Essen. Neue Hürde für den Bundesparteitag in Essen: „Alternative für Deutschland“ soll bis 4. Juni eine Selbstverpflichtung unterschreiben.
Dagegen demonstrieren, ja, aber zu verhindern ist da eh nichts: So lautete bislang die Devise der Stadt Essen vor dem geplanten Bundesparteitag der AfD in der Grugahalle. Doch fünf Wochen vor dem Treffen am letzten Juni-Wochenende, zu dem auch Zehntausende Gegendemonstranten erwartet werden, legt sie der Partei nun doch noch eine Hürde in den Weg. Danach soll die „Alternative für Deutschland“ eine schriftliche, strafbewehrte Selbstverpflichtung abgeben, dass auf dem Parteitag strafbare Äußerungen wie etwa die SA-Parole „Alles für Deutschland“ und Ähnliches verhindert werden. Zudem müssten mögliche „Zuwiderhandlungen unverzüglich und wirksam unterbunden werden“. Andernfalls wird der Mietvertrag für die Grugahalle außerordentlich gekündigt.
Keine direkte, rechtlich ohnehin umstrittene Kündigung, sondern zunächst ein „milderes Mittel“ als Kompromiss: Mit diesem Schachzug versucht die Stadt dem Vorwurf zu entgehen, sie wolle die Verantwortung für das bundesweit beachtete AfD-Treffen am 29. und 30. Juni nur auf die Gerichte abschieben. Da der Mietvertrag im Januar vergangenen Jahres durch die Messe Essen GmbH geschlossen wurde, muss die Stadt für eine solche Regelung allerdings den Umweg über eine Gesellschafterversammlung gehen. Diese ist dem Vernehmen nach bereits einberufen, die Anweisung an den dortigen städtischen Verteter soll in der nächsten Ratssitzung am Mittwoch (29. Mai) erfolgen.
Das Ultimatum, die Selbstverpflichtung zu unterschreiben, läuft am 4. Juni ab
Dort will die Stadt auch zusichern, dass sie im Falle eines Falles mögliche Schadensersatzforderungen gegen die Messe und deren Geschäftsführer Oliver P. Kuhrt auffängt. Der muss die geforderte Selbstverpflichtung der AfD als Ergänzung zum Mietvertrag in die Wege leiten. Eine außerordentliche Kündigung und die darauffolgende Absage des Parteitags würde Kosten von Hunderttausenden Euro auslösen.
Nach Informationen dieser Redaktion steht die Ratsmehrheit für das geplante Vorgehen. Nach CDU und SPD erklärten sich am Montagabend dem Vernehmen nach auch die Grünen nach längerem Ringen bereit, das Verfahren mitzugehen. Sie hatten lange Bedenken gehegt, weil sie, so heißt es, der AfD nicht den Triumph gönnen mochten, vor Gericht gegen die Stadt zu obsiegen.
Mit dem Ratsbeschluss am Mittwoch hätte die AfD eine knappe Woche, bis zum 4. Juni, Zeit, die Selbstverpflichtung zu unterzeichnen. Tut sie dies nicht, setzt dies automatisch die Vertragskündigung „aus wichtigem Grund“ in Gang, und zwar ohne dass ein weiterer politischer Beschluss erforderlich wäre.
Dass die Partei am Ende achselzuckend eine solche Selbstverpflichtung unterschreibt und damit sozusagen die Hand für sämtliche 600 Delegierten und Gäste ihres Bundesparteitags ins Feuer legt, darf man durchaus bezweifeln. Nicht zuletzt, weil die Partei für jeden Fall einer „schuldhaften Zuwiderhandlung“ eine Vertragsstrafe in Höhe von bis zu 500.000 Euro zahlen soll. Die genaue Höhe, so heißt es in der Ratsvorlage, würde im Einzelfall durch die Messe Essen „nach billigem Ermessen bestimmt“.
In einer ersten Stellungnahme übte sich die Bundes-AfD am Dienstag in demonstrativer Gelassenheit: Auf den bisher 14 Bundesparteitagen der Partei sei es „noch nie zum Äußern irgendwelcher verbotener Parolen gekommen – weshalb sollte es diesmal anders sein?“, hieß es. Die Partei werde über eine mögliche Änderungsklausel zum Mietvertrag erst „entscheiden können, wenn ihr die entsprechenden Unterlagen vorliegen“.
Man sorgt sich mit Blick auf Höcke und Potsdam um die „fortschreitende Radikalisierung“ der AfD
So oder so dürfte die eingeforderte Regelung von Gerichten überprüft werden. Und mit ihr die Begründung der Stadt und ihrer Messe-Gesellschaft, einen bereits geschlossenen Mietvertrag nachträglich ergänzen zu wollen. In der Begründung für den Stadtrat heißt es dazu, seit Vertragsschluss mit der Messe Essen habe es eine „fortschreitende Radikalisierung wesentlicher Teile der AfD“ gegeben, auch und vor allem in verbaler Hinsicht. Namentlich erwähnt wird dabei der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Björn Höcke, der sich zuletzt vor Gericht wegen der in einer Rede ausgerufenen SA-Parole „Alles für Deutschland“ hatte verantworten müssen. Auch die Vorgänge um ein rechtsextremes Netzwerk-Treffen in Potsdam, bei dem Ideen zur Re-Migration hunderttausender Zuwanderer raus aus Deutschland diskutiert worden sein sollen, hätten die „ausländerfeindlichen Bestrebungen“ der AfD in den Fokus gerückt.
Es sei nur naheliegend, so heißt es bei der Stadt, der AfD in der städtischen Grugahalle „keine Plattform für die Begehung weiterer Straftaten insbesondere in der Form von Äußerungsdelikten zu bieten“. Dass es eine Wiederholungsgefahr gibt, dafür spricht vieles, glaubt der Soziologe, Publizist und AfD-Kenner Andreas Kemper, den die Stadt Essen um seine Expertise gebeten hatte.
Eine Wiederholung der SA-Kampflosung aus „trotziger Solidarisierung“ oder aus „bloßem Kalkül“
Kemper kommt zu dem Schluss, dass es zwei Gründe für eine „Wiederholungsgefahr“ gibt: indem einerseits etwa die SA-Kampflosung „Alles für Deutschland“ aus einem Gefühl „trotziger Solidarisierung“ wiederholt wird. Und indem man dies andererseits aus dem bloßen Kalkül tut, den Paragrafen 86(a) des Strafgesetzbuches unwirksam zu machen. In Paragraf 86 geht es um das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“, in Paragraf 86a um das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“.
Schon im Nachgang zur Vetrurteilung Höckes habe sich gezeigt, dass es bei der offenbar AfD kein Unrechtsbewusstsein im Umgang mit der Formel „Alles für Deutschland“ gebe. Es sei deshalb zu erwarten, dass die mediale Bühne des Bundesparteitags genutzt werde, um strafbare SA-Kampflosungen in Redebeiträgen einzuflechten. Das soll nun verhindert werden.