Essen. Im März stürzte ein Kletterer offenbar ungesichert in den Tod. Der Hallenbetreiber setzt nun auf ein Kontrollsystem. So funktioniert‘s.

„Es kann eigentlich nichts schiefgehen“, sagt Guido Krautkrämer. Und doch ging am 29. März dieses Jahres etwas gewaltig schief in Krautkrämers „Neoliet Easy Climb“ Kletterhalle an der Graf-Beust-Allee. Ein 45-jähriger Mann stürzte in den Tod. Ein erfahrener Kletterer, ein Stammkunde, erzählt Krautkrämer, der die Halle betreibt, und klingt, als könnte er es immer noch nicht fassen.

Der Mann, ein Lehrer aus Bochum, war aus etwa 16 Metern Höhe abgestürzt. Die Polizei, die den Fall untersuchte, konnte weder ein Fremdverschulden feststellen, noch einen technischen Defekt. Der Kletterer war nicht durch ein Seil gesichert, berichtet Krautkrämer. Obwohl das Klettern ohne Sicherung strikt verboten sei. Es war nicht der erste Unfall, aber dieser ging tragisch aus. Der Familienvater erlag seinen schweren Verletzungen, die er sich beim Aufprall zugezogen hatte.

Das Klettern ist nur gesichert erlaubt. Dennoch wird gegen diese Regel verstoßen. Ein technisches Kontrollsystem soll dies verhindern.
Das Klettern ist nur gesichert erlaubt. Dennoch wird gegen diese Regel verstoßen. Ein technisches Kontrollsystem soll dies verhindern. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

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Guido Krautkrämer hat dieses Unglück nicht mehr losgelassen. Damit sich solch ein furchtbarer Unfall nicht wiederholt, hat er gemeinsam mit einem Tüftler ein Kontrollsystem entwickelt. Eigentlich sei das Klettern auch ohne dieses System idiotensicher. Vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln. Anfänger erhalten per Videofilm eine Einweisung. „Jeder, der klettern will, muss sich dieses Video ansehen“, betont Krautkrämer.

Das bisherige Sicherungssystem in der Essener Kletterhalle lässt sich umgehen

Gezeigt wird, wie man den klettergurt richtig anlegt, und wie man sich mit dem Seil sichert. Der Kletterer verbindet es mithilfe eines sogenannten Connectors mit dem Klettergeschirr; dabei handelt es sich um zwei Metallteile, die zusammengesteckt werden, und die durch Drehung ineinander greifen. Ein Teil befindet sich am Klettergeschirr, eines am Ende des Sicherungsseils. Voneinander lösen lassen sie sich nur, in dem man einen Metallstift in eine Öffnung steckt.

Hallenbetreiber Guido Krautkrämer führt das bisherige Sicherungssystem vor. Gummimatte am Fuß der Kletterwand dient als Barriere. Wer sie von der Wand lösen will, muss sich sichern.
Hallenbetreiber Guido Krautkrämer führt das bisherige Sicherungssystem vor. Gummimatte am Fuß der Kletterwand dient als Barriere. Wer sie von der Wand lösen will, muss sich sichern. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dieser Stift hängt an einer fest am Boden verankerten Gummimatte. Die Matte steht aufrecht an der Kletterwand und bedeckt die ersten Haltegriffe wie eine Barriere. Um diese Barriere aus dem Weg zu räumen, muss der Kletterer sein Geschirr mit dem Sicherungsseil verbinden. Liegt die Matte auf dem Boden, heißt das, der Kletterer ist ordnungsgemäß gesichert. Wer nicht gesichert ist, und trotzdem klettert, muss über die Gummimatte an der Wand hinwegklettern.

Neoliet Essen: Kontrollsystem soll sicherstellen, dass Kletterer gesichert sind

Warum dies geschieht, darüber kann Guido Krautkrämer nur rätseln. So etwas passiere „höchstens aus Dummheit oder aus Versehen“, sagt der Hallenbetreiber. Passiert es auch aus Vorsatz? Suchen Kletterer den besonderen Kick, in dem sie ungesichert die Wände hochsteigen? „Free solo“ heißt das im Klettersport.

Das Kontrollsystem besteht aus einfachen Bauteilen.
Das Kontrollsystem besteht aus einfachen Bauteilen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Easy Climb“ verspricht „Klettern, Spaß und Training für Groß und Klein“, wie es auf einem Flyer heißt. Die Kletterhalle sei etwas für Anfänger, sagt Krautkrämer. Was nicht heißt, dass sich dort nicht auch erfahrene Kletterer an den insgesamt 70 Kletterrouten versuchen, wie der Fall des Bochumers zeigt.

Das neue Kontrollsystem soll sicherstellen, dass niemand die Kletterwände erklimmt, ohne das vorgeschriebene Sicherungsseil zu nutzen. Dafür wurden hinter der Kletterwand in knapp drei Metern Höhe Bewegungssensoren eingebaut. Ein weiterer Sensor befindet sich in der Gummimatte. Die Sensoren sind mit einem kleinen Rechner und einem Alarmsystem verbunden. Das System ist scharf geschaltet, solange die Gummibarriere die Kletterwand bedeckt. Klettert jemand über diese Barriere hinweg und erreicht die Sensoren, lösen diese einen Alarm aus. An der Wand leuchtet dann ein rotes Licht, eine Sirene gibt Warntöne von sich. Die Mitarbeiter können eingreifen.

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In den nächsten Monaten soll die komplette Kletterhalle mit der neuen Technik ausgerüstet werden.
In den nächsten Monaten soll die komplette Kletterhalle mit der neuen Technik ausgerüstet werden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die bislang gesammelten Erfahrungen mit dem Prototyp seien positiv, berichtet Krautkrämer. Dennoch will er das System verfeinern, die Zahl der Sensoren soll von acht auf 20 erhöht werden. Krautkrämer spricht bewusst von einem Kontrollsystem und nicht von einem Sicherungssystem. Mutwillig ließe sich die Kontrolle umgehen, etwa indem jemand die Gummimatte mit Gewalt auf den Boden drückt. Auch könnte hinter dem gesicherten Kletterer ein zweiter folgen, ungesichert. Theoretisch sei dies möglich, zu einhundert Prozent ausschließen ließe es sich nicht.

Der Essener Kletterhallen-Betreiber will sein System kostenlos weitergeben

In den kommenden sechs bis acht Wochen will Krautkrämer die übrigen Kletterrouten seiner Halle mit der neuen Technik ausrüsten. Nach einer weiteren etwa zweiwöchigen Probephase will er das System dann anderen Betreibern kostenlos zur Verfügung stellen. Die nötigen Informationen zum Nachbauen will er ins Internet stellen. Wer interessiert ist, soll sich die Anleitung herunterladen können.

Gewährleistung oder Garantie gibt es nicht. „Ich bin Kletterhallenbetreiber und kein Softwareentwickler“, sagt Krautkrämer. Er wolle aber seinen Beitrag dafür leisten, dass sich eine Tragödie wie am 29. März nicht wiederholt, nicht in seiner Halle und in keiner anderen.

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