Kleve/Bedburg-Hau. In der Turnhalle standen für die ausquartierten Senioren Feldbetten bereit. Die Bau-Fläche in der Klever Innenstadt wird weiter sondiert.

Eine große Turnhalle, darin ein paar Tische auf der eine Hälfte und auf der anderen orangefarbene Feldbetten. 103 Senioren verbrachten hier die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Mit ihnen eine Menge Helfer. Die Bombenentschärfung auf der Baustelle in der Klever Innenstadt machte wieder die Evakuierung von zwei Altenheimen nötig. Diesmal zu wahrlich nachtschlafender Zeit. „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Liegen wirklich genutzt würden. Aber tatsächlich haben sich manche hingelegt und sind vor Erschöpfung tief eingeschlafen“, erzählt Bärbel Gütges, stellvertretende Leiterin des Alten- und Pflegeheims Evangelische Stiftung an der Hagschen Straße.

Die dritte Bombenentschärfung, die dritte Evakuierung innerhalb von zwei Wochen: „Das steckt man nicht so einfach weg. Es war unglaublich anstrengend gewesen“, sagt Bärbel Gütges. Anstrengend für Bewohner und sicher auch für Mitarbeitende, die wegen Corona seit über einem Jahr besondere Belastungen meistern.

Wechselkleidung und Medikamente für 72 Stunden packen

Bei der ersten Evakuierung hatte es einen zeitlich langen Vorlauf gegeben. Man hatte ausführlich Taschen mit Wechselkleidung, Medikamente für 72 Stunden und Spiele zusammen gepackt, hatte den Bewohnern den Ausflug positiv dargestellt. Beim zweiten Mal mit einem Tag Vorlauf war es schon schwieriger. An diesem Mittwoch nun gab es nur wenige Stunden Vorwarnung.

Die Fünf-Zentner-Bombe, die mittags auf der Baustelle Kapitelstraße gefunden worden war, hatte einen gefährlichen Langzeitzünder, der von alleine hochgehen könne, erklärt Stadtsprecher Jörg Boltersdorf. Also blieb keine Zeit, die Entschärfung auf den nächsten Tag zu schieben. Es ging um heute, um jetzt, entschied man um 16.20 Uhr.

Bärbel Gütges hatte schon beim ersten Mal ein Konzept zur Evakuierung für sich aufgeschrieben. Das konnte sie nun zügig abarbeiten. Ihre Lehre aus der ad-hoc-Evakuierung nun: „Wir werden wohl in jeden Schrank bei jedem Bewohner ein kleines Paket zum Mitnehmen deponieren“.

Manche Altenheimbewohner erinnert die Evakuierung an Kriegszeiten. Angst musste beruhigt werden. Zwei Personen wurden wegen ihrer Aufregung stationär ins Krankenhaus gebracht. Dorthin kamen auch zehn Bettlägerige über Nacht.

Große Hilfsbereitschaft bei Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen

Das Ausquartieren der Senioren aus Evangelischer Stiftung und Herz-Jesu- Kloster dauerte bis nach 22.30 Uhr. Währenddessen lief auch die Evakuierung wieder der Innenstadtbewohner um die Stiftskirche. Noch um 23 Uhr tauchten Passanten auf – die gerade beginnende Entschärfung wurde unterbrochen.

So saßen die 103 Senioren in der Turnhalle des Berufskollegs in Bedburg-Hau die ganze Nacht an den Schultischen in der hallenden Halle. Hier wurde gespielt, dort erzählt. „Ich möchte mich bei alle Maltesern, den Helfern und Mitarbeitern bedanken“, sagt Bärbel Gütges aus vollem Herzen. „Wir hatten gar keine Zeit gehabt, alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen anzurufen, aber es hatte sich wie ein Lauffeuer herum gesprochen. Sie riefen uns an: Soll ich noch kommen und helfen?“ erzählt sie. „Über dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bin ich glücklich“.

Hilfe war die ganze Zeit über nötig. Beispielsweise, weil es in der Halle zwei Behindertentoiletten für die 50 Rollstuhlfahrer gab. Und dann beim Rücktransport. Die Stadtverwaltung gab genau um Mitternacht die Entwarnung. Um 3.30 Uhr in der Nacht war der letzte Senior in der evangelischen Stiftung angelangt. „Alle sind völlig erschöpft. Die meisten bekamen Frühstück ans Bett“, schildert Gütgen am Donnerstag. „In den nächsten Tagen erst werden sich die Nachwirkungen und die psychische Verfassung herausstellen“. Sie fragt. „Warum kann nicht die ganze Baustelle erst sondiert werden, bevor man wieder evakuieren muss?“

Bomben lagen im Nachkriegs-Bauschutt, der zur Sondierung beiseite geschoben wurde

Genau das versuche man, sagt Truppführer Tim Hoferichter vom Kampfmittelräumdienst der Bezirksregierung der NRZ auf Nachfrage. Er hatte um drei Minuten vor Mitternacht die Fünf-Zentner-Bombe entschärft. „Stand der Technik ist das Sondieren mit einem Oberflächengradiometer. Dazu muss erst der Bauschutt, der nach dem Krieg auf der Fläche verteilt wurde, entfernt werden. Genau dabei ist die Bombe versehentlich bewegt worden. Alle gefundenen Bomben an der Kapitelstraße steckten in diesem Bauschutt. Es gibt keine geeigneten Mittel, sie vorher zu entdecken.“ Diese hatte einen chemisch-mechanischen Langzeitzünder. „Sie hätte jederzeit mit Selbstentzündung hoch gehen können“, so Tim Hoferichter. Er lobt die Arbeit der Ordnungsbehörde und Hilfsorganisationen: „Tip top!“

Bei der Evakuierung im Einsatz waren 88 Feuerwehrleute, 100 Polizisten, 22 Ordnungskräfte, viele Rettungskräften sowie DRK, Malteser, Johanniter und THW. Die Stadtverwaltung dankte: „Ihr habt wieder einen tollen Job gemacht! Innerhalb von sechs Tagen drei Bomben und 13.500 Evakuierungen. Top!“

Die Corona-Ausgangssperre für rückkehrende Bewohner der City war für die Nacht aufgehoben.