Kleve. Mehr als 500 Klever verloren ihr Leben im Ersten Weltkrieg – keine Spur von patriotischer Stimmung. An der Heimatfront wurde gehungert.

Am 7. August 1914, dem 6. Mobilisierungstag, verließ das III. Bataillon des Infanterie-Regiments Vogel von Falckenstein Nr. 56 seine Kaserne an der Brabanterstraße und zog durch die Stadt zum Bahnhof. Der Erste Weltkrieg hatte auch für Kleve begonnen.

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Das Foto zeigt es: Von einer patriotischen Hochstimmung war in Kleve wenig zu spüren. Die Vorstellung, alle Deutschen seien jubelnd in den Krieg gezogen, gehört in den Bereich der Propaganda. Patriotische Kundgebungen gab es nur in den großen Städten und es war die bürgerliche Bevölkerungsschicht, die den Krieg mehrheitlich begrüßte. Bei den meisten Deutschen überwog die Sorge um die Angehörigen und die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Doch erschien der Krieg unvermeidlich. Nach offizieller Lesart handelte es sich um einen Verteidigungskrieg, der Deutschland von außen aufgezwungen worden war. Zur Verteidigung des Vaterlandes und in Erwartung eines schnellen Sieges war man bereit in den Krieg zu ziehen.

Obwohl Kleve – anders als im Zweiten Weltkrieg – vom eigentlichen Kriegsgeschehen nicht betroffen war, waren die Auswirkungen des Krieges schnell zu spüren.

Schon am 14. August 1914 starb der erste Klever Soldat. In der folgenden Zeit wurde die in der Zeitung abgedruckte „Ehrentafel der im Feld gefallenen Krieger des Kreises Kleve“ immer länger. Mehr als 500 Soldaten allein aus dem Klever Stadtgebiet sollten bis 1918 sterben. Aber nicht nur der allgegenwärtige Tod veränderte das Leben der Menschen fernab der Front.

Das Foto zeigt Schüler des Königlichen Gymnasiums am Eisernen Mann im März 1916.
Das Foto zeigt Schüler des Königlichen Gymnasiums am Eisernen Mann im März 1916. © Wilhelm Ballizany/Stadtarchiv Kleve

Der erste „totale Krieg“ der modernen Geschichte forderte nicht nur Soldaten und Kriegsgerät, sondern auch die Mobilisierung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen. Für den Ausgang des Krieges war nicht zuletzt die Lage an der „Heimatfront“ entscheidend. Mit einem „Propagandafeldzug“ wurde versucht, in der Bevölkerung, der immer neue Belastungen abverlangt wurden, die Kriegsstimmung aufrecht zu erhalten.

Spenden für die Soldaten

Entgegen der vor dem Krieg gemachten Versprechen, dass Deutschland auf den Krieg gut vorbereitet und ein Mangel nicht zu befürchten sei, zeigte sich schnell, dass selbst die Versorgung der Soldaten nur unzureichend gewährleistet war. Seit Beginn des Krieges wurde zu Sach- und Geld­spenden aufgerufen. Das Nähen und Stricken für die „Liebespäckchen für die Front“ und Sammel­aktionen wie in der „Reichswollwoche“ wurden zu einem Betätigungsfeld der Frauen, die sich bald auch in den in Kleve eingerichteten Lazaretten um Verwundete kümmerten.

Eine Maßnahme zum Spendensammeln war der am „Kaisergeburtstag“ 1916 am Fischmarkt errichtete „Eiserne Mann“, die hölzerne Figur eines Granatenwerfers nach Entwurf des Bildhauers Gerd Brüx. Gegen die Zahlung einer Spende durften Nägel in Teile der Figur geschlagen werden. Ganze Schulen und Vereine traten geschlossen an, um einen Beitrag zu leisten.

„Steckrübenwinter“ 1916/17

Schon am 4. August 1914 wurde der städtische Kriegsversorgungsausschuss gebildet, dessen Aufgabe es war, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel und die Fürsorge für die Soldatenfamilien zu gewährleisten. Dies war der Beginn der Kriegszwangswirtschaft, die sich alsbald als Mangelwirtschaft erwies. Seit März 1915 gab Lebensmittelkarten zunächst für Brot und Mehl. Später kam es zur Rationierung fast aller Lebensmittel, aber auch von Bekleidung und Seife. Viele Waren verschwanden ganz von Markt, an ihre Stelle traten Ersatzprodukte. Im Winter 1916/17 erreichte die Versorgungsnot einen Höhepunkt, als die Kartoffelernte verdarb und die eigentlich als Viehfutter angepflanzten Steckrüben zum Hauptnahrungsmittel wurden. Der „Steckrübenwinter“ ist in die Geschichte eingegangen.

Die Hauptlast an der „Heimatfront“ hatten die Frauen zu tragen, die nun das Leben der Familie alleine organisieren mussten.

Für die Soldatenfamilien gab es zwar eine Kriegsunterstützung. Diese war aber zu gering, um die Verteuerung der Lebensmittel auszugleichen. Viele Frauen waren gezwungen, arbeiten zu gehen.

Die Jugendlichen ließen sich am leichtesten von der Kriegsbegeisterung anstecken und eilten freudig „zur Fahne“. Die Notprüfungen an den höheren Schulen ermöglichten es Schülern, vorzeitig ihren Schulabschluss zu machen, um dann von der Schulbank sofort in den Krieg zu ziehen.

Verwahrloste Jugend

Insgesamt trat das Lernen für die Schüler immer mehr in den Hintergrund. Sie wurden gebraucht, um Versorgungsmängel zu bekämpfen. Statt Unterricht gab es Sammelaktionen und Ernteeinsätze. Wenn der Haupternährer fehlte, mussten sie auch mit für den Familienunterhalt sorgen. Zugleich fehlte der Vater als Autorität. Gegen Ende des Krieges häuften sich die Klagen über die Verwahrlosung und Disziplinlosigkeit der Jugendlichen.

Die schleichende Unterernährung machte insbesondere alte Menschen und Kinder anfällig für Krankheiten. Im Juni 1918 wurde das Walderholungsheim im Tiergartenwald für unterernährte und tuberkulosegefährdete Klever Kinder errichtet.

Bis zuletzt war versucht worden, die Bevölkerung über die tatsächliche Kriegslage im Unklaren zu lassen, so dass für die meisten die Niederlage im November 1918 völlig unerwartet kam.