Kleve. Die Klever Psychologin Eni Becker, die an der Radboud-Universität in Nimwegen forscht, hat eine klare Sicht auf die Corona-Krise und die Folgen.

Eni Becker weiß genau, wie Menschen ticken. Sie weiß auch, wie Menschen mit Extremsituationen umgehen. Eine solche scheint mit dem Coronavirus gerade auf die Bundesrepublik zuzurollen. Die Kleverin lehrt an der Radboud-Universität in Nimwegen Klinische Psychologie.

Zuvorderst beschäftigt sie sich mit der Entwicklung und Behandlung von Angststörungen. In vom Coronavirus geprägten Zeiten ist sie dadurch eine gefragte Ansprechpartnerin.

Frau Becker, Sie sind vollkommen gesund?

Eni Becker: Nun, aktuell befinde ich mich gewissermaßen in Quarantäne. Mit einer Erkältung wird man in den Niederlanden schon gezwungen, daheim zu bleiben. Das hindert mich aber nicht daran, zu arbeiten – nur eben vom Wintergarten aus. Die Auswirkungen des Coronavirus haben mein Mann und ich aber schon kräftig zu spüren bekommen.

Inwiefern?

Becker: Wir haben in der vergangenen Woche eine Reise nach Namibia gemacht. Am Samstagabend hieß es dann plötzlich, es würden keine Flieger mehr abheben. Es wurde im Land ein Reiseverbot verhängt. Da mussten wir lange Diskussionen mit dem Flughafen-Personal führen, schließlich konnten wir dann über Addis Adeba in Äthiopien doch noch die Heimreise antreten. Am Montagmorgen sind wir wieder in Deutschland gelandet.

Sind Sie überrascht davon, welche Dimensionen die Corona-Krise annimmt?

Becker: Ehrlich gesagt bin ich das nicht wirklich. Anfangs haben wohl alle noch gedacht, es handele sich nur um eine weitere Variante der Grippe, die wir schon gut überstehen würden. Mittlerweile ist aber klar, wie tiefgreifend die Auswirkungen des Coronavirus sind. Und wer weiß, was noch auf uns zukommt. Die entscheidende Frage wird sein, wie gut unser Gesundheitssystem darauf vorbereitet ist. Und daher sind die von der Politik getroffenen Maßnahmen richtig. Das exponentielle Wachstum der Ausbreitung muss unbedingt gestoppt werden.

Der Staat erklärt dieser Tage gebetsmühlenartig, dass die Versorgungssicherheit der Bürger gesichert sei. Wie lassen sich dann Hamsterkäufe erklären?

Becker: Sich nun Vorräte aufzubauen, ist wirklich übertrieben. Es steht außer Frage, dass wir nicht verhungern werden. Hinter den Hamsterkäufen steckt Angst. Und Angst ist nützlich. Sie beschützt uns davor, sorglos zu sein. In der aktuellen Situation kann sie helfen, dass Leute tatsächlich daheim bleiben. Nur muss man jetzt natürlich aufpassen, dass die Angst nicht überhand nimmt.

Doch auch dieses Schicksal scheint aktuell einige Menschen zu ereilen.

Becker: Nun, es gibt immer Extreme. Auf der einen Seite haben wir eine kleine Gruppe von Menschen, die sich an keine Ratschläge hält und die Grenzen aufsucht. Sie scheint angstfrei und risikobereit zu sein – damit ist sie aber eben auch eine sehr gefährdete Art. Dem gegenüber steht eine Gruppe von Menschen, die sich nun völlig verängstigt zurückzieht. Diese Menschen leiden unter der Angst, grübeln und fühlen sich wie gelähmt. Insbesondere dann, wenn sie etwa mit einer depressiven Erkrankung leben müssen. Für Flüchtlinge muss das nun auch eine schwere Zeit sein. Sie kamen für ihre Sicherheit nach Deutschland und fühlen sich nun erneut in Gefahr.

Wie lange würden wir denn eine mögliche Ausgangssperre in Deutschland ertragen können? Auch diese Maßnahme scheint aktuell ja nicht kategorisch ausgeschlossen.

Becker: Sehr lange. Immerhin ist der Mensch unglaublich anpassungsfähig. Man denke nur mal an die Situation im Zweiten Weltkrieg, als Menschen bei Bombenangriffen ewig nächtelang in den Kellern ausharren mussten. Sie haben im Anschluss alle wieder weiter gemacht. Das würden wir auch, wenn es wirklich zu Ausgangssperren käme.

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Können wir als Gesellschaft auch gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen?

Becker: In Teilen ist das sicher denkbar. Die wirtschaftlichen Folgen sind aber noch gar nicht abzuschätzen. Darunter werden wir sicher noch einige Jahre leiden. Selbstständige werden ihre Existenz verlieren. Gleichzeitig können wir als Gesellschaft das Gefühl der Solidarität den Schwächeren gegenüber wiederentdecken. Wenn wir das in die Zeit nach der Krise tragen, wäre uns allen geholfen. Und das Gesundheitssystem wird wichtige Schlussfolgerungen aus der Krise ziehen.

Haben Sie Tipps, wie jeder Einzelne die nächsten Monate überstehen kann, wenn man dazu angehalten ist, in den eigenen vier Wänden zu bleiben?

Becker: Ich halte es für ganz wichtig, dass man sozial nicht isoliert wird. Das heißt ja nicht, dass man direkten menschlichen Kontakt suchen muss. Man kann auch telefonieren oder mit dem Nachbarn über den Zaun hinweg quatschen. Außerdem ist es wichtig, Routine und Struktur in den Tag zu bringen. Man sollte Zeitpläne aufstellen und klare Aufgaben festlegen. Und ganz wichtig: Man muss in Bewegung bleiben, das geht auch im Haus. Bewegung hilft wunderbar gegen Angst. ove