Kreis Wesel. Für Senioren mit Migrationshintergrund sind die Hürden zum Pflegesystem hoch - auch im Kreis Wesel gibt es kaum Angebote. Der Bedarf steigt.

Immer mehr ältere und alte Menschen leben im Kreis Wesel – das stellt die Pflege vor enorme Herausforderungen. Eine davon ist nur wenig berücksichtigt: Das System ist nach wie vor nicht auf die zahlreichen alternden Migranten eingerichtet, Menschen, die oder deren Eltern aus dem Ausland eingewandert sind. „In der aktuellen Pflegeplanung des Kreises Wesel wird beschrieben, dass leider keine Daten darüber vorliegen, wie viele Menschen das sind“, teilt der Kreis auf Anfrage mit. Bereits jetzt gebe es mehr als 5000 über 65-Jährige mit einer anderen Staatsangehörigkeit, die meisten sind Türken. Doch der Pass allein ist nicht aussagekräftig, etliche Einwanderer oder ihre Kinder sind deutsche Staatsangehörige.

Kultursensible Ansätze sind Mangelware

Der Kreis schätzt, dass etwa ein Fünftel seiner Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Menschen, die bereits jetzt oder in Zukunft Pflege benötigen. Allerdings finden sie kaum einen Zugang zu den regulären Angeboten, in den Pflegeeinrichtungen sind sie selten anzutreffen. Als Grund nennt die Heimaufsicht des Kreises sprachliche, kulturelle oder institutionelle Hürden. Es gibt im Kreis Wesel keine einzige stationäre Altenpflegeeinrichtung, die kultursensibel ausgerichtet ist, sich also auf die Bedürfnisse dieser Senioren einstellt. Wird oder wurde die erste Generation der „Gastarbeiter“, die in der Mehrzahl nicht im Alter zurück in ihr Heimatland gehen, von ihren Kindern gepflegt, hat sich das Bild inzwischen geändert.

Im Rahmen des Förderprogramms „Guter Lebensabend NRW“ sind Moers und Wesel zwei von 21 Modellkommunen: Engagierte Fachleute gehen auf die Senioren mit Einwanderungshintergrund zu, wollen Hürden für sie aus dem Weg räumen und ihnen den Zugang zu den Pflegeangeboten ebnen. In Moers gehen der Awo- Kreisverband Wesel mit dem Verein Internationaler Kulturkreis Moers und der Leitstelle Älterwerden der Stadt zusammen diese Aufgabe an, in Wesel sind neben dem Awo-Kreisverband und der Stadt auch der Malteser Hilfsdienst dabei.

Angebote nach dem Bedarf entwickeln

„Diese Projekte sind deshalb so wichtig, weil sie dazu beitragen, eine entsprechende Nachfrage nach Leistungen zu generieren“, sagt der Kreis: Nur wenn bekannt ist, was die Menschen brauchen, können sich Anbieter auch darauf einstellen. Migranten sind Teil der Gesellschaft, das muss auch im Pflegesystem ankommen. Die „Regelversorgung muss sich interkulturell öffnen“, so der Kreis. Das Förderprogramm des Landes läuft noch bis Ende des Jahres.

Ambulant gibt es ebenfalls bereits Ansätze, beispielsweise den Pflegedienst Kultura in Dinslaken: Die Deutschtürkin Yasimin Zorla gründete ihn 2018, nachdem sie den großen Bedarf sah. Und sie hat Antworten auf die Frage nach Hürden: „Es scheitert häufig an der Wissensvermittlung“, sagt die 33-Jährige. „Viele Gastarbeiter der ersten und auch der zweiten Generation kennen das Angebot der Pflegeversicherung nicht. Es gibt die feste Erwartung, dass Tochter oder Schwiegertochter pflegen werden.“

Häufig sei der Gesundheitszustand der türkischen Senioren schlecht – harte körperliche Arbeit und die Scheu vor dem Gesundheitssystem, ebenfalls in Informationsmangel begründet, seien die Ursache, dass 70-Jährige zehn Jahre älter wirken.

Informationen gezielt zu den Menschen bringen

Informationen hole man sich in seinen Kreisen, in der Familie, der Moschee oder im Kulturkreis. Nicht immer stimme auch, was dort verbreitet wird, aber: „Türken würden nie zur Seniorenberatung gehen.“ So informierte Zorla über ihr Angebot gezielt in der Community, ging auf die Menschen zu. Von selbst sei niemand zu ihr gekommen.

Doch sie glaubt auch, dass dieses Problem der ersten und zweiten Generation sich erledigen wird: Nachfolgende werden sich besser im System zurechtfinden. Zwar pflegt sie hauptsächlich Türkinnen und Türken, doch inzwischen nutzen auch Einwanderer arabischer oder osteuropäischer Länder ihren Service.

Zwar unterstützt und begrüßt der Kreis Wesel nach eigenen Angaben mehr kultursensible Pflege und eine Öffnung der Einrichtungen für die unterschiedlichsten Bedarfe – die Herkunft ist nur ein Kriterium. Weitere können etwa Religion, sexuelle Orientierung oder Behinderung, sein. Bei der Entwicklung solcher Angebote spiele die Heimaufsicht aber keine Rolle.