Uedem. Ein Ingenieur analysierte das Starkregenereignis vom 4. Juni. In Uedem hat der Regen um 30 Prozent zugenommen. Maßnahmen werden jetzt ergriffen.

Bei den Menschen in Uedem-Keppeln liegen die Nerven blank. Nach den Starkregenereignissen von 2009 und 2016 brachte der 4. Juni 2021 so viel Wasser ins Dorf, dass viele Bewohner erhebliche Schäden zu beklagen hatten. Doch das Wetter lässt die Menschen nicht in Ruh: Auch Regenfälle vom vergangenen Sonntag führten bei einigen erneut zu vollgelaufenen Kellern. Es braucht nicht mehr viel Regen, um Keppeln unter Wasser zu setzen.

Im Bauausschuss konnten sich die Bewohner den Frust von der Seele reden. Zahlreiche Keppelner nutzen die Gelegenheit, um Dampf abzulassen und die entscheidende Frage zu stellen: Wie soll es jetzt weitergehen? Denn eines wissen alle: Die vorhandene Entwässerungsstrategie ist nicht ausreichend, um die Häuser zu schützen.

Am 4. Juni hat es um kurz vor 20 Uhr ausschließlich in Uedem geregnet

Katrin Heiming vor den Trümmern ihrer Existenz: Der Starkregen hat alles überspült. 
Katrin Heiming vor den Trümmern ihrer Existenz: Der Starkregen hat alles überspült.  © NRZ | Andreas Gebbink

Sehr beeindruckend war im Vorfeld der Vortrag des Diplom-Ingenieurs Dirk Brunhöver, der die Ereignisse vom 4. Juni analysiert hatte. Das war passiert: Anhand der Daten des Deutschen Wetterdienstes konnte er feststellen, dass an dem besagten Tag zwischen 19.50 und 20.50 in ganz Deutschland kein Regen gefallen ist – nur in Uedem und Teilen von Kalkar. Besonders schlimm entluden sich die Himmelsschleusen in Keppeln. Hier kamen 55 bis 57 Millimeter Wasser pro Quadratmeter in einer Stunde herunter, in Uedem waren es 50 Millimeter. „Das sind enorme Wassermengen“, sagte Brunhöver.

Auf einer Skala von 1 bis 10 stufte er die Regengüsse vom 4. Juni zwischen 8 und 9 ein – das bedeutet „extremer Starkregen“, vor dem man sich im Grunde auch nicht richtig schützen kann.

Niederschläge haben um 30 Prozent zugenommen

Brunhöver konnte anhand der Wetterdaten aber noch weitere Rückschlüsse ziehen: Uedem ist besonders deutlich vom Klimawandel betroffen. So kann er feststellen, dass in den Berechnungsgrundlagen des Deutschen Wetterdienstes in den vergangenen zehn Jahren die Niederschlagsmengen um 30 Prozent zugenommen haben. „Man kann für Uedem sagen, dass es hier einen erheblichen Wandel bei den Niederschlagsmengen gibt“, so Brunhöver. Denn auch in Uedemerbruch, in Uedemerfeld oder in Uedem selbst gab es in der näheren Vergangenheit heftige Regenereignisse.

Das Regenrückhaltebecken an der Rosenstraße lief in zehn Minuten voll. Es soll jetzt größer werden.  
Das Regenrückhaltebecken an der Rosenstraße lief in zehn Minuten voll. Es soll jetzt größer werden.   © NRZ  | Anke Gellert-Helpenstein 

Bürgermeister Rainer Weber will jetzt für Keppeln mehrere Maßnahmen ergreifen. Zum einen möchte er das Notfallbecken an der Rosenstraße gerne vergrößern. Die Ereignisse im Juni haben gezeigt, dass das Becken zu klein dimensioniert ist und auf andere Wassermassen ausgelegt werden muss. Auch das bereits geplante Notfallbecken an der Kalkarer Straße möchte er jetzt erneut angehen. Er habe vom örtlichen Landwirt jetzt die Bereitschaft erhalten, über notwendige Grundstückskäufe zu verhandeln, berichtete Weber. Auch hier sollen gegenüber den bisherigen Planungen die Dimensionen größer gefasst werden.

Uedems Bürgermeister will mehr Wasser in der Fläche zurückhalten

Weber sieht zudem die Notwendigkeit, das Kanalnetz in einer Größenordnung von 1000 Kubikmeter Wasser zu entlasten. Hier möchte er an der Klever Straße Möglichkeiten ausloten. Dies wäre ein weiteres großes Bauwerk, um das Wasser zurückzuhalten.

Gibt es Hilfe vom Land NRW?

Möglicherweise können die betroffenen Bewohner in Keppeln Hilfe vom Land erwarten. Allerdings warnt Bürgermeister Rainer Weber vor allzu viel Euphorie.

Er habe mit den zuständigen Stellen in Düsseldorf gesprochen und erwarte in Kürze eine Antwort darauf, ob eine Soforthilfe des Landes gewährt werden kann. Dies würde dann vom Landeskabinett im Einzelfall entschieden, so Weber.

Voraussetzung ist, dass das Schadensereignis so groß war, dass man sich dagegen nicht versichern kann. Ob der Starkregen auf der Skala von 8 bis 9 schon ausreichend ist, konnte Weber nicht sagen.

Ferner habe er Gespräche mit Landwirten geführt, die Bewirtschaftungsweise zu verändern. Dabei gehe es um die Pflugrichtung auf den Feldern und die Anlage von Wällen oder Mulden. Aber dies alles müsse man in einem Gesamtkonzept sehen: „Wir müssen aber diese Maßnahmen auch schnell umsetzen“, sagte Weber. Denn auch er weiß, dass die Böden aktuell wegen der Überschwemmung extrem verdichtet sich und kaum noch Wasser aufnehmen. Die geringsten Niederschläge sorgen jetzt dafür, dass die Keller wieder voll laufen – wie bereits am Sonntag geschehen.

Bürger wollen, dass etwas passiert

Die Bürger verlangen jetzt auch ein schnelles Handeln: „Wir wollen, dass jetzt etwas passiert und fertige Pläne nicht in der Schublade bleiben“, forderte die Familie Heiming, die von den Überschwemmungen am stärksten betroffen war. „Und zwar lieber heute als morgen. Unser Garten stand schon wieder unter Wasser.“

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Ingenieur Dirk Brunhöver erklärte, warum gerade Uedem in dieser misslichen Lage ist. Die geografischen Gegebenheiten seien in der Gemeinde sehr unterschiedliche. Keppeln etwa bekomme das Wasser von mehreren höher gelegenen Hügeln. Das Dorf ist quasi der Badewannenstöpsel für die umliegenden Felder. Auf Drohnenaufnahmen von Dirk Verweyen ließ sich gut erkennen, dass sich auf den Feldern richtige Flussrinnen gebildet haben, die ins Dorf führten. Diese habe allerdings auch mit einer sich verändernden Landschaft zu tun, so Brunhöver: „Vor 100 Jahren hat Keppeln sicherlich noch anders ausgesehen. Da gab es noch Gräben und Hecken, die solch eine Abflussrinne auch vermeiden helfen.“

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