Essen. Der OB soll das Ratsvotum beanstanden, fordert die AfD, schaltet die Kommunalaufsicht ein und stellt ein Ultimatum – Drohung inklusive.
Das Ultimatum, es läuft langsam ab: ein Tag Zeit noch für die „Alternative für Deutschland“. Doch so wie es aussieht, denkt die AfD gar nicht daran, bis zum 4. Juni jene geforderte Selbstverpflichtung zu unterschreiben, mit der die Stadt Essen strafbare Äußerungen beim geplanten Bundesparteitag in der Grugahalle unterbinden will. Stattdessen haben jetzt erwartungsgemäß die Juristen das Wort: Die Kölner Rechtsanwalts-Kanzlei Höcker, Haus- und Hof-Advokaten der AfD auch schon beim Verfahren gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, schossen am Montag aus allen Rohren.
Wenn der Oberbürgermeister sich weigert, muss die Bezirksregierung aktiv werden, fordert die AfD
Zwei am Montagvormittag ins Feld geführte Schriftsätze, 88 Seiten lang der eine, 30 Seiten der andere, künden davon, dass das kein langes erholsames, sondern ein arbeitsreiches Wochendende für die AfD-Anwälte Christian Conrad und Michael Fengler war. Beide Mails gingen an Oberbürgermeister Thomas Kufen und die Ratsfraktionen, aber eben auch an das Dezernat 31 der Bezirksregierung Düsseldorf – die Kommunalaufsicht. Diese soll einschreiten, wenn der OB sich weigern sollte, den am Mittwoch der vergangenen Woche ergangenen Ratsbeschluss zu beanstanden und wieder einzukassieren.
Zur Erinnerung: Darin beschloss die örtliche Politik über den Umweg einer Gesellschafterversammlung eine Ergänzung zu dem im Januar 2023 geschlossenen Pachtvertrag. Mit dem sicherte sich die AfD einst zum Preis von 64.732 Euro und 50 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer die Grugahalle für ihren diesjährigen, den 15. Bundesparteitag. Dass die AfD, wie andere Parteien auch, einen Rechtsanspruch auf die Anmietung hat – der Fachbegriff dafür lautet „Kontrahierungszwang“ – ist dabei nicht einmal strittig. Die Stadt aber argumentiert, die Partei habe sich in den vergangenen Monaten derart radikalisiert, dass die städtische Halle eine Bühne auch für strafbare Äußerungen wie etwa die SA-Parole „Alles für Deutschland“ werden könnte.
AfD-Anwälte verspotten die Argumente des Soziologen Andreas Kemper als „Glaskugelexpertise“
Die Anwälte widersprechen im Namen der AfD, sehen sowohl die geforderte strafbewehrte Selbstverpflichtung, derlei Aussagen zu verhindern bzw. zu unterbinden, als „offensichtlich rechtswidrig“ an wie auch die automatisch ausgelöste Kündigung, sollte die Unterschrift nicht bis zum 4. Juni vorliegen. Ihre Gründe unter anderem: Zum einen habe die Stadt die Tagesordnung des Rates „unzulässig erweitert“, weil eine Dringlichkeit des Themas nicht gegeben sei. Unzulässig sei ebenso, dass die Stadt der Messe Essen und ihrem Geschäftsführer Oliver P. Kuhrt per Ratsbeschluss die Last einer möglichen Haftung abgenommen habe, und das auch noch in unbegrenzter Höhe: „Dies entspricht nicht einer wirtschaftlichen Haushaltsführung.“
Vor allem aber schießt sich die AfD auf den Soziologen und Publizisten Andreas Kemper ein, dessen Expertise die Befürchtung der Stadt untermauern sollte, auf dem Bundesparteitag der AfD Ende Juni werde aller Voraussicht nach mit strafbaren NS-Parolen zu rechnen sein – entweder aus „trotziger Solidarisierung“ oder aus „bloßem Kalkül“. Eine „Glaskugelexpertise“ spotten die Höcker-Anwälte und sehen in Kemper einen „ausgewiesenen AfD-Hasser aus dem linksextremen Milieu“, der „in erheblichem Maße voreingenommen“ gegenüber der Partei agiere. Seitenweise präsentiert man Zitate aus dem Mikroblogging-Dienst „X“ (früher „Twitter“) und schlussfolgert, im Zweifel müsse man ihn deshalb ohnehin „wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen“.
Jetzt steht ein Ultimatum gegen das andere, und am Ende sieht man sich womöglich vor zwei Gerichten
Kurzum: Gegen die von der Stadt gesetzte Frist, bis zum 4. Juni die Selbstverpflichtung zu unterzeichnen, setzt die AfD nun ihrerseits ein Ultimatum: Bis zum 5. Juni soll Oberbürgermeister Kufen den Ratsbeschluss, für den er in der Sitzung selber noch ausdrücklich warb, formell beanstanden. Tut er dies nicht, wollen die Anwälte der Kanzlei Höcker der AfD „empfehlen, ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg weiterzuverfolgen“: einerseits beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, andererseits beim Essener Landgericht. Die Kommunalaufsicht der Bezirksregierung in Düsseldorf hat vor einer offiziellen Reaktion zunächst Stellungnahmen des OB und der AfD angefordert.
Der Ball liegt nun im Feld der Stadt, die sich ihrerseits bereits externen Rechtsbeistand gesucht hat: Die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH soll helfen, die eigenen Position durchzusetzen. Auch dort stehen wohl arbeitsreiche Tage an.