dass Schulleitungen ganz genau hinschauen und Belege einfordern, die deutlich machen, welchem Zweck eine Beurlaubung dient.“
Das Schulministerium äußerte sich ebenfalls nicht zum Vorgang im Kreis Wesel, sondern lediglich allgemein zu Freistellungen von Schülerinnen und Schülern. Es lägen in NRW „keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Schulleitungen hier missbräuchlich handeln. Sollte dies der Fall sein, würde die Schulaufsicht tätig werden.“ Die Bezirksregierung hat aus dem Vorfall bereits erste Konsequenzen gezogen, die weit über den Kreis Wesel hinausgehen. Die Behörde nimmt die Angelegenheit „zum Anlass, alle Schulen und Schulämter im Regierungsbezirk Düsseldorf für den Umgang mit Beurlaubungen von Schülerinnen und Schülern zu sensibilisieren“, so die Sprecherin.