Kreis Wesel. Nach dem OVG-Urteil setzt die Politik im Kreis Wesel bei Kiesflächen auf einen kompletten Neustart. Das „Horrorszenario“ sei abgewendet worden.

Nach dem eindeutigen Kiesurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster herrscht im gesamten Kreis Wesel große Freude. Häme bekommt die Landesregierung ab. Die Kiesunternehmen betrachten die neue Entwicklung unterdessen mit Sorge. Ein Überblick:

Wie geht es jetzt weiter? Zunächst muss das Urteil des OVG schriftlich zugestellt werden. Das kann dauern. Klar aber ist, dass das OVG dem Land NRW einen eindeutigen Arbeitsauftrag mitgegeben hat: den Landesentwicklungsplan zu überarbeiten. Den darin festgelegten Versorgungszeitraum von 25 Jahren für Kies und Sand hat das Gericht am Dienstag bekanntlich kassiert. Dieser Zeitraum war für die massive Ausweitung von Potenzialflächen für den Kiesabbau im Kreis Wesel maßgeblich, die der RVR im neuen Regionalplanentwurf vorgesehen hat. Jetzt fehlt dafür die Rechtsgrundlage.

Was bedeutet das für den Regionalplan? Die Neuaufstellung des Regionalplans gerät dadurch zumindest in der Ausweisung von Kiesabbauflächen ins Stocken. Eine Möglichkeit wäre, die Frage von Kies- und Sandabbau aus dem Planentwurf herauszulösen, um den Regionalplan weiterzubringen.

Die Aussenansicht des Gebäude vom Regionalverbandes Ruhr (RVR) ,am Mittwoch, 29.07.2020 in Essen. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services
Die Aussenansicht des Gebäude vom Regionalverbandes Ruhr (RVR) ,am Mittwoch, 29.07.2020 in Essen. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Der RVR möchte aber zunächst abwarten, wie das Land auf das Urteil reagiert. Auf dieser Grundlage werde dann die RVR-Verbandsversammlung beraten, „wie das Verfahren zur Neuaufstellung des Regionalplans Ruhr weitergeführt wird“, sagte der RVR am Mittwoch auf Nachfrage. Theoretisch könnte das Land die Entscheidung des OVG, eine Revision nicht zuzulassen, noch durch Beschwerde anfechten. Darüber würde das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Die Frist dafür beginnt, sobald das OVG-Urteil und die Begründung den Verfahrensbeteiligten schriftlich zugegangen sind. Von da an hätte das Land einen Monat Zeit, um Beschwerde einzulegen und einen weiteren Monat, um die Beschwerde zu begründen.

Wie wahrscheinlich ist das? Eher unwahrscheinlich. Die alte Landesregierung wird nicht mehr dazu kommen. Laut OVG dauert die Zustellung des Urteils in der Regel etwa zwei Wochen. Und nach dem Urteil hat der Vorsitzende Richter bereits angedeutet, dass es bis zur Zustellung gar noch länger dauern könnte. Bis dahin ist die Landtagswahl gelaufen und die Parteien werden mit der Koalitionsbildung beschäftigt sein.

Abgesehen von den eng gefassten Fristen: Dass eine neue Landesregierung quasi als erste Amtshandlung eine Beschwerde gegen das OVG-Urteil aufsetzt, ist nicht zu erwarten. Schließlich haben sich SPD, CDU und Grüne eine grundsätzliche Änderung im Umgang mit nicht nachwachsenden Rohstoffen in ihre Wahlprogramme geschrieben. Sie wollen sich unter anderem für eine Erhöhung der Recyclingquoten und des Anteils an Ersatzbaustoffen einsetzen.

Was sagen die Kiesunternehmen? Die betrachten das Urteil mit Sorge. Die Kiesinitiative „Zukunft Niederrhein“ etwa sagt bereits negative Auswirkungen auf die Rohstoffsicherheit und -versorgung in NRW voraus. „Das Urteil sorgt jetzt auch in weiten Teilen des Landes für fehlende Planungssicherheit“, schreibt Geschäftsführer Sascha Kruchen in einer Pressemitteilung. „Da das Gericht die Planaussagen im Landesentwicklungsplan zur Sand- und Kiesgewinnung für unwirksam erklärt hat, rückt auch ein rechtsgültiger Regionalplan für das RVR-Gebiet in weitere Ferne.“ Es sei zu befürchten, dass die aktuelle 2. Offenlegung des Regionalplans hinfällig geworden sei und es zu einer 3. Offenlegung mit einer reduzierten Flächenkulisse kommen werde. Dieses Verfahren könne vermutlich ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen.

Sascha Kruchen, Geschäftsführer Initiative Zukunft Niederrhein, warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Preisen.
Sascha Kruchen, Geschäftsführer Initiative Zukunft Niederrhein, warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Preisen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Nicht nur die Rohstoffunternehmen seien davon betroffen, auch die politischen Ziele beim Wohnungsbau, im Bereich der Infrastruktur, sowie bei der Energie- und Verkehrswende seien gefährdet. Vor allem durch die entstehende zeitliche Verzögerung könne es zur Verknappung von Sand und Kies und dadurch zu deutlichen Preissteigerungen kommen.

Was sagen die Parteien? Die Parteien im Kreis Wesel sprechen wahlweise von einer „deutlichen Klatsche“ oder einem „Schlag ins Kontor der noch amtierenden Landesregierung“. Sie sehen die Uhren bei der Neuausweisung von potenziellen Kiesflächen im Kreis „auf Null gesetzt“, wie Gerd Drüten, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion und gleichzeitig Mitglied der RVR-Verbandsversammlung, im Gespräch mit der Redaktion feststellt.

In der SPD-Fraktion im RVR sei man sich einig, dass man zunächst auf das Land warte, so Drüten weiter, der sich vorstellen kann, dass eine Herauslösung der Kiesabbaufrage aus dem Regionalplan nun wahrscheinlicher wird. Ein entsprechendes Moratorium sei im vergangenen Jahr noch von der amtierenden Landesregierung kategorisch abgelehnt worden. Nun könnten die Karten neu gemischt werden. Darauf setzt auch Frank Berger, Chef der CDU-Kreistagsfraktion und ebenfalls Mitglied der Verbandsversammlung. Der Rohstoffabbau müsse „in Gänze neu gemacht werden“, so Berger. Da müssten jetzt auch RVR und Landesregierung mitspielen. Die Frage müsse sein, „wie wir den Bedarf an Rohstoffen so hinbekommen, dass wir so wenig wie möglich abgraben müssen“.

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Klar ist, dass der Kiesabbau im Kreis Wesel als Thema nicht verschwinden wird. Schließlich laufen noch bestehende Abgrabungen, außerdem sind weitere Abbauflächen in der Vergangenheit bereits genehmigt worden. „Das Thema ist nicht vom Tisch“, sagt auch Frank Berger. „Die Geschichte beginnt wieder neu, nur mit neuen Regeln.“ Allerdings: „Horrorszenarien“ von immensem Flächenfraß, die durch den Regionalplan hätten entstehen können, „die können wir jetzt vergessen“.