Kleve. . In Kleve gibt es seit diesem Monat nur noch zwei Kinderärzte. Verzweifelte Eltern versuchen, bei anderen bestehenden Praxen unterzukommen.
Das Telefon steht zurzeit nicht mehr still. Jeden Tag bekommt Birgitt Cleven fünf bis sechs Anrufe von verzweifelten Eltern: „Können wir mit unserem Kind zu Ihnen kommen?“ Die Sprechstundenhilfe des Klever Kinderarztes Wolfgang Brüninghaus hat leider keine guten Nachrichten zu verkünden: die Kapazitätsgrenze des Klever Kinderarztes ist weit überschritten. Es kann niemand mehr hinzu kommen. Die Situation sei dramatisch, erzählt Birgitt Cleven. Denn seit Anfang Juli gibt es in der 50 000-Einwohner-Stadt Kleve nur noch zwei Kinderärzte. Peter Andoko Soemantri ist jüngst in den Ruhestand getreten.
Die kritische Situation (die NRZ berichtete mehrfach) bei den verbliebenden Kinderärzten wird immer kritischer: „Die grundsätzliche Kinderarztversorgung am Niederrhein ist so knapp bemessen, dass bei Krankheit oder Urlaub sofort Lücken auftreten“, klagt Wolfgang Brüninghaus, der im kommenden Monat auch noch die Urlaubsvertretung zu stemmen hat. Er alleine ist dann für den Nordkreis Kleve zuständig.
Versorgungssituation nicht zufriedenstellend
Das Stimmungsbild zur fachärztlichen Versorgung in Kleve lässt sich auch im NRZ-Bürgerbarometer ablesen. Fast jeder fünfte Befragte gibt an, dass die Versorgungssituation nicht zufriedenstellend ist. Und 34 Prozent zeigen sich bei dieser Frage unentschlossen. Schlüsselt man die Zahlen nach Altersgruppen auf, dann stellt man fest, dass vor allem die Gruppe der 30 bis 50-Jährigen unzufrieden ist.
Das merkt auch Birgitt Cleven am Telefon: „Die Eltern sind alle verärgert. Und wir müssen sie dann auch noch abweisen“, sagt sie. Die Arzthelferin rät dazu, öffentlich zu protestieren, bei den Krankenkassen anzurufen und der Kassenärztlichen Vereinigung: „Aber die wenigsten machen davon Gebrauch. Sie legen resigniert auf und suchen weiter einen Arzt.“ Die nächsten Kinderärzte sind in Goch, Kevelaer, Emmerich, aber auch der Arzt auf der anderen Rheinseite geht bald in den Ruhestand. „Die Eltern, die sich jetzt melden, haben Kinder mit Asthma oder sie benötigen eine Überweisung für das SBZ, die nur ein Kinderarzt ausstellen kann“, erzählt Cleven.
Fehler liegt im System
Der Fehler liege im System, findet Brüninghaus. Denn die Planungsgrundlage der Kassenärztlichen Vereinigung für die Ärztezuteilung in den Kreis Kleve sei absolut veraltet. Seit 26 Jahren seien diese Regeln nicht mehr angepasst worden, obwohl sich die Lebensrealität spürbar geändert habe. Brüninghaus verweist auf die veränderten Aufenthaltstage im Krankenhaus. Früher waren Mütter mit ihren Kindern nach der Geburt deutlich länger im Krankenhaus, heute oft nur zwei Tage. Die Nachsorge erfolge durch die Fachärzte vor Ort. Unterm Strich heißt das für die Kinderärzte: mehr Arbeit bei kleinerer Personaldecke.
Viele Eltern weichen in Kleve auf normale Hausärzte aus. „Aber es gibt Befunde, die ein Kinderarzt viel besser erkennt als ein Hausarzt. Das kann mitunter zu ernsten Konsequenzen führen“, so Brüninghaus. Die Stadt Kleve sei mit dem Wegfall von Dr. Soemantri unterversorgt. Rettung ist kaum in Sicht: „Ich biete allen Kollegen an, mal an den Niederrhein zu kommen, hier zu hospitieren und einzusteigen, aber der Erfolg hält sich in Grenzen.“ Dabei mache es durchaus Spaß, am Niederrhein zu arbeiten in einem netten Umfeld. Hier kenne man noch seine Patienten und dies drücke sich auch in einer hohen Zufriedenheit aus. Brüninghaus behandelt jedes Quartal zwischen 1300 und 1400 Patienten, im Winter seien es nicht selten 80 bis 100 am Tag.