Kreis Wesel/Kreis Kleve. Wer mit einer Straftat konfrontiert wird, fühlt sich oft hilflos. Was Ehrenamtliche des Weißen Rings in den Kreisen Wesel und Kleve tun können.
Opfer von Gewalt zu werden, die Gefahr ist in Großstädten doch höher als auf dem Land? Karl-Heinz Schayen, stellvertretender Landesvorsitzender der Opferorganisation Weisser Ring und Außenstellenleiter für die Kreise Wesel und Kleve, widerspricht. Es komme allein auf die Anzahl der Menschen an. „Der Kreis Wesel und der Kreis Kleve haben zusammen etwas mehr Einwohner als die Stadt Düsseldorf“, sagt er. „Und die Zahl der Straftaten ist in etwa vergleichbar.“ Hinter jeder Tat stehen Opfer und ihre Familien, die Hilfe brauchen. Dann tritt der Weiße Ring auf den Plan.
In der Stadt prügeln sich die Leute eher nachts vor den Clubs und vergewaltigen, sagt der pensionierte ehemalige Klever Polizeichef mit Blick auf „die längste Theke der Welt“ in Düsseldorf, aber auch auf die Ruhrpottnahen Städte Moers und Dinslaken. „Auf dem Land geschieht das beim Schützenfest.“
Erster Kontakt durch die Polizei
Kriminalität wirft Menschen aus der Bahn. „Die alte Frau im Supermarkt, deren Handtasche mit Geldbörse gestohlen wird. Opfer von Stalking, Missbrauch oder häuslicher Gewalt“, nennt Schayen Beispiele, „und Angehörige von Mordopfern“. In der Coronazeit sei speziell die häusliche Gewalt „in Mode gekommen“, aktuell boomten wieder die Taschendiebstähle.
70 bis 100 Opfer betreut der Weiße Ring jährlich im Kreis Wesel, weitere 50 bis 80 im Kreis Kleve. Was kann der Verein für die Menschen tun – und wie kommen sie eigentlich zum Weißen Ring? „Wenn die Polizei gut ist, gibt sie den Leuten einen Flyer von uns mit“, erläutert Schayen. Darin steht die Notfall-Rufnummer des Weißen Rings 116 006 und die der Außenstelle ebenfalls (02821/973 66 67).
Es gibt ein erstes Treffen mit den Ehrenamtlichen des Opferschutzvereins, „wir besprechen dann, was machbar ist“. Das ist einiges: Konkret begleitet der Weiße Ring Menschen zu Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Er kann Hilfeschecks für eine Erstberatung beim Anwalt geben. Zudem übernimmt der Verein die Anwaltskosten um Opferschutzrechte im Strafverfahren zu wahren oder Ansprüche nach dem Opferentschädigungsrecht durchzusetzen.
Hilfe bei den Traumaambulanzen organisieren
Auch können die Ehrenamtler dafür sorgen, dass seelisch Belastete eine Traumaambulanz aufsuchen können, dafür stellt er den Antrag auf Finanzierung beim Landschaftsverband. Als Traumaambulanzen für die Region nennt Schayen die am Alexianer Krefeld, an St. Vincenz Dinslaken, beim LVR in Geldern und an St. Nikolaus Rheinberg.
Nicht nur seelische, auch ganz handfest finanzielle Notlagen können aus einer Straftat entstehen. Dann nämlich, wenn die im Supermarkt bestohlene Seniorin wegen des Diebstahls nicht mehr genug Geld hat, um über den Monat zu kommen. „Wir helfen dann“, sagt Schayen, das Geld muss sie nicht zurück zahlen. Weil immer wieder mal findige Menschen glauben, auf diese Weise ihre Kasse aufbessern zu können, brauche er einen Nachweis für die Straftat.
Manche Menschen trifft es besonders hart. „Ich betreue eine Familie, der Vater wurde Opfer eines Mordes“, sagt Schayen. Der Mann hinterlässt fünf Kinder. Der Weiße Ring hat sich um die Familie gekümmert, dafür gesorgt, dass Halbwaisenrenten beantragt werden, damit es weiter gehen kann. Schayen spricht auch über eine Frau, deren Mann nach einem Mordversuch wochenlang im Koma lag. „Sie musste sich um alles kümmern, wir haben sie unterstützt.“ Eine andere Frau wurde Opfer häuslicher Gewalt. Ja, der Mann wurde der Wohnung verwiesen. Doch sie blieb zurück mit vier Kindern und völlig zerschlagenem Mobiliar. „Es gab keinen Tisch und keine Stühle.“
Aktuell mehrt sich ein Phänomen: Menschen fühlen sich als Opfer, sie glauben sich von außen gesteuert, haben Angst. „Wir wissen, wir können nicht helfen, fahren aber trotzdem hin“, sagt Schayen. „Ein Mann sagt zu mir: ‘Ich wohne hier jetzt seit drei Jahren und plötzlich bestrahlen die mich durch die Decke!’“ Manchmal tut es gut, dass einfach jemand zuhört.
Ehrenamtlich im Einsatz
Mitarbeiter des Weißen Rings arbeiten ehrenamtlich. Sechs sind im Kreis Wesel aktiv, im Kreis Kleve gibt es aktuell einen, aber mit drei Interessenten Aussicht auf Besserung. „Sie kommen zum großen Teil aus dem sozialen Bereich“,so Schayen, gefolgt von ehemaligen Polizisten und Soldaten. Es sind Menschen, die helfen wollen.
Was wünscht sich ein Mensch wie Karl-Heinz Schayen von der Politik? „Das Thema sexueller Missbrauch muss viel früher ansetzen, noch im Kindergarten“, sagt er. „Es gibt ganz viele ganz kleine Opfer.“ Es gebe pädagogisches Material, um mit den Kindern und ihren Erzieherinnen zu arbeiten.