Kalkar-Wissel. In Wissel versuchen 300 Bürger, menschenunwürdiges Wohnen von Leiharbeitern zu verhindern. Was die Bürgermeisterin dazu sagt.

Mehr als 300 Bürger in Kalkar-Wissel stehen auf der Unterschriftenliste gegen die „erneute Errichtung von Massenunterkünften in Wissel“. Der Eigentümer des ehemaligen Kulturhauses Wissel beabsichtigt erneut, das seit zwei Jahren leerstehende Objekt zu einer Sammelunterkunft herzurichten und dafür umzubauen. Die Wisseler Nachbarn befürchten „menschenunwürdige Bedingungen für südosteuropäische Leiharbeiter“, wie sie schon einmal herrschten, bevor das Haus 2020 ordnungsrechtlich geschlossen wurde und der Eigentümer sofort neue Unterbringung für 38 Bewohner suchen musste.

Stadt hat vergeblich versucht, das zu unterbinden

Für Kalkars Bürgermeisterin Britta Schulz handelt die Bürgerinitiative „ganz in meinem Sinne“, allerdings erwartet sie keine Erfolge. „Wir als Stadt haben es vergeblich versucht zu unterbinden.“ Die Baugenehmigung unterliegt nicht dem Rat, die Stadtverwaltung konnte in diesem Fall nur „ihr Einvernehmen nicht geben“, so Schulz.

„Tatsache ist: Vom Eigentümer liegt eine Bauanfrage vor zum umfangreichen Umbau und zu einer Nutzungsänderung für eine Wohnung“ in dem Haus an der Emmericher Straße in Wissel, erklärt Schulz. Die Stadt Kalkar widersprach dem in einem umfangreichen Schreiben an den Kreis. Ihr Argument: Mit diesem Vorhaben sei „in einem Wohngebiet von Störung und Belästigung auszugehen“, zitiert Britta Schulz. Kalkar hat keine eigene Bauaufsicht, sondern muss die des Kreises nutzen. Der Kreis jedoch antwortete, dass das Bauvorhaben „keine ausgleichsbedürftigen Spannungen“ auslösen werde, es solle ja überwiegend Wohnzwecken dienen. Schulz beurteilt: „Wir sind nicht am Kreis gescheitert, sondern der Kreis kann das gar nicht verbieten.“

„Aus baurechtlicher Sicht war es alternativlos, eine Baugenehmigung zu erteilen“

Die NRZ hakte nach. „Aus baurechtlicher Sicht war es alternativlos, eine Baugenehmigung zu erteilen und damit die Nutzungsänderung zu ermöglichen“, bekräftigt Kreissprecher Benedikt Giesbers gegenüber der NRZ. Die nach den Bauvorlagen beantragte Nutzung für das angefragte Grundstück an der Emmericher Straße in Wissel „stellt im Kern eine dem Wohnen zuzurechnende Nutzung dar“. Das füge sich ins „Allgemeine Wohngebiet“ ein. Deshalb bestand „ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung durch den Kreis Kleve als zuständige Untere Bauaufsichtsbehörde“, so Giesbers. Darum wurde am 17. März 2022 die Genehmigung zum Umbau einer Beherbergungsstätte und Nutzungsänderung einer Wohnung zur Beherbergungsstätte erteilt.

Noch ist baulich nichts geschehen. „Im Falle von festzustellenden baurechtlichen Problemen“ würde dies die Untere Bauaufsichtsbehörde des Kreises überprüfen, sagt der Kreissprecher. Die ordnungsrechtliche Lage bewerte dann das Ordnungsamt der Stadt.

Die Stadt hat drei Personen im Ordnungsamt – reicht das für umfassende Kontrollen?

