Essen. Wie eine Gruppe von Theaterfreunden am Schauspiel beim Verständnis von Stücken hilft und mit neuen Zuschauerschichten in Kontakt kommt.

Kritische Bemerkungen kommen in Freundschaften nicht immer gut an. Zu unbequem, zu störend, zu verletzend. Bei den neuen Intendantinnen Selen Kara und Christina Zintl im Schauspiel Essen sind sie erwünscht. Zu Beginn ihrer ersten Spielzeit wurden Essenerinnen und Essener aufgefordert, sich als Critical Friends zusammenzufinden und das Sprechtheater mit all seinen Aktivitäten wachsam zu begleiten. Knapp 20 Theaterinteressierte gehören dazu. Ihr jüngstes Format „Willst Du mit mir (ins Theater) gehen?“ ist schon gut angekommen.

Critical Friends bringen im Essener Theater kritische Fragen zur Sprache

Woher wissen Theaterschaffende, ob das Publikum ihre Inszenierung versteht, ob es eine bessere Vor- oder Nachbereitung braucht oder einen mitlaufenden Text über dem Bühnengeschehen? Wünschen sich Zuschauende mehr Kontakt mit Schauspielern? Warum ist das Café Central nur eine Stunde vor der Vorstellung und eine danach geöffnet? Wie überbrückt das Schauspiel die Zeit vom Auszug der Casa aus der Theaterpassage bis zum Einzug in das ehemalige Naked in der Rottstraße? Fragen über Fragen, die die Critical Friends immer wieder anstoßen.

Die Critical Friends sind keine starre Gruppe. Sie treffen sich momentan einmal im Monat, besprechen anstehende Themen und wobei sie mitmachen können unter der Leitung von Dramaturgin Katharina Rösch. Darunter Dodo Schenk (61), Pädagogin. Wie viele hat sie die erste weibliche Intendanz bewogen, mehr ins Theater zu gehen und sich einzubringen. Manfred Bohnau (71) ist pensionierter Diplom-Ökonom und nimmt seit 15 Jahren Angebote aller Sparten der Theater und Philharmonie wahr. „Ich finde es ganz spannend, mal hinter die Kulissen zu gucken und mich zu beteiligen. Ich sehe mich als Sprachrohr für das bestehende Publikum“, sagt er.

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Fatma Batur (38) ist Lehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen im Bereich Informatik. Sie engagiert sich ehrenamtlich im Integrationsrat der Stadt Essen. Dass es jetzt eine Intendantin mit Migrationshintergrund gibt, begeistert sie. Und sie möchte sich einsetzen, damit mehr Studierende der Pendleruni und Menschen mit ausländischen Wurzeln ins Theater gehen. Da hakt auch Dodo Schenk ein, die seit Jahren bei Exile Kulturkoordination engagiert ist: „Viele haben den Zugang zum Theater nicht. Wie kann es gelingen, sie ins Theater zu bringen?“

Critical Friends begleiten Zuschauende am Essener Theater in Vorstellungen

Über Feste zum Beispiel. Sie ermöglichen Austausch auf niederschwelliger Ebene: Birgit F. Unger, lesbisch, einst Unternehmerin, heute Moderatorin und Coach, nennt zum Beispiel das Frauenfest im März. „Da konnte man in barrierefreier Atmosphäre ins Gespräch kommen“, erzählt sie. Besonders das noch neue Format „Willst Du mit mir (ins Theater) gehen?“, hat sie „geflasht“. „Da nimmt eine oder einer von uns Zuschauerinnen und Zuschauer nicht auf einer abgehobenen Ebene an die Hand. Das haben viele gerne“, meint Birgit F. Unger. 10, manchmal 15 Menschen melden sich für die ausgewählten Vorstellungen an. Am 27. Juni ist der nächste Termin mit „Mein Blutbuch“ nach Kim de l‘Horizon.

Kim de l‘Horizon hat 2022 hat Deutschen Buchpreises 2022 erhalten. Nach dem Roman „Mein Blutbuch“ von Kim de l‘Horizon entsteht am Schauspiel Essen ein Theaterstück, das die Critical Friends begleiten.
Kim de l‘Horizon hat 2022 hat Deutschen Buchpreises 2022 erhalten. Nach dem Roman „Mein Blutbuch“ von Kim de l‘Horizon entsteht am Schauspiel Essen ein Theaterstück, das die Critical Friends begleiten. © dpa | Arne Dedert

Die Critical Friends können aber auch auf andere Weise einwirken. Da sie unter anderem die Proben der Theaterstücke ansehen, merken sie, welche wichtige Information zum Verständnis fehlt. „Bei ,Doktormutter Faust‘ wurde durch einen Satz auf der Webseite des Theaters kenntlich gemacht, dass es in dem Stück um einen sexuellen Übergriff geht“, bemerkt die Dramaturgin. „Mein Kritikpunkt: Die Stücke werden zu intellektuell beschrieben“, so Unger.

Wünsche gibt es jede Menge: „Dass sich das Theater mehr öffnet. Mit Schülerinnen und Schülern reinzugehen, ist eine gute Möglichkeit“, weiß Fatma Batur. „Ich wurde nicht sozialisiert, ins Theater zu gehen.“ Ein Café im Grillo-Theater mit Aufenthaltsqualität und ohne Konsumzwang ist gewünscht. Mehrsprachigkeit und Menschen mit Behinderungen auf die Bühne zu bringen, werden noch genannt. Und nicht zuletzt plädiert Manfred Bohnau : „Dass man gute Unterhaltung findet und den Alltag hinter sich lassen kann.“

Neue Zuschauerschichten wollen die Critical Friends, die Mitglieder aus allen Bereichen und Berufen haben, gewinnen. Aber eines bestimmt nicht: eine Polarität schaffen zwischen neuem und altem Publikum.

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