Kreis Wesel. Das Ausbildungsjahr startet und es gibt noch viele offene Stellen. Das Nachwuchsproblem erreicht vor allem das Handwerk. Das sagen Experten:

Das neue Ausbildungsjahr beginnt am Dienstag, 1. August, mit einem alten Problem: dem Nachwuchsmangel. 1403 Lehrstellen waren im vergangenen Juni unbesetzt, dem standen 785 Jugendliche gegenüber, die noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz waren. Zwar dürften die Zahlen laut Arbeitsagentur mittlerweile gesunken sein, weil laufend Mitteilungen über Neueinstellungen in Betrieben einliefen. Dass sich an dem grundsätzlichen Problem aber etwas ändert, davon ist nicht auszugehen.

Die Nachwuchssuche gestaltet sich bundesweit schwierig, da bildet der Kreis Wesel keine Ausnahme. Allerdings gelingt die Anbindung von Praktikantinnen und Praktikanten an die Betriebe in ländlichen Gebieten laut Arbeitsagentur für den Kreis Wesel noch etwas besser als in urbanen Strukturen, „da die Schulen gerade bei den dortigen Handwerksbetrieben bekannt sind und diese auch entsprechende Praktikaangebote vorhalten“.

Welche Branchen im Kreis Wesel Nachwuchsprobleme haben

Das täuscht nicht darüber hinweg, dass vor allem das Handwerk auf ein strukturelles Problem zuläuft, wie der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Holger Benninghoff, im Gespräch mit der Redaktion erklärt. Besonders dann, wenn die Babyboomer in Rente gehen. „In den nächsten zehn Jahren gehen 30 Prozent der Beschäftigten unserer Mitgliedsbetriebe in den Ruhestand“, sagt Benninghoff. „Alle Nase lang höre ich: ,Herr Benninghoff, ich suche Mitarbeiter.’“

Große Schwierigkeiten sieht der Geschäftsführer vor allem bei den Friseuren, aber auch Dachdeckerbetriebe suchten regelmäßig neuen Nachwuchs, genauso wie der Metallbau und der reguläre Baubereich, wie zum Beispiel bei den Maurerinnen und Maurern. Das habe auch mit einem Imageproblem zu tun, unter dem das Handwerk leide, so Benninghoff. „Klar, ist es anstrengend“, sagt der Geschäftsführer. Allerdings sei es nicht richtig, dass man im Handwerk nicht angemessen verdienen könne, so Benninghof weiter. Als Maurerlehrling komme man im ersten Lehrjahr auf 935 Euro monatlich, im zweiten auf 1230 und im dritten auf 1495 Euro. Als ausgebildeter Maurer mit Berufserfahrung in Lohngruppe 4 könne man rund 3900 Euro brutto verdienen.

„Es wird nicht mehr wahrgenommen und nicht mehr wertgeschätzt.“ Ein Grund sei die zunehmende Akademisierung: „70 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind auf dem Weg zum Abitur.“ Übrig blieben 30 Prozent, „um die viele, viele Betriebe konkurrieren“. In dem Zusammenhang sieht Benninghoff sowohl die Schulen als auch die Hochschulen und Universitäten in der Pflicht. Dass sich die meisten Abiturientinnen und Abiturienten an einem Studium versuchten, sei klar, doch nicht alle hielten es auch durch. Allerdings wisse man nicht, wo die Abbrecherinnen und Abbrecher landen, um ihnen einen Alternativweg anzubieten. Da müsse die Kommunikation mit den Hochschulen und Unis besser werden.

Schwierige Suche nach Azubis im Kreis Wesel: Firmen verschieben Lehrbeginn

Der generelle Nachwuchsmangel ist das eine, dazu kommt die gesunkene Zahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber. Was auch an den Zeugnisnoten lag, die nur bedingt etwas über das grundsätzliche Talent für den Wunschberuf aussagen. Laut Arbeitsagentur zeigen sich viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hinsichtlich der Einstellungsvoraussetzungen mittlerweile flexibler als noch vor einigen Jahren, was Schulabschlüsse oder gar Notenvorgaben bei den Bewerberinnen und Bewerbern angehe. „Schlicht vor dem Hintergrund, dass es aufgrund des Bewerbermangels schwieriger wird, die eigenen Ausbildungsstellen zu besetzen.“

Das gilt auch für die kaufmännischen Ausbildungsberufe. Laut Niederrheinischer IHK sind viele Unternehmen dazu übergegangen, die Ausbildungsverhältnisse einen Monat später, am 1. September, beginnen zu lassen. „Mit ein Grund ist hier die schwierige Suche nach einem passenden Azubi“, sagt der IHK-Teamleiter für Kaufmännische Ausbildungsprüfungen, Andreas Schwan.

Allerdings: Schwarz malen möchte niemand. Die Agentur für Arbeit setzt auf Orientierung, um Schulabsolventinnen und -absolventen beim Weg durch das mittlerweile riesige und unübersichtliche Ausbildungsangebot zu unterstützen. Holger Benninghoff setzt auf Beharrlichkeit im Werben um neuen Handwerksnachwuchs. Denn an der Leistungsqualität und -bereitschaft der Jugendlichen liegt es seiner Meinung nach nicht. Die hätten sich nicht verändert: „Sie finden heute genauso gute und motivierte Leute wie Sie vor 30 Jahren auch richtig schlechte gefunden haben.“

>>>Orientierung für Jugendliche und Unternehmen<<<
Offene Lehrstellen gibt es laut Agentur für Arbeit beispielsweise im Einzelhandel als Verkäuferin und Verkäufer oder im kaufmännischen Bereich. Auch Kfz-Mechatronikerinnen und -Mechatroniker werden gesucht, genauso wie medizinische Fachangestellte, Handelsfachwirte und Köche. Orientierung erfahren Jugendliche bei der Berufsberatung. Infos und Kontakt: www.arbeitsagentur.de/vor-ort/wesel/ausbildung-studium. Auf der anderen Seite hilft die IHK Unternehmen, noch offene Plätze zu besetzen. „Betriebe, die noch freie Ausbildungsstellen haben, können sich bei uns melden. Wir stellen dann Kontakte zu möglichen Azubis her“, sagt Andreas Schwan.