Aber alleine die Meldepflicht der dort wohnenden Personen – sind es immer dieselben? – ständig zu überprüfen sowie das Betriebskonzept, das noch fällig wird, ist eine Mammutaufgabe. „Das können wir mit unseren drei Personen im Ordnungsamt nicht leisten“, so Kalkars Bürgermeisterin Schulz. Das Problem betreffe auch nicht nur Wissel, sondern mehrere Unterkünfte in Kalkar, „insbesondere in Grieth. Das Haus dort ist ein einem erbärmlichen Zustand und das mitten in der dichten Bebauung. Wo 20 Menschen in einem so kleinen Haus wohnen und sich auch draußen aufhalten, bedeutet das natürlich eine permanente Störung“, weiß die Bürgermeisterin. Sie erinnert: „Das Wohnraum-Stärkungsgesetz gilt seit einem Jahr. Wir müssen die Auflagen durchsetzen, sonst hat das keinen Sinn.“

Der Stadt bleibt im Verfahren nur die Rolle des Zuschauers

Die 300 Unterzeichner in Wissel beklagen, dass die Kreisverwaltung „in Fragen der Migration und der Abwehr solcher Unterkünfte keinerlei Stellung“ beziehe, sondern sie „genehmige, wortlos ohne Rücksicht auf die dort untergebrachten Menschen und die Auswirkungen auf das Umfeld der Unterkünfte“.

Die Stadt Kalkar bekomme im Verfahren nur die Rolle des Zuschauers, beschreibt Initiativsprecher Thorsten Neumann. Er schildert, der Besitzer des Hauses und Betreiber der Personalvermittlung sei nach wie vor die Horizon-Group, die osteuropäische Arbeiter an niederländische Schlachtbetriebe ausleiht. „Wir haben nichts gegen die Leute, sondern gegen die Bedingungen, wie sie katastrophal untergebracht werden“, beschreibt er. Die Nachbarn des ehemaligen Kulturhauses in Wissel hatten zuvor den rumänischen Leiharbeitern sogar Wäscheständer geschenkt, damit sie nicht immer ihre Kleidung aus dem Fenster hängen müssen. 350 Euro pro Bett seien ihnen von ihrem Gehalt abgezogen worden, weiß Neumann.

Die Bürgergruppe hofft, wenigstens über kleine Mängel den Betrieb zu verhindern

Die Bürgergruppe hofft, wenigstens über kleine Mängel den Betrieb zu verhindern. So seien Parkplätze im Bauantrag eingezeichnet, wo Fluchtwege nötig wären. Die Wisseler zweifeln, dass tatsächlich in einem Zimmer wie vorgeschrieben nur familienverwandte Personen untergebracht sein werden. Die Müllentsorgung regele die Personal-Vermittlerfirma allerdings erfahrungsgemäß gut, indem sie einmal in der Woche die Müllsäcke abhole.

Ziel der Initiative ist, dass sich die Kreispolitiker mit der Gesamtsituation befassen müssen. „In den Niederlanden ist solches Wohnen verboten“, weshalb die Personalverleiher eben auf deutschem Boden große Häuser kaufen, erinnert Torsten Neumann. Er verweist darauf, dass die Personalvermittler in den Niederlanden Steuern zahlen, in Deutschland aber die Probleme erzeugen.

„Wie kann der Kreis sich so gegen die Bürger einer Stadt stellen?“

„Wir wollen dem Betreiber klarmachen, dass es so nicht geht“, sagt Neumann. Und: „Wie kann der Kreis sich so gegen die Bürger einer Stadt stellen?“, fragt er im Namen der vier Initiativgründer.

Im Juni 2020 waren in Kalkar die neun Unterkünfte für Arbeiter aus südosteuropäischen Staaten überprüft worden, die in der Regel für niederländische Leiharbeitsfirmen tätig sind – vier in der niederländischen Fleischindustrie. Bereits Anfang 2019 hatte sich die Stadt an den Kreis Kleve gewandt, um diese bauaufsichtliche Prüfung zu veranlassen. Der Kreis meldete, dass keine baurechtswidrigen Zustände und keine Überbelegung festgestellt werden konnten. Allein für Wissel war eine „Nutzungsuntersagung“ ausgesprochen worden.

Verschärfte Vorgaben für Sammelunterkünfte seit 2020

Verschärfte Vorgaben für Leiharbeiter-Sammelunterkünfte hatten NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach und das Arbeitsministerium im August 2020 erlassen. Eine Umwandung von Leiharbeiterunterkünften in „Beherbergungsstätten“ – Häuser mit mehr als 12 Gastbetten – gibt nun den Kommunen mehr Kontrollmöglichkeiten. Bei schweren Mängeln können die Kommunen seither die Nutzung sofort untersagen.

Vorgeschrieben sind beispielsweise pro Person mindestens acht Quadratmeter Wohnfläche. Es gelten besondere Auflagen für sanitäre Anlagen, für Brandschutz und Fluchtwege.