Kreis Kleve. Seit zwei Monaten gibt es im Kreis Kleve kaum Fortschritte bei der Corona-Impfkampagne. Amtsärztin Martina Scherbaum erklärt die Folgen.

Seit Wochen ziehen sich die Impfungen im Kreis Kleve schleppend dahin. Immer noch sind nicht einmal 70 Prozent der Bevölkerung zweifach gegen Corona geschützt. Im August und September hat es einen deutlichen Einbruch bei der Impfbereitschaft gegeben. Nach einer Auswertung der Daten der Kassenärztlichen Vereinigung kommen jetzt jede Woche nur noch 4,4 Prozentpunkt bei den Erstimpfungen hinzu. Ein Zweit-Impfschutz von 85 Prozent der Bevölkerung würde man mit diesem Tempo erst im Februar erreichen. Dr. Martina Scherbaum, leitende Amtsärztin beim Kreis Kleve, zeigt sich im NRZ-Interview besorgt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Wie beurteilen Sie zurzeit das Impfgeschehen?

Ich blicke darauf mit großer Sorge. Die Zahlen der europäischen Gesundheitsbehörde zeigen, dass einige Länder in Europa mit der Impfkampagne weiter sind als Deutschland, z.B: Niederlande, Belgien, Frankreich, Portugal, Italien. In Deutschland haben 67,8 Prozent eine Erstimpfung und 64 Prozent eine Zweitimpfung. Das bedeutet: Der Unterschied zwischen Erst- und Zweitimpfung ist sehr gering. In den kommenden zwei, drei Wochen wird sich also bei der Zweitimpfquote nicht viel tun. Und das ist beunruhigend.

Wie sehen Sie die Lage im Kreis Kleve?

Wir waren im Kreis Kleve zunächst etwas zurück, was die Impfquoten anbetraf. Aber bei uns ist das Problem, dass in den Praxen weniger geimpft wurde als etwa im Kreis Wesel oder Kreis Viersen. Dafür hatte das Impfzentrum etwas höhere Impfquoten. Wir haben jetzt eine Erstimpfquote von 73,9 Prozent und eine Zweitimpfquote von 67,6 Prozent. Wir haben da deutlich aufgeholt. Auf die niedergelassenen Ärzte haben wir keinen Einfluss, die haben sich auch sehr bemüht. Aber im Kreis Kleve sind auch einige Praxen nicht besetzt.

Ist der Eindruck richtig, dass die Impfbereitschaft im August und September deutlich nachgelassen hat?

Ja, das ist auch überall so gewesen. Meines Erachtens war auch der Druck nicht mehr so hoch. Die Fallzahlen waren niedrig, allen ging es gut, man konnte überall wieder hinreisen.

Die Impfkampagne dümpelt jetzt so vor sich hin. Und mit eine Zuwachs von 4,4 Prozentpunkten bei der Erstimpfung brauchen wir noch sehr lange bis zu einer Herdenimmunität.

Es ist fraglich, ob wir bei der Delta-Variante überhaupt eine Herdenimmunität werden erreichen können. Der Virus ist so hoch infektiös auch im Vergleich zur Alpha-Variante. Die Delta-Variante hat alle anderen Varianten in den Hintergrund gedrängt. Es gibt fast nur noch die Delta-Variante. Wir müssten sicherlich eine Impfquote von über 85 Prozent haben, eh wir sagen können, dass wir die Pandemie im Griff haben.

Aber das wird Ihrer Meinung nach vielleicht nie der Fall sein?

Momentan sieht es leider in Deutschland nicht so aus.

Was ist der Grund dafür? Liegt das an den Kindern, die noch nicht geimpft sind?

Bei den Kindern (zwölf bis 17 Jahre) haben wird im Kreis Kleve eine überdurchschnittliche Impfrate. Wir haben im Impfzentrum mit dieser Altersgruppe auch sehr früh begonnen. Die Impfquote liegt jetzt bei 60,72 Prozent bei der Erstimpfung und 48,87 Prozent bei der Zweitimpfung. Und das ist überdurchschnittlich für die Erstimpfung im NRW-Vergleich. Kinder unter zwölf Jahren können nur in Ausnahmefällen bei Vorerkrankungen geimpft werden. Wir werden also nie eine Durchimpfung von 100 Prozent erhalten.

Problematisch ist eher die Gruppe im mittleren Alter, die Vorbehalte gegen eine Impfung haben. Kinder erkranken nicht so schwer an Covid-19. Das ist mittlerweile durch Studien gut belegt. Wir hatten im Kreis Kleve mal ein Kind im Krankenhaus, das hat sich aber gut erholt und war auch nicht beatmungspflichtig.

Was muss getan werden, um die Impfbereitschaft zu steigern?

Wir haben im Kreis Kleve meines Erachtens sehr viele Möglichkeiten ausgeschöpft: Das Impfzentrum war immer lange geöffnet, wir haben viele niederschwellige Impfangebote gemacht und intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Auf Kreisebene können wir jetzt nicht mehr viel machen. Das Impfzentrum ist geschlossen, die mobilen Impfteams dürfen nicht so viel machen. Politisch ist es jetzt gewollt, dass das Impfen in den Praxen der niedergelassenen Ärzte erfolgt. Es gibt auch genügend Ärzte im Kreis Kleve, die eine Impfung anbieten, auch für Patienten aus anderen Praxen. Der Kreis Kleve hat aktuell nur noch geringe Möglichkeiten die Impfquote durch eigene Angebote spürbar zu steigern.

Wann kommen die mobilen Impfteams zum Einsatz?

Die Teams befinden sich noch im Aufbau. Das Land gibt vor, dass es drei Personen je 100.000 Einwohner sein dürfen. Wir haben auch strenge Vorgaben, wo wir überhaupt impfen sollen. Wir sollen nur dort tätig werden, wo es kein anderes Impfangebot durch niedergelassenen Ärzte oder Betriebsärzte gibt. Zum Beispiel, wenn ein Altenheim keinen Arzt findet. Aber die meisten Pflegeeinrichtungen sind da gut aufgestellt.

Wir haben auch Bestellquoten für Impfstoffe von zwei Wochen. Erste Aktionen mit den mobilen Impfeinheiten werden frühestens Ende Oktober möglich sein.

Was ist mit der Drittimpfung? Die Ema empfiehlt sie. Wie sehen Sie das?

Die EMA empfiehlt eine Drittimpfung für Immungeschwächte. Ebenso die Ständige Impfkommission (Stiko). Das finde ich gut, weil Immungeschwächte schlechter Antikörper nach einer Impfung bilden können und gleichzeitig besonders empfänglich für Infektionen sind. Die Stiko hat bisher noch keine Impfungen für Über-60-Jährige empfohlen. Dies ist aber eine Empfehlung der Gesundheitsminister. Zum Teil werden Drittimpfungen schon durchgeführt. Aber ich sehe das nicht auf großer Linie. Im Kreis Kleve sind erst 0,056 Prozent der Gesamtbevölkerung dreimal gegen das Coronavirus geimpft. Das sind nicht sehr viele.

Dr. Martina Scherbaum vor dem Gesundheitsamt des Kreises Kleve.
Dr. Martina Scherbaum vor dem Gesundheitsamt des Kreises Kleve. © NRZ | Andreas Gebbink

Ist eine Drittimpfung für Menschen unter 60 Jahren überhaupt sinnvoll?

Ich bin da ein wenig vorsichtig und warte lieber die Empfehlung der Stiko ab. Die schauen natürlich, ob es notwendig ist und wie die Nebenwirkungen sind. Eine Impfung muss ja immer einen Vorteil für den Einzelnen haben. Ich würde mich persönlich jetzt auch nicht drittimpfen lassen, ohne zu wissen wie die Nebenwirkungsquote ausfällt und wie nötig das überhaupt ist.

Wie sieht es mit Impfdurchbrüchen im Kreis Kleve aus?

Um einmal klar zu stellen: Impfdurchbrüche sind nicht Fälle, bei denen ein Geimpfter positiv getestet wird. Impfdurchbrüche müssen symptomatisch sein: Man muss einen Virusnachweis haben, es muss eine klinische Symptomatik vorliegen – also Husten, Schnupfen oder Fieber – und es muss ein vollständiger Impfschutz vorliegen. Nur wenn diese drei Kriterien erfüllt sind, sprechen wir von einem Impfdurchbruch. Denn wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Geimpfte im beruflichen Kontext positiv getestet werden und einen Tag später wieder negativ. Sie sind dann nicht krank geworden und waren kurzzeitig nur infiziert.

Wir hatten in der Zeit vom 30. August bis zum 26. September 104 Impfdurchbrüche von 679 Coronafällen insgesamt. Das waren 15 Prozent aller Fälle. Aber wenn ich mir anschaue, wer im Krankenhaus liegt und wer schwer krank ist, dann sind das die Ungeimpften.

Da noch mal ein dringender Appell, sich impfen zu lassen.

Ja, denn auch die schweren Fälle auf den Intensivstationen haben mittlerweile ein durchschnittliches Lebensalter von 55 Jahren. In der zweiten Welle lag das Durchschnittsalter noch bei 77 Jahren. Die Pandemie ist einfach noch nicht vorbei.

Man gewinnt allerdings den Eindruck, dass viele die Pandemie für sich bereits abgehakt haben.

Man kann das ja auch gut verstehen: Wir sind es leid. Ich wäre auch erleichtert, wenn es vorbei wäre. Wenn man sich das weltweit anschaut, ist die Pandemie immer noch voll im Gange.