Kreis Wesel. Für viele Frauen ist das eigene Zuhause kein sicherer Ort: Der Runde Tisch häusliche Gewalt im Kreis Wesel sagt, wo sie Schutz finden können.

Misshandlung, Bedrohung, Beleidigung, Telefonterror, Stalking – die Liste dessen, was Männer Frauen nicht selten antun, ist lang. Seit 22 Jahren gibt es im Kreis Wesel den Runden Tisch gegen häusliche Gewalt: Ein Netzwerk von Institutionen, die helfen und eingreifen. Wie erschreckend der Alltag der Opfer ist, machte jetzt eine digitale Fachtagung des Runden Tisches klar - Thema: Interventionsketten, wo können gewalttätige Kreisläufe durchbrochen werden?

Tanja Lange ist Opferschutzbeauftragte der Kreispolizei Wesel und berichtete über die Arbeit der Polizei. „Oft fällt häusliche Gewalt bei Einsätzen auf: Nachbarn melden eine Ruhestörung“, berichtet sie. Die Beamten befragen die Beteiligten getrennt, verweisen den Aggressor der Wohnung, Rückkehrverbot für zehn Tage inklusive.

Aggressor wird der Wohnung verwiesen und darf vorerst nicht zurückkehren

Die Opfer bekommen Informationsmaterial an die Hand. Sind sie einverstanden, gibt die Polizei ihre Daten an eine Beratungsstelle weiter, beispielsweise Frauen helfen Frauen in Moers, die den Kontakt aufnimmt. 503 Fälle häuslicher Gewalt hat die Kreispolizei Wesel im Jahr 2021 festgestellt und 326 Mal einen Wohnungsverweis mit Rückkehrverbot ausgesprochen. Verstöße sind eine Straftat und die Polizei kontrolliert.

Zehn Tage Rückkehrverbot, das ist eine Frist, die Opfer nutzen können, um beim Amtsgericht einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung zu stellen. „Ein typischer Fall ist, dass die Leute kommen – meist sind es Frauen – und einen Beschluss möchten, ‘dass der nicht mehr in meine Nähe kommt’“, berichtet Anja Neuhaus von der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Wesel. „Der“, das kann der Ex sein, ein Nachbar, ein Kollege. Viele Frauen haben eine lange Odyssee durchlitten. Meist sei eine Steigerung festzustellen: „Aus schubsen wird schlagen, aus Beleidigung Drohung.“

Frauen sollten sämtliche Beweise zum Gericht mitbringen

Damit ein Antrag beim Familiengericht gestellt werden kann, muss detailliert auf den Tisch, was wann geschehen ist und in eidesstattlicher Erklärung angegeben werden. Die Fachfrau rät, die Geschehnisse chronologisch aufzuschreiben und alles, was als Beweis dienen kann, gleich zum Termin mitzubringen: Chatverläufe beispielsweise. Falls es Zeugen gibt, diese mitnehmen. War die Polizei vor Ort? Sie hat die Vorfälle dokumentiert. Gab es Verletzungen? Ein ärztliches Attest sollte das belegen. Wichtig, damit es schnell geht: Das Gericht benötigt die Wohnadresse des Täters, damit ein möglicher Beschluss zugestellt werden kann. Frauen können wählen, ob sie zu dem Amtsgericht gehen, in dessen Zuständigkeit der Aggressor lebt oder zu dem, in dessen Bereich die Tat geschehen ist.

Die Dunkelziffer dürfte hoch sein: Viele Frauen haben in ihrer Beziehung bereits Gewalt erlebt (Symbolbild).
Die Dunkelziffer dürfte hoch sein: Viele Frauen haben in ihrer Beziehung bereits Gewalt erlebt (Symbolbild). © dpa | Maurizio Gambarini

Mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung verlängert sich das Rückkehrverbot um weitere zehn Tage. Gibt das Gericht dem Antrag statt, ist es dem Aggressor verboten, sich der Wohnung, Arbeitsstelle, dem Kindergarten oder der Schule zu nähern, zufällige Treffen zu arrangieren oder digital Kontakt aufzunehmen. Tatsächlich seien ihm sogar explizit körperliche Misshandlungen untersagt, so Anja Neuhaus. Auch entscheidet das Gericht über die Möglichkeit einer Wohnungszuweisung: Es kann verfügen, dass das Opfer die gemeinsame Wohnung allein nutzen kann, häufig zum Schutz der Kinder.

Ist die Beweislage ausreichend, verkündet das Familiengericht einen Beschluss auch ohne Anhörung des Aggressors, wie Amtsrichterin Svenja Tralau erläuterte. Den Beschluss stellt in der Regel ein Gerichtsvollzieher zu. Wer gegen ihn verstößt, begeht eine Straftat. Tralau erläuterte, dass die betroffenen Frauen schnell den Antrag stellen sollten, denn: „Für eine einstweilige Anordnung ist Eilbedürftigkeit eine Voraussetzung.“ Gültig sei die Anordnung in der Regel zunächst für ein halbes Jahr.

Manche Frauen führen über Jahre ein Leben auf der Flucht

Nicht immer bietet der Rechtsweg auch den dringend benötigten Schutz, wie Saskia Lewandowski vom Frauenhaus Dinslaken verdeutlichte: Corona und Homeoffice hätten die Situation der Frauen weiter belastet. Eine klassische Szene: Er sitzt im Homeoffice, sie versteckt sich aus Angst im Keller. „Die Frauen werden im Frauenhaus auch immer wieder gefunden. Viele kommen aus anderen Bundesländern, aus anderen Frauenhäusern. Sie führen ständig ein Leben auf der Flucht, erhalten Morddrohungen.“

Sabine Kellner vom Verein Frauen helfen Frauen in Moers zeigte auf, dass die Opfer aus allen Gesellschaftsschichten stammen - es kommen vermögende, gut ausgebildete Frauen und solche, die gar nichts haben in die Beratungsstelle. Immer sind sie in Zwangslagen: Die Beraterinnen stellen mit ihnen eine Schutzplanung auf, bieten psychosoziale Beratung, können ins Frauenhaus vermitteln und rechtliche Fragen klären.

Kellner kritisierte den Kreis Wesel: Wenn Gewalt in Familien ein wichtiges Thema sei, müsse das Hilfesystem auch ausreichend finanziert werden, forderte sie. Frauen helfen Frauen beispielsweise erhält einen Zuschuss von 1000 Euro plus Geld vom Land, das an Eigenmittel gekoppelt ist - viele Träger verfügen nicht darüber. „Wir müssen Spenden generieren - das bindet Arbeitszeit, die wir besser in die Beratung investieren sollten.“