Kleve. Der Pflegenotstand macht sich beim Caritasverband Kleve bemerkbar. Für Fachbereichsleiterin Alexia Meyer ist der Personalmangel unverständlich.

„Es lohnt sich, in der Pflege zu arbeiten“ Spätestens seit der Corona-Pandemie redet ganz Deutschland über den Pflegenotstand. Doch was ist das eigentlich? Zehn Fragen an Alexia Meyer, Fachbereichsleiterin Pflege und Gesundheit, beim Caritasverband Kleve.

Man hört vom „Pflegenotstand“. Was ist das?

Alexia Meyer: Der Begriff stammt aus den 60er und 70er Jahren, als in Deutschland Krankenhäuser und Altenpflege ausgeweitet wurden. Es kam zu massivem Personalmangel. Auch heute besteht ein großer Mangel an Menschen, die Kranke, Alte und Behinderte pflegen und betreuen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland, Stand 2019, mehr als 4,1 Millionen pflegebedürftige Menschen. Dem gegenüber stehen 1,9 Millionen erwerbstätige Pflegekräfte. Und, das ist ganz wichtig zu wissen: Als die Zahlen erhoben wurden, gab es noch kein Corona.

Wie ist es zu diesem akuten Personalmangel gekommen?

Der Pflegenotstand hat viele Ursachen. Zum Beispiel die demografische Entwicklung. Immer mehr ältere Menschen sind auf die Versorgung von immer weniger jüngeren Menschen angewiesen. Auch längere Lebenserwartungen sowie veränderte Familienstrukturen spielen eine Rolle. Auf der anderen Seite ist Pflegenotstand aber auch das Ergebnis politischer und gesellschaftlicher Entscheidungen. Zudem erschwert das öffentlich geprägte negative Image des Pflegeberufes die Nachwuchsgewinnung. Eigentlich unbegreiflich: Denn Pflege bietet hervorragende Perspektiven und ist im Vergleich zu anderen Jobs auch noch gut bezahlt.

Wie ist die Situation bei Ihrem Verband in Kleve?

2020 und 2021 haben wir – nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie – den Pflegenotstand erstmals so richtig am eigenen Leib spüren können. Das heißt: Wir können unsere offenen Stellen nicht mehr in angemessener Zeit nachbesetzen. Das zerrt an den Kräften der Mitarbeitenden, die weiterhin mit ihrem Einfühlvermögen, ihrer Expertise und ihrer hohen Einsatzbereitschaft dabei sind. Denn trotz des Personalmangels: Patienten gekündigt haben wir bislang noch nicht! Wir fahren auch weiterhin in die Dörfer des Nordkreises, um kranke und alte Menschen zu Hause zu pflegen.

Was tun Sie, um den Pflegenotstand beim Caritasverband Kleve zu begegnen?

Wir versuchen, uns dem Problem zu stellen und zu zeigen, dass es sich immer noch lohnt, in der Pflege zu arbeiten. Aus diesem Grunde stellen wir in den nächsten Wochen und Monaten unsere Gesichter vor. Das ist die Theorie. In der Praxis müssen wir sicherlich unsere Dienstplanprinzipien überdenken. Bisher haben wir alles daran gesetzt, um Teildienste zu vermeiden. Auch ein wechselnder Tourenbeginn oder sogenannte Müttertouren fanden bei uns in der Regel nicht statt. Stattdessen investieren wir viel in Gleichbehandlung und attraktive Arbeitsbedingungen für möglichst viele Mitarbeiter. Unsere Idee ist: Wenig Vollzeitkräfte, wenig Teildienste, dafür flexible Wochenarbeitszeiten bis zu 35 Stunden.

Gibt es spezielle Arbeitszeitmodelle etwa für Alleinerziehende oder Menschen, die nur am Wochenende arbeiten möchten?

Wir arbeiten schon immer mit individuellen Rolldienstplänen beziehungsweise Jahresplänen mit festen Wochenenden und Feiertagen. Falls es möglich ist, haben wir feste Spätdienstmitarbeiter. Das sorgt nicht nur für weniger Unruhe im Dienstplan, auch die Patienten fühlen sich mit festen Bezugspersonen wohler. Besonders für Mütter interessant sind unsere Wochenwechselmodelle (eine Arbeits- und eine Freiwoche im Wechsel) und unsere unterschiedlichen Tagewochen. Zum Beispiel die 1-Tag-Woche. Die Pflegefachkraft macht jedes zweite Wochenende Dienst. Das bringt gutes Geld und wenig Belastung bei der Betreuung der Kinder.

Was tun Sie, um Mitarbeiter zu gewinnen und um sie zu halten?

Alles, was wir können, jedoch im Rahmen von Gleichbehandlung und gerechtem Umgang. Wir wollen nichts versprechen, was wir nicht halten können. Dadurch haben wir bestimmt auch schon Bewerber verloren.

Wie gut verdienen Pflegefachkräfte beim Caritasverband Kleve? Und wie schaut es mit Zulagen, Urlaub und Urlaubsgeld sowie betrieblicher Altersvorsorge aus?

Als kirchlicher Wohlfahrtsverband liegen wir aus meiner Sicht gut im Rennen. Wir arbeiten mit Tarifverträgen, die an dem TVöD angelehnt sind. Das monatliche Gehalt laut AVR-Tabelle liegt zwischen 2880,56 Euro im ersten und 3589,56 Euro ab dem 16. Berufsjahr. Dazu kommen die Pflegezulage 1 in Höhe von 46,02 Euro bei 39 Stunden, die Pflegezulage 2 in Höhe von 70 Euro bei 39 Stunden, eine Jahressonderzahlung (86 Prozent des Gehalts) sowie Zuschläge für Bereitschaftsdienste, Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit. Zusätzlich finanziert der Arbeitgeber das sogenannte Leistungsentgelt sowie eine betriebliche Altersvorsorge.

Ist das genug?

Was ist heutzutage schon genug. Aber laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lag das monatliche Durchschnittseinkommen einer Pflegefachkraft über alle Tarife 2016 und mehr als 100 Euro über dem mittleren Einkommen in Deutschland.

Entgelt ist das eine, Wertschätzung das andere.

Das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Aber ich finde, dass meine Leitungskollegen unheimlich engagiert sind. Sie stecken sehr viel Zeit, Überlegung und Herzblut in die Dienstpläne, um möglichst viele Mitarbeiter glücklich zu machen. Die Anzahl an Teildiensten bei einer Versorgung von mehr als 1300 Patienten ist verschwindend gering. Sie kennen ihre Kollegen, häufig auch die privaten Hintergründe, und versuchen immer auf die Wünsche einzugehen. Bei unseren Patienten genießen wir ebenfalls eine große Wertschätzung. Nichtsdestotrotz werden die Ansprüche und die Erwartungen immer größer und sind manchmal auch unrealistisch. Eine Pflege am Morgen bedeutet eben nicht eine Betreuung für den ganzen Tag. Die Verantwortung bleibt beim Patienten oder seinen Angehörigen.

Was bedeutet Pflege für Sie persönlich?

Ich mag meinen Beruf und auch meine Zielgruppe. Grundsätzlich mag ich, Menschen zu helfen, ihnen zuzuhören, von ihren Erfahrungen und Lebensweisheiten zu lernen – das ist für mich immer noch spannend, gibt mir unheimlich viel.

Zur Person

Alexia Meyer
Alexia Meyer © Caritas | Julia Lörcks

Alexia Meyer leitet seit 2004 den Fachbereich Pflege und Gesundheit beim Caritasverband Kleve. Zuvor war sie als Pflegedienstleitung in der Mobilen Pflege in Emmerich am Rhein tätig.

Sie lebt mit ihrem Partner und zwei gemeinsamen Kindern in Kleve. Sie ist gebürtige Emmericherin und hat im Willibrord-Spital ihre Ausbildung zur Krankenschwester absolviert.

An der Hochschule Arnheim Nimwegen studierte Alexia Meyer berufsbegleitend Sozialpädagogik.