Kreis Wesel/Voerde. Das Jobcenter hat einen Überblick zur Lage der Ukraine-Geflüchteten im Kreis Wesel gegeben. Für die Aussage von CDU-Chef Merz gibt es Kritik.
- Seit 1. Juni ist das Jobcenter im Kreis Wesel für die Menschen zuständig, die aufgrund des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine geflohen sind.
- Viele dieser Menschen kommen aus dem Umkreis von Kiew, es sind vor allem Frauen und Kinder.
- Die Menschen sind sehr motiviert, berichtet das Jobcenter. Es hakt allerdings bei Kapazitäten in wichtigen Sprachkursen.
„Die erste Herausforderung hat die Kommune – sie kümmert sich, dass die Geflüchteten untergebracht und betreut werden, erst dann kommen wir“, sagt Michael Müller, Geschäftsführer des Jobcenters im Kreis Wesel. Und der zweite Schritt geschah im Fall der Menschen aus der Ukraine, die in diesem Jahr aufgrund des russischen Angriffskriegs nach Deutschland flüchteten, zum 1. Juni innerhalb weniger Tage: Rechtskreiswechsel hin zur Grundsicherung. Das Jobcenter ist seither für die Geflüchteten zuständig – für das Finanzielle, die Vermittlung in Sprachkurse und auch in den Arbeitsmarkt. Dazu wurde nun beispielhaft mit Eindrücken aus Voerde eine erste Bilanz gezogen.
Das Resümee: Nach aktuellem Stand verzeichnet das Jobcenter im Kreis Wesel insgesamt 2610 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, darunter 833 Kinder bis 14 Jahre. 1777 Personen werden vom Jobcenter betreut, der Großteil davon ist weiblich oder divers (1281). Das sei anders als 2015, als viele allein reisende Männer nach Deutschland kamen, ordnet Müller ein. Der Hauptteil komme aus dem Umkreis von Kiew, die Geflüchteten seien gut qualifiziert, es gebe wenige Ungelernte. „Eine gute Chance für uns mit Blick auf den Fachkräftemangel“, sagt Müller. „Sie sind sehr motiviert, nehmen teilweise bereits eine Nebenbeschäftigung neben dem Sprachkurs auf.“
Großes Manko: Es fehlt an Sprachkursen für Geflüchtete im Kreis Wesel
Monika Leiterholt von der zuständigen Taskforce beim Jobcenter kann weitere Fakten nennen: Stand August konnten 34 Personen auf dem Arbeitsmarkt integriert werden – es seien allerdings im September noch einige dazu gekommen. Unter den Geflüchteten seien viele Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten, Steuerberater oder Buchhalter, aber auch Mitarbeitende aus der Gastronomie sowie viele Lkw-Fahrer („Sie werden uns aus den Händen gerissen“). Die Zahlen weisen 990 Personen unter dem Stichpunkt „Helfer/in“ aus. Das liege aber auch daran, dass viele Berufe hier erst mal noch zugeordnet werden müssten bzw. sie es so hier gar nicht gebe, sagt Leiterholt. Viel Zeit gehe für die Übersetzungsaufträge drauf.
Bei der Sprache liegt eine große Hürde, denn es gibt nicht genug Kapazitäten für Kurse: Es fehlten für die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zertifizierten Kurse qualifizierte Lehrkräfte, stellt Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann heraus. Besonders problematisch sei es in den sehr ländlich gelegenen Kommunen wie Sonsbeck oder Alpen mit Wartezeiten bis zu neun Monaten, ergänzt Michael Müller. Wo es möglich gewesen sei, seien bereits Aufnahme im Arbeitsmarkt ohne vorherigen Sprachkurs erfolgt, heißt es. Der zweite Knackpunkt ist die Kinderbetreuung. Die Schule sei kein Problem, hier seien alle schulpflichtigen Kinder untergebracht, sagt Müller. Aber es fehle an Kindergartenplätzen und entsprechend an Betreuungsmöglichkeiten, wenn die Mütter Sprachkurse wahrnehmen.
Geflüchtete sind Bundesland zugewiesen - Voerde merkt Fluktuation
Was ebenfalls anders ist als 2015: Die Geflüchteten sind keiner Kommune, sondern dem Bundesland zugewiesen. Erfahrung mit der Fluktuation mache man auch in Voerde, sagt der Beigeordnete Jörg Rütten. Einige würden sich mitunter auch den Großstädten zuwenden. Für die Kommunen wie Voerde ist zudem vor allem die Suche nach geeignetem Wohnraum eine große Herausforderung, wie Dirk Haarmann erläutert. Der Rechtskreiswechsel sei aus seiner Sicht ein Segen gewesen, „wir arbeiten auf Anschlag in diesem Bereich“. Man komme an die Kapazitätsgrenzen.
CDU-Parteichef Friedrich Merz hat in den vergangenen Tagen viel Kritik für seine Aussage zum angeblichen „Sozialtourismus“ von Menschen aus der Ukraine erhalten – wenn er sie inzwischen auch zurückzog. Trotz allem Zurückrudern blieben solche Aussagen an Stammtischen hängen, kritisiert Dirk Haarmann. Jobcenter-Geschäftsführer Michael Müller erläutert dazu: „Natürlich dürfen sie reisen, das teilen sie uns auch mit“, die Menschen würden das nicht aus Spaß tun, betont der Geschäftsführer des Jobcenters. Die Menschen begeben sich schließlich in große Gefahr, das geschehe aus notwendigen mitunter sehr traurigen Gründen. Wer länger als 21 Tage fort sei, erhalte keine Fortzahlung, das werde dann auch in Kauf genommen, so die Erfahrungen aus dem Jobcenter.