Kreis Wesel. Cybergrooming, Sexting, Sextortion - die Gefahren für Kinder im Internet sind groß. Ein Weseler Polizeiprojekt dazu findet landesweit Beachtung.
Marie hat Angst. Im Internet hat sie diesen wirklich süßen Jungen kennengelernt. Doch was so schön begonnen hat, wird bald zum absoluten Horror. Nick wird in seinen Nachrichten immer fordernder und böser. Jetzt erpresst er Marie. Entweder trifft sie sich mit Nick, oder er schickt Bilder von ihr an alle Schülerinnen und Schüler ihrer Schule. Hätte sie die Nacktfotos von sich doch bloß nie gemacht...
Marie gibt es nicht, aber ihre Geschichte steht beispielhaft für viele Mädchen und Jungen, die in den vergangenen Jahren Opfer von internetbasierten Straftaten, wie zum Beispiel „Cybergrooming“ wurden. Der englische Fachbegriff steht für das gezielte Ansprechen und Manipulieren von Minderjährigen im Internet mit dem Ziel, an pornografisches Material zu gelangen oder sexuelle Handlungen zu vollziehen, bis hin zur Vergewaltigung. Laut Studien der Jugendanstalt für Medien NRW soll bereits ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen im Netz zu Verabredungen aufgefordert worden sein.
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Kriminaloberkommissarin :„Es ist mittlerweile normal, Nacktbilder zu verschicken“
Um ein größeres Bewusstsein bei Schülerinnen und Schülern für die Gefahren eines sorglosen Umgangs mit den eigenen Daten im Internet zu schaffen, gibt es das kriminalpräventive Projekt „Cyber-Emotions“, das Schulen in ihren Unterricht integrieren können. Entwickelt wurde „Cyber-Emotions“ in der Kreispolizeibehörde Wesel, genauer gesagt, von Sandra Epping. Die Kriminaloberkommissarin des Kommissariates Kriminalprävention/Opferschutz hat die Audiogeschichte von Marie, dazu eine zweite Geschichte für Jungen und einen pädagogischen Leitfaden geschrieben, der den Lehrkräften beim Umgang mit der schwierigen Thematik helfen soll.
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Die Geschichten handeln von „Cybergrooming“, aber auch von „Sexting“ und „Sextortion“ (siehe unten), und sie sind keine fiktiven Erzählungen, sondern präzise Darstellungen von Fällen, die Sandra Epping in ihrer 21-jährigen Polizeikarriere immer wieder untergekommen sind. Von jungen Mädchen mit geringem Selbstbewusstsein, die zunächst mit Schmeicheleien und später mit Drohungen zu Dingen gezwungen werden, die sie gar nicht tun möchten. Oder von Jungen, die sich mit selbst erstellten Nacktbildern erpressbar machen. Vor allem, weil in vielen Fällen die Erkenntnis für das eigene Handeln fehlt.
„Es ist mittlerweile normal, Nacktbilder zu verschicken“, sagt Sandra Epping sachlich. Auch, dass sich Jugendliche in offenen Chatgruppen von Messaging-Diensten oder sozialen Netzwerken mit hunderten von Mitgliedern austauschen, ohne zu wissen, wer sich hinter den Telefonnummern oder Namen verbirgt, gehöre dazu.
Storytelling nach dem sogenannten Gütersloher Modell
Wie sorglos und unbedarft Kinder und Jugendliche teilweise an Smartphone und Computer mit ihren eigenen Inhalten umgehen, auch begünstigt durch achtlose Eltern, erfährt die Kriminaloberkommissarin in den Schulen, die sie im Rahmen ihrer Präventionsarbeit besucht. Daher weiß sie auch, dass man die Schülerinnen und Schüler am besten erreicht, wenn man berührende, greifbare Geschichten erzählt.
So ersann Sandra Epping die Geschichten von Marie und Tom. Dabei orientierte sie sich am Storytelling nach dem sogenannten Gütersloher Modell. Die dortigen Polizeikollegen haben mit Hilfe der Universität Hildesheim die Literarische Kriminalprävention entwickelt und Hörspiele über Betrügereien und Rechtsextremismus erstellt. Die „Cyber-Emotions“-Geschichten von Sandra Epping haben sie auch bereits in ihr Portfolio aufgenommen. Und bald sollen die Geschichten von Marie und Tom auch für sämtliche Polizeibehörden und Schulen in Nordrhein-Westfalen nutzbar sein. Mit Schulpsychologen und dem NRW-Bildungsministerium wurden die Geschichten ebenfalls abgestimmt. Die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in NRW hat dazu tiefergehendes Unterrichtsmaterial erstellt, das Schulen kostenfrei gestellt bekommen.
Der große Erfolg ihres in der Corona-Zeit vor rund zwei Jahren begonnen Projektes hat Sandra Epping selbst überrascht. „Mit der großen Resonanz habe ich nicht gerechnet“, sagt die 39-Jährige. Gleichzeitig zeige es, wie virulent das Thema sei. Präventionsbroschüren, die die Gefahren des Internets für Kinder und Jugendliche behandeln, gibt es bereits, aber keine gesprochenen Geschichten, die das Thema noch greifbarer, konkreter machen. Und das sei nötig, sagt Sandra Epping. „Es darf kein Tabuthema mehr sein.“ Und um die Kinder und Jugendlichen zu schützen, müsse man jede Möglichkeit nutzen.
>>> Die Begriffe Sexting und Sextortion <<<
Sexting ist ein zusammengesetztes Wort aus „Sex“ und „Texting“. Damit ist das Versenden und Empfangen selbsthergestellter sehr freizügiger Fotos oder Videos, die mit Smartphone oder Computer zunächst freiwillig verschickt werden, gemeint.
Sextortion ist das Fachwort für die Erpressung mit dem selbst erstellten und verschickten Bild- oder Videomaterial.