Kreis Wesel. Zwei Jahre sind seit dem ersten Fall im Kreis Wesel vergangen. Landrat Ingo Brohl spricht im Interview über die Krise und die Lehren daraus.
Es ist später Freitagnachmittag, als das Gesundheitsamt am 28. Februar 2020 den ersten bestätigten Corona-Fall im Kreis Wesel vermeldet. Auf den Tag genau zwei Pandemiejahre sind seitdem ins Land gezogen: Ann-Christin Fürbach und Robin Brand haben mit Landrat Ingo Brohl über die Krise, und was sich künftig daraus mitnehmen lässt, gesprochen.
Nach dem ersten Corona-Fall stand plötzlich der Kreis im Mittelpunkt. Sind Sie froh, wenn die Verwaltung wieder weniger interessant wird für die Menschen?
Durch die Krise ist der Kreis noch mal viel stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Das hat Vor- und Nachteile, denn wir behandeln nicht nur in der Pandemie viele wichtige Themen. Allerdings wäre die Kreisverwaltung, wie alle Menschen sehr daran interessiert, wieder in Normalität zu arbeiten.
Wie ist der Kreis aus Ihrer Sicht durch das zweite Pandemiejahr gekommen?
Die Verwaltung ist weiterhin extrem gefordert. Das gilt im besonderen Maße für das Gesundheitsamt, wo wir durch neue Erlasslagen, neue Erkenntnisse und Virusvarianten immer wieder nachsteuern mussten. Der Druck hat auch in ruhigeren Phasen nicht nachgelassen.
Gab es im Nachhinein eine Entscheidung, die Sie anders treffen würden?
Es war die erste Pandemie weltweit. Natürlich hätte man viele Dinge ganz anders machen können und vielleicht auch müssen. Ich hoffe, dass wir die Fehler, die wir gemacht haben, nicht wiederholen – da liegt mein Fokus.
Welche Erfahrung kann man denn mitnehmen?
Überörtlich hoffentlich die Erfahrung, erst Erlasse zu haben, bevor man sich vor Pressevertreter stellt – das würde einer Kreisverwaltung zumindest sehr helfen. Außerdem würde es eine gewisse Aufgeregtheit in der Bevölkerung reduzieren und damit auch die Akzeptanz dauerhaft hochhalten. Weniger zu sagen, ist dann manchmal mehr – besonders in dynamischen Lagen.
Vieles haben Sie auch erstmal aus der Pressekonferenz erfahren?
Als es mit dem Impfen losging und wir gehört haben, dass ein Minister vor die Presse tritt, haben wir jemanden hingesetzt, der zuhören sollte. Dann gab es eine Ankündigung, zwei Tage später ein Fach-Gespräch und dann kommt zwei Tage später erst der Erlass – in den fünf Tagen zwischen Ankündigung und Erlass ist dann schon eine ganze Menge passiert. Das der Bevölkerung zu vermitteln, ist schwierig.
Die Impfkampagne hat das zweite Corona-Jahr stark geprägt. Wie bewerten Sie diese rückblickend?
Wir haben sehr darum kämpfen müssen, einen zweiten Impfstandort im Kreis zu etablieren. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, die Niederrheinhalle zu halten. Dass wir Moers abbauen mussten, hat dazu beigetragen, dass wir, als das Boostern überraschend schnell für alle aufkam, linksrheinisch eigentlich keine Infrastruktur mehr hatten. Wir brauchten ein bisschen, um unsere Strukturen hochzufahren. Ich kann nicht feststellen, dass wir unter den Gegebenheiten großartig besser hätten sein können.
Zu Beginn der Boosterkampagne gab es Terminchaos und Schlangen. Was leiten Sie daraus ab?
Ich habe mich sehr früh dafür eingesetzt, dass wir zwei Impfstandorte aufrechterhalten dürfen. Das ist uns damals verwehrt worden. Ich glaube, heute ist man schlauer und man wird die Infrastruktur bis zum Ende des Jahres offenhalten. Deshalb war es uns auch wichtig, mit dem zweiten Standort ins Gesundheitsamt in Moers zu gehen. Selbst bei einer Beruhigung der Situation im Sommer: Unsere Ableitung daraus ist es, auf jeder Rheinseite einen Standort stehen zu lassen. Und möglichst Personalressourcen über den Sommer mitzunehmen, damit wir rechtzeitig wieder am Start sind, falls es notwendig wird.
Das heißt, linksrheinisch soll es auch in einer nächsten Welle das Impfangebot im Gesundheitsamt Moers geben?
Ja.
Wie läuft der zweite Booster?
Wir empfehlen den Menschen, bei denen jetzt eine vierte Impfung ansteht, erstmal über die Hausärzte zu gehen. Unserer Wahrnehmung nach ist das Impfgeschehen auch dort zurückgegangen, sodass man schnell einen Termin bekommen sollte. Unsere Aufgabe ist eigentlich das Massengeschäft, damit die Hausärzte neben ihren hausärztlichen Tätigkeiten noch impfen und sich da auch um speziellere Fälle kümmern können – etwa bei Vorerkrankung oder anstehendem Krankenhausaufenthalt. Da bedarf es einer eins-zu-eins Betreuung, ein vielleicht darüber hinausgehendes Vertrauensverhältnis und eine Patientenakte, die wir so in unseren Strukturen nicht haben.
Die Impfbereitschaft lässt nach. Jetzt stecken viele auch Hoffnungen in Novavax, meinen Sie da könnte noch mal eine Welle kommen von Impfbereiten, die sich da überzeugen lassen könnten.
Wir haben da ja gar nicht mehr so viele, die eine Welle auslösen könnten. Aber ich hoffe, dass die, die skeptisch waren, jetzt auch Novavax nutzen, um dazu beizutragen, dass sie selbst und andere besser geschützt sind. Insofern ist es gut, einen solchen Impfstoff jetzt im Markt zu haben. Der wird hoffentlich dann entsprechend angenommen von denen, die sich bis jetzt noch nicht haben impfen lassen.
Wie beobachten Sie die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen?
Da muss man unterscheiden. Es gibt Menschen, die ein berechtigtes Interesse haben, ihre Meinung zu den Folgen der Pandemie zu äußern und die sich an die Spielregeln halten. Das gehört für mich zur freiheitlichen Demokratie dazu, wenn sie sich klar abgrenzen von Menschen, die diesen Staat an sich ablehnen und ihn vorführen wollen. Denn das ist der zweite Teil derjenigen, die auf die Straßen gehen und dafür habe ich kein Verständnis.
Wurden Sie als Landrat persönlich von Gegnern der Corona-Maßnahmen angegangen?
Das habe ich so nicht erlebt. Natürlich gab es Menschen, die aufgebracht hier angerufen haben und auch nicht mehr genau wussten, was sie da sagen. Aber konkrete Bedrohungslagen haben wir im Moment nicht.
Warum nutzt der Kreis für die Veröffentlichung der Corona-Daten kein Dashboard, wie es andere Kreisverwaltungen tun, aus dem sich etwa die Entwicklung der Zahlen ablesen lässt?
Wir haben dazu zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen und die noch mal zu korrigieren, erschien uns nicht als sinnvoll. Die Zahlen nehmen immer mehr ab in ihrer Bedeutung. Wir schleppen da ziemlich viel Bürokratie mit, die für eine Lagebewertung nicht mehr erheblich ist. Wir wünschen uns da eine andere Vorgabe des Landes. In der Nachbetrachtung hätten wir an dieser Stelle aber besser sein können, indem wir vielleicht frühzeitig ein Dashboard aufgelegt hätten. Aber wir sind immer angemessen dem Informationsbedürfnis gerechnet geworden.
Was nehmen Sie aus zwei Jahren Corona als Verwaltung mit: Muss das Gesundheitsamt künftig anders organisiert werden?
Wir haben erst kürzlich einen Pool von Mitarbeitenden aufgestellt, mit dem wir schneller Spitzen abfangen können, wenn Belastungen sprunghaft hochgehen. Damit werden wir flexibler auf Lagen reagieren können, das ist eine Ableitung, die wir grundsätzlich mitgenommen haben. Wir haben dadurch Mitarbeitende, die erstmal ihre Kernaufgaben machen, aber im Pool schnell zur Verfügung stehen. Diese Spielräume werden uns hoffentlich auch bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impflicht helfen. Zudem haben wir versucht, das Gesundheitsamt direkt durch die Bestellung einer Verwaltungsleitung und durch weitere Personalmaßnahmen sowie durch Hinzuziehung der Bundeswehr zu stärken. Dort ging es uns wie fast allen Kreisen: Die Virusdynamik und immer neue Pandemiebekämpfungsaufgaben haben jede versuchte Stärkung oftmals direkt wieder relativiert.
Welche Perspektiven brauchen die Menschen für das dritte Pandemie-Jahr?
Ich würde mir wünschen, dass wir in einer ruhigeren Phase eine gesellschaftliche Diskussion führen und schauen, welche Maßnahmen sind wirklich sinnvoll gewesen, welche haben so viele andere Begleiterscheinungen gehabt, dass wir sie kritisch überprüfen müssten, und welche sollten wir über Bord werfen. Ich glaube, man kann zweimal in eine Situation reingeraten und nicht gut vorbereitet sein, aber beim dritten Mal darf es nicht wieder so sein. Egal welche Variante kommt, wir brauchen klarere Ablaufpläne